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Zur Ausstellung Annamaria Gelmi "Meta–fisica"
(im Kunstgang der Theologischen Fakultät am 22.11.2002)

Autor:Braun Bernhard
Veröffentlichung:
Kategoriefak
Abstrakt:
Publiziert in:# Originalbeitrag für den Leseraum
Datum:2002-11-25

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Das Werk von Annamaria Gelmi trägt viele Spuren in sich, die sich zu einer einheitlichen Formensprache amalgamiert haben. Trotzdem gewinnt es an Reichtum und Fülle, wenn man diesen Einflüssen Beachtung schenkt und sie in Erinnerung ruft.

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Annamaria Gelmi hat nach ihrem Kunststudium in Trient, Mailand und Venedig 1970 mit einer ersten Ausstellung in ihrer Geburtsstadt Trient ihre künstlerische Laufbahn begonnen. Sie hat mittlerweile in nahezu allen Ländern Europas und auch in den USA ausgestellt. In Innsbruck war sie zuletzt 1994 im Tiroler Landesmuseum und 1996 bei Fritzi Gerber in der Galerie Nothburga vertreten.

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In den Siebzigerjahren standen bei Gelmi - der aufgewühlten reformerischen Zeit entsprechend und im Gefolge der Gedanken der Frankfurter Schule sowie des französischen Existenzialismus - soziale Themen im Vordergrund. Einerseits ging es um die Isoliertheit des einzelnen, damals von Antonioni und Fellini in aufrüttelnden Manifesten decouvriert, andererseits um die Stellung der Frau in der Gesellschaft.

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Daneben, wohl auch aus einer gewissen Erstarrung der feministischen Ambition heraus, erfolgte das Ringen um die reine abstrakte Form. Was damals eine ganze Generation, die Malewitsch, Kandinskij oder Klee zu ihren Zentralgestirnen erhob, als Befreiung erlebte, nämlich den ungeheuren Gewinn an Fülle und Möglichkeiten der Darstellung im Überwinden des Zwanges gegenständlicher Illusionsmalerei, war auch für Gelmi ein Einschnitt. Neben ganz simpel anmutenden schematischen geometrischen Grundfiguren - Stichwort: was ist eine Kurve -, rang sie um ein Thema, das sie ihr ganzes Lebens lang fesseln und begleiten sollte, um den Raum und die Bewegung desselben. Der Raum wird erst dann zu einer großen Herausforderung, wenn es nicht mehr hinreicht, ihn auf der Leinwand zu imaginieren. Raum ist nichts Objektives, sondern stets subjektbezogen und genau dies versucht Gelmi in ihren Bildern, aber und vor allem auch in den Skulpturen und Installationen umzusetzen.

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Sie löste sich aus der Gegenständlichkeit, indem sie die Illusion selbst thematisierte. Ihre Skulpturen hatten bewußt keine perspektivischen Akzente und kein Volumen, vielmehr erzeugten sie erst den Raum relativ zum Betrachter durch wiederholende Schichtung oder durch Rotationen strikt zweidimensionaler Gebilde. Die Formen wie sie sie zum Beispiel aus Plexiglas schnitt, erinnern an jene Brancusis oder Jean Arps und die Anordnungen zitieren Henry Moore genauso wie Alexander Calder. Schon damals korrespondierten diese skulpturalen Bilder durch ihre Transparenz mit der Umgebung.

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Entscheidend war ihr in den Achtzigerjahren die Rekonstruktion dieser Fragen aus dem kreativen Geist und aus der kulturellen Erinnerung. In dieser Phase hatte sie sich vielleicht am weitesten von der realen Natur entfernt. Sie war asketisch einfach geworden. Luigi Sarravalli spricht von einem „geistigen Fasten als Reaktion auf den vorhergehenden irdischen Einsatz". Diese asketische Leere als meditative Stille hat in den gegenwärtigen - ich nenne sie Raumbildern - eine ungeheure poetische Verdichtung erfahren. Die Bilder zitieren den Farbraum oder sind schlicht ohne Titel. Auf zarter Papierhaut finden die Sinnlichkeit der Farbe und das Heilige des Lichts in einem poetischen Raum, der den Betrachter mit einbezieht, in eins.

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Vor der Frage nach Subjektivität und Objektivität des Raums steht nicht nur der philosophierende Künstler, sondern es ist tägliche Anforderung an den Architekten. In der Tat fühlt sich Gelmi der Architektur und ihrem Umgang mit der kulturellen Erinnerung sehr verbunden. Auch das von der Architektur Geschaffene ist Artefakt in der Natur und jeder neue architektonische Entwurf wagt sich immer wieder an die großen Themen der Menschheit und jedes erhaltene Fragment, ob Säule, Bogen, Öffnung, Dreieck, Kreis, Ellipse, das Spitze oder Stumpfe, ist Speicher eines gesellschaftlichen und kollektiven Archetypenschatzes.

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Gelmi spielt in einer weiteren Werkphase mit diesen archaischen Bedeutungsgehalten in Gestalt von gegenständlich dargestellten Fragmenten, angeregt übrigens von der Architekturmalerei der Renaissance. Man kann in diesen Trümmern eine pessimistische Fin-de-Siècle-Stimmung sehen, ja Todesahnungen wittern, aber auch auf das optimistische Vertrauen einer stets ausgleichenden Geschichtlichkeit bauen.

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Ich weiß nicht, ob es Absicht war, aber ganz unwillkürlich ruft sie mit dem Isolieren solcher Architekturfragmente und ihrem Anspruch, damit zu metaphysischen Fragen Stellung zu beziehen, auch den Streit in der Renaissance um die Perspektive in Erinnerung. Die großen Erfinder der Perspektive, Brunellesci und Masaccio, wagten kaum, alle Personen der strengen Perspektive zu unterwerfen, weil sie in ihrem geometrischen Egalitarismus der Würde und Absolutheit göttlicher Personen zuwiderlief und vor allem der zweiten unabdingbaren Forderung der Renaissance, jener der idealen Proportion. Darüberhinaus löste die Perspektive je nach Ansetzen des Fluchtpunktes Emotionen aus: Man sprach von Angsträumen, Fluchträumen, Steilräumen und noch der Klassikverehrer Jakob Burckhardt ereiferte sich über Coreggios hemmungslosen Einsatz der Perspektive, man sähe nur mehr Fußsohlen, Schenkel und tiefe Nasenlöcher.

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Auch hier geht es Gelmi heute nicht mehr darum, die Frage der Darstellung solcher Fragmente auszuloten, sondern es geht um das Eingreifen in die Raum-Zeit-Struktur von Gebäuden und der freien Natur. Das führt in den Neunzigerjahren in eine neue, reifere Phase der Reduktion, Abstraktion und zum Konstruktiven.

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Insofern ist in der vorliegenden Ausstellung ja auch der gesamte Gang-Hof-Komplex nicht nur Hülle für ausgestellte Bilder und Skulpturen, sondern als ganzes ein von ihr ge-staltetes Objekt, gleichsam zusammengehalten durch die Klammer der Installation Metafisica. Es sollte derart durch die Eingriffe, durch das Kräftespiel der Formen Neues über sich, aber auch über allgemein gültige Fragen erzählen.

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Der Umgang mit architektonischen Strukturen war offenbar für die Künstlerin ein wichtiger Impuls, in ihrer Tätigkeit zu einer Kosmologie und einer allgemeinen Geschichte vom Sein und dem Seienden zu gelangen, gleichsam als Offenlegung des Nicht-Darstellbaren. Vieles, was für die Künstler des Sublimen gilt, läßt sich auch für Gelmis Sedimente des Absoluten sagen. Vor solchem Anspruch ist es nur konsequent, daß für Gelmi mentale Konzepte, eigentlicher Sinn der Arbeit am Ungegenständlichen, zentral sind. Diese buchstabiert sie zum Unterschied von vielen Kollegen beinahe ungeduldig in immer anderen Materialien. Plastik, Glas, Stein, Stahl, verschiedenen Arten von Papier, Pappe und Farbe, wo die unterschiedlichsten Bearbeitungsprozeduren zu bewältigen sind. Gelmi ist hinter all der künstlerischen Kreativität - man darf es anmerken - auch eine vielseitig erfahrene Handwerkerin im besten Sinn des Wortes.

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Blickt man auf den künstlerischen Werdegang Gelmis, kann man resümieren, daß ihre Metaphysik an Erzählerischem verloren hat und gleichzeitig erlebbar und experimentell geworden ist. Gelmis Bilder erscheinen wie aus Farbräumen ausgeschnitten, sie überschreiten wuchtig die Bildgrenzen und kommunizieren so mit dem Betrachter. Die skulpturalen Werke bewegen sich nahezu schwerelos im Raum, sie erzeugen gleichsam - wie im Werk Equilibrio ausgedrückt - ein Gleichgewicht, das sich in einem labilen Zustand hält, wenn der Betrachter mit hineingenommen ist.

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Zwar wollen sämtliche Aspekte ihrer Arbeiten - die, in neuerer Zeit vor allem geometrischen, Formen, die Farben (besonders anschaulich der Gebrauch des ikonenhaften Goldes), der malerische oder graphische Gestus, ja das verwendete Material -keineswegs eine ihr über Jahrhunderte zugewachsene Bedeutung verleugnen, aber die Arbeiten bleiben dennoch offen für den Betrachter, die Betrachterin. Dies erfordert deshalb auch vom Betrachter mehr Engagement, ja Anstrengung. Auf der Gewinnseite steht dafür ein Höchstmaß erlebbarer Verbindlichkeit.

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All dies läßt sich in gewisser Weise versammeln in der Figur des Labyrinths. Es ist für Gelmi ein Ort des Mystischen und ein uraltes Symbol des Lebens, ja der gesamten Welt, wo man sich verlieren kann, wo plötzlich der gesamte Ernst des Lebensweges selbst zum Vorschein kommt, der uns häufig vor unentscheidbare Situationen stellt, wo es keine Fluchtmöglichkeit gibt. Nur der distanzierte Betrachter vermöchte die Zusammenhänge zu überschauen. Aber solch souveräne Betrachter von außen sind wir nie, sondern zwangsläufig - oder sollte ich sagen wesenhaft - in die Verwirrungen des Lebens hineingenommen. Da wird jedes erhellende Moment zu einem wertvollen Schatz. Und wenn Sie sich heute abend hier umsehen, glaube ich, daß man sagen kann, daß es viele solche erhellende Momente gibt. Sammeln Sie diese Schätze ein und nehmen Sie sie mit.

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