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Moralfreie Wirtschaft und ihre Blüten

Autor:Guggenberger Wilhelm
Veröffentlichung:
Kategoriekommentar
Abstrakt:
Publiziert in:# Originalbeitrag für den Leseraum
Datum:2002-07-30

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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In den vergangenen Wochen haben nicht nur krasse Fälle von Betrug und Amtsmissbrauch am Innsbrucker Finanzamt, sondern auch massive Wirtschaftsskandale in den USA bei vielen Menschen den alten Verdacht bestärkt, dass Geld jeden korrumpiert, der lange genug Zugang zu Summen einer gewissen Größe hat. Das Star- und Saubermannimage der Broker- und Bankerszene ist gelinde gesagt angepatzt und die Propheten und Auguren unserer Zeit - die Analysten - erleiden das Schicksal ihrer klassischen Vorläufer: Ihr einstiger Nimbus schlägt überraschend schnell in den Schein der Scheiterhaufen um, die das erboste Volk der Anleger unter ihnen entzündet.

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Freilich ist dabei wieder rasch die Logik der Sündenböcke und schwarzen Schafe zur Hand. Kriminelle gibt es immer und überall, heißt es dann. Sie sind zu bestrafen und mittels schärferer gesetzlicher Regelungen und gefinkelterer Ermittlungsmethoden früher und häufiger zu überführen. Der Ruf nach einer nachjustierenden Legislative und der starken Hand der Exekutive erschallt daher allerorten.

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Aber ist nicht das System unserer Wirtschaft als solches, dem diese üblen Extreme entspringen, doch mitverantwortlich für diese? Ist es nicht selbst der beste Nährboden für einen Realitätsverlust, in dem nur noch mit Zahlen jongliert wird, ohne Rücksicht auf reale Verluste? Bringt es nicht geradezu notwendigerweise skrupellose "Absahner" hervor?

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Es soll hier keineswegs unterstellt werden, dass die liberale Marktwirtschaft ein generell schmutziges Geschäft sei, das sich vom organisierten Verbrechen nur durch die Art der verwendeten Waffen unterscheidet. Eine derartige Verunglimpfung der Ökonomie wäre schlichtweg falsch und würde zahllosen ihrer Akteure unrecht tun.

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Dennoch muss gesagt werden, dass die unerfreulichen Blüten des kapitalistischen Wirtschaftssystems nicht losgelöst von einer sublim normativen Logik gesehen werden dürfen, die unter dem Namen Ökonomik großes und wie ich meine wachsendes Ansehen genießt.

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Unter dem Schlagwort: "The business of business is business." wurde und wird die Logik der Ökonomie weitgehend von ethischer aber auch politischer Rationalität losgelöst. Wirtschaft erscheint nach dem systemtheoretischen Paradigma als autonomer Bereich mit interner Logik, der vom Rest der Gesellschaft zwar Leistungen einfordert (z.B. Bildung), sich von ihm aber nicht in die eigenen Kochtöpfe schauen lässt. Der Kern der ökonomischen Logik ist dabei jener der Kosten-Nutzen-Rationalität, der unter den erschwerten Bedingungen der systemisch vermittelten Interaktion mit unbekannten Dritten zu folgen ist. Daraus ergeben sich immer wieder Situationen des sattsam bekannten Gefangenendilemmas. Das heißt zugespitzt: In Situationen, die nicht von gegenseitigem Vertrauen und der Möglichkeit des umfassenden Diskurses geprägt sind, stellt sich die Alternative entweder zum Opfer des allgemeinen Dynamik zu werden oder aber möglichst als erster an oder über die Grenzen geltender Normen zu gehen - seien diese nun ethischer oder juridischer Natur. Der Münchner Philosoph Karl Homann bemängelt seit Jahren, dass Wirtschaftsethik, die unter diesen Bedingungen moralisches Wohlverhalten fordert, nicht nur die handelnden Personen völlig überfordere, sondern auch Ethik als Verliererkonzept diskreditiere. Man muss seiner Überzeugung nach daher ein Wirtschaftssystem Etablieren, innerhalb dessen es möglich ist, ohne Rücksicht auf Moral ökonomisch zu agieren. Das Ziel ist "die systematische Entkopplung von Handlungsergebnis und Handlungsmotiv, weil ‚entmoralisierte' - nicht unmoralische, sondern moralfreie - Handlungen in anonymen Wettbewerbssituationen auf eine Weise kanalisiert werden können, die zu verlässlichen Erwartungen führen und so Produktivitätsspielräume ausschöpfen, die auf keine andere Weise für die Menschen nutzbar gemacht werden könnten." (1)

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Ein faszinierendes Konzept: Da genügt die Kenntnis weniger grundlegender Vorzugsregeln, die letztlich allesamt auf die Vermeidung von Kosten und die Maximierung von Gewinn zielen, um Spielregeln festzulegen, weiters einen Schiedsrichter einzusetzen, der ihre Einhaltung überwacht und schon hat man aus einem Volk von potenziellen Teufeln, sprich Raubrittern, ehrenwerte Geschäftsleute gemacht - ob mit oder wider ihren Willen bleibt belanglos.

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Homann mag eine Extremposition vertreten, aber der Grundansatz ist in der ökonomischen Theorie altbekannt und weit verbreitet. Die jüngsten Fälle von Bilanzfälschung und Aktienbetrug in den USA zeigen aber wohl, dass dieses Modell bandgefährlich bleibt. Dafür gibt es zumindest drei Gründe:

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1) Hat man die Amoral für das Wirtschaften erst einmal zur Norm, ja zur Tugend erhoben, gibt es innerhalb des moralbefreiten Bereichs keinerlei Maßstab mehr, diese von der Unmoral zu unterscheiden. Die Wirtschaftsakteure werden damit auf längere Sicht nicht nur Probleme damit haben im Wettbewerb ethische Geschichtspunkte zu berücksichtigen, sie werden vielmehr Probleme damit haben, diese überhaupt noch wahrzunehmen.

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2) Jedes Regelsystem hat Lücken, die für gewöhnlich erst reaktiv geschlossen werden können. Die Regelungswürdigkeit einer Materie lässt sich häufig nur aus der Handlungsrealität der Beteiligten ablesen. Das Gesetz hinkt seiner Übertretung sozusagen hinterher. Und Schiedsrichter, die dieses Gesetz exekutieren, haben bekanntlich auch keine Augen auf dem Rücken. Da wird es also immer wieder jene Fälle geben, die die (Finanz)Welt erschüttern und irgendwann einmal einen Vertrauenseinbruch auslösen könnten, der so weitreichend ist, dass er zum befürchteten Crash führt.

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3) Fehler und Mängel gibt es überall, daraus sollte man der herrschenden Wirtshaftslogik keinen Strick drehen. Allerdings wird der Mensch, der innerhalb des Marktes systematisch zum "Homo Oeconimikus" reduziert und dem seine Amoralität als Pflicht gegenüber dem kollektiven Wohlstand gepredigt wird, auf Lücken im System der Spielregeln nicht nur zufällig treffen, er wird vielmehr systematisch nach ihnen suchen. Das mag dann individuell durchaus nicht als Böswilligkeit, sondern geradezu als Gehorsam gegenüber der eigenen Aufgabe wahrgenommen werden.

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Wer predigt aber eine solch innerökonomische Amoralität? Keineswegs sollte man sich hier kruden Verschwörungstheorien hingeben. Die skizzierte Logik wird immer mehr zur allgemein geteilten Überzeugung. Die Wirtschaftswelt ist längst nicht mehr getragen vom Klassenkampf und den Widersprüchen zwischen Arbeit und Kapital. Shareholder und Stakeholder sind immer weniger zwei einander gegenüberstehende Personengruppen, sondern die beiden Herzen in der Brust der selben Akteure. Wer den ständig wachsenden Gewinn fordert, sind nicht ein paar Großkapitalisten, sondern alle, die ihr Geld in Pensionsfonds liegen haben, alle Kleinaktionäre, letztlich auch alle Zulieferer und Arbeitnehmer börsennotierter Unternehmen etc. Sie, bzw. wir alle haben uns der Frage zu stellen, ob Moral dort, wo es ums Geld geht lediglich als zu minimierender Kostenfaktor auftaucht, oder ob ihre Maßstäbe nichtrelativierbare Werte markieren, denen die Wachstumsrationalität sich unterzuordnen hat.

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Die Aufgebrochenen Probleme sind mit den Mitteln von Kontrolle und Strafe allein sicher nicht zu lösen. So lange der Bereich der materiellen Wertschöpfung als sittlich wertfrei behandelt wird, so lange Zustimmung zu einer sozialen Ausdifferenzierung herrscht, die ethische und ökonomische Rationalität voneinander trennt, wird der Raubtierkapitalismus sein Territorium behaupten. Die Frage "Wie wollen wir wirtschaften?" ist wieder an die Frage: Welche Menschen wollen wir sein? zurück zu binden. Und das ist eine Aufgabe, vor die nicht einige wenige Manager oder Investitionsberater gestellt sind, sondern wir alle.

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Anmerkungen:

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1. HOMANN Karl/PIES Ingo, Wirtschaftsethik in der Moderne: Zur Ökonomischen Theorie der Moral. In: Ethik und Sozialwissenschaften 5 (1994 a), 3-12, 6

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