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Hoffnung im Gericht
(Soteriologische Impulse für eine dogmatische Eschatologie)

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategorieartikel
Abstrakt:Kommen wir alle in den Himmel? Ist die Hölle leer? Diese existentiellen Fragen werden aus dem Blickwinkel der "Dramatischen Theologie" reflektiert. In einer "Dramatischen Eschatologie" wird das Szenario des letzten Gerichtes zum zentralen Thema; aus dem Blickwinkel eines Anschuldigungs- und Vergebungszenarios werden der Ernst der Sünde und die Wirklichkeit der Vergebung erst recht plausibel.
Publiziert in:Zeitschrift für Katholische Theologie 114 (1992) 113-126. Vgl. auch: J. Niewiadomski, Herbergsuche. Auf dem Weg zu einer christlichen Identität in der modernen Kultur. Beiträge zur mimetischen Theorie 7. Münster-Thaur 1999, 167-186.
Datum:2002-04-06

Inhalt

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Als ich zu Beginn der 70er Jahre in der Exegesevorlesung zum ersten Mal hörte, daß Jesus die Botschaft der bedingungslosen Liebe Gottes zu den Menschen und nicht den göttlichen Zorn oder gar die Rache verkündete,(1) da holte ich tief Luft. Jahrelange, typische Angstsozialisation - mit all den Bildern, die sich ein Ministrant früher beim tagtäglichen "Requiem" und "Libera me domine", oder der jährlichen Prozession am Allerseelentag mit dem faszinierenden Schrecken des "dies irae" machen konnte - mit dem Gott des Gerichts, der peinlichst genau alles registriert und einem jeden nach seinen Taten vergelten wird, - diese Angstsozialisation hatte nun auch erste theoretische Risse bekommen. Später kam hinzu die Kenntnis der Rahnerschen Hermeneutik eschatologischer Aussagen(2). Der Heilsoptimismus schien keine Grenze zu kennen: Die Liebe Gottes, die in Jesus dem Verlorenen nachgeht, die das Verletzte heilt und das Gebeugte aufrichtet, war dem Theologiestudenten nicht nur psychologisch erträglicher. Die Klagen vieler Pfarrer und einiger Theologen, man soll mit dem Gott der Liebe den Gott des Gerichts nicht verdrängen, da ansonsten die Gefahr der "billigen Gnade" nicht von der Hand zu weisen sei, wurden - da sie eh von einer "überholten" Theologie her kamen - kaum gehört. Beim Lesen der Bibel kam freilich immer ein ungutes Gefühl, wenn man an die vertrauten, angstmachenden Stellen kam und sie hastig überblätterte.

2
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Die erste Infragestellung kam mir einerseits durch die deutsche Synode(3), anderseits durch die Auseinandersetzung im Kontext der Friedensdiskussion. Die angstpotenzierende politische Situation und die in diesem Kontext neuentdeckten Texte der Propheten rückten die Botschaft vom Gericht plötzlich wiederum - wenn auch unter ganz anderen Vorzeichen - in den Vordergrund des Glaubensbildes. Das Interesse am "Gott des Zornes" nahm nicht nur bei mir zu. An die große theologische Tradition anknüpfend, die im Zorn Gottes nicht ein Affekt und in seinem Gericht nicht eine, seiner Liebe widersprechende Tat sah, den Zorn vielmehr im Kontext des Selbstgerichts interpretierte,(4) schien die theologisch interpretierte Rüstungspolitik in die verhängnisvolle Logik des Selbstgerichts einzumünden. (5) Noch eindeutiger wurde diese Redeweise im Kontext der atomaren Bedrohung (6) und ökologischen Katastrophen.

3
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Diese Zuweisung der biblischen Traditionen - einerseits die in Jesus von Nazaret uns offenbar gewordene bedingungslose Liebe Gottes zu den Sündern, anderseits das drohende göttliche Gericht, nun radikal als Selbstgericht der sich dem Umdenken verschließenden Menschheit verstanden - radikalisierte, wenn sie in die Eschatologie übertragen wurde, die theologische Schwierigkeit, Erlösung und Gott im Kontext seines erlösenden Handelns glaubwürdig gemeinsam zu artikulieren. Auf der Seite der der Verdammnis preisgegebenen Menschheit wird zurecht die Frage nicht verstummen: "Macht es ... (wirklich) einen Unterschied, ob ein zorniger Gott die Menschen verdammt, oder ob ein 'gütiger' Gott zusieht, wie seine Geschöpfe sich fast notwendigerweise selber verdammen? Das Resultat ist das gleiche." (7)

4
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Die vielleicht allzuleicht als sekundär eingestufte Gerichtsproblematik muß nun, nicht nur aufgrund der tagespolitischen, apokalyptischen Mode oder auch der ständigen Predigt der Fundamentalisten, gleich welcher couleur,(8) sondern aufgrund der theologischen Fragwürdigkeit des Gottesbildes, in dem Gott zwar formalrechtlich im Recht bleibt, doch faktisch ein distanzierter und schon gar nicht erlösender Gott ist (9), neu aufgerollt werden.

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1. Die Logik und das Verhängnis des Gerichts

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7
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Wenn es wahr ist, daß bei allen sich wandelnden Geschichtskonzeptionen und Geschichtsverständnissen transkulturelle Konstanten feststellbar sind, so gehört zu ihnen der Mechanismus der Anschuldigung. Die Suche nach dem Schuldigen für das erfahrbare Übel, (10) die im Urteilen, Verurteilen, Ausgrenzen, Ausstoßen, ja sogar im Töten mündet, geht zwar Hand in Hand mit der pathetischen Beteuerung der Eigenverantwortung, bleibt aber nicht nur aufgrund des moralischen Versagens der Betroffenen mit der Kontrastfolie der eigenen Unschuldsbeteuerung, des Alibis und des Sündenbocks verbunden. Die Schuldabschiebung ist die erfolgreichste Methode, mit dem Problem der Schuldverstrickung fertig zu werden (auch beim Gericht). Es entsteht eine paradoxe Situation: Die Schuldabschiebung befreit zwar subjektiv von Schuld, objektiv gesehen vergrößert sie das Potential an Schuld. Eine solche Schuldbefreiung bringt neue Schuld mit sich und der Mensch, der seine Schuld abschiebt, verstrickt sich umso mehr in Schuld. Weil und insofern er beschuldigt, beschneidet er die Lebenschancen eines Dritten. Dessen Lebensraum wird verkleinert, unter Umständen sogar zerstört. Ein teuflisches Netz zeichnet sich bereits ab, denn der beschuldigte Mensch wird die Anschuldigung nicht auf sich beruhen lassen, sondern diese zurückwerfen oder gar seinerseits einen Dritten beschuldigen. So wird das Opfer der Anschuldigung selbst zum Täter, zum Anschuldigenden. Ein auswegloses Labyrinth verbindet immer mehr Menschen untereinander. Ausweglos wird die Situation, wenn man bedenkt, daß all diejenigen, die ihre Schuld abschieben, subjektiv von der Richtigkeit ihres Handelns überzeugt sind. (11)

8
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Dieses wahrhaft satanische Beziehungsgeflecht (12) unter den Menschen, das vom Richten, Verurteilen und der Schuldabschiebung konstituiert wird, hat zwar die menschliche Ordnung und die Zivilisation immer wieder möglich gemacht (13), doch dies vermag nicht darüber hinwegzutäuschen, daß es das genaue Gegenbild des nach dem Maßstab der Gerechtigkeit und der Liebe konstituierten Beziehungsgeflechts der Gottesherrschaft ist. Wie kann aber angesichts dieses satanischen Beziehungsgeflechts diese Gottesherrschaft noch wahrgenommen, geschweige denn verwirklicht werden?

9
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Die Verkündigung des göttlichen Gerichts ist es, die sich als fortschreitende Offenlegung, Überwindung und Verwandlung des Anschuldigungsmechanismus erweist. (14)

10
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In unzähligen Variationen wird das Abschieben von Schuld in den biblischen Schriften beschrieben, nicht aber als objektiv gerechtfertigt hingestellt, sondern beim Namen genannt und mit Folgen verknüpft (angefangen bei der jahwistischen Sündenfallerzählung - Gen 3 - bis hin zur Geschichte über David und seinen Abschiebungsstrategien in 2 Sam 21,1-15, wo Rizpa bei den von David erhängten Söhnen so lange ausharrt, bis sie begraben werden).

11
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Die großen Propheten Israels dürften wohl auch die ersten in der Weltgeschichte gewesen sein, die nicht die Bosheit ihrer Feinde oder auch irgendwelche mythologische Zusammenhänge für die militärischen Niederlagen der Staaten Israel und Juda verantwortlich machten, sondern die Schuld des Bundesvolkes selber anklagten, zur Umkehr riefen und das Gericht Jahwes als Reaktion auf diese Schuld ankündigten. Und die Propheten waren es, die auf folgenden Zusammenhang aufmerksam machten. Zwar war die Zerstörung seitens der feindlichen Mächte Assur und Babylon nur ein gerechtes Gericht über das schuldig gewordene Volk, sie scheinen bloß "Werkzeuge Gottes" gewesen zu sein, doch durch diese Zerstörung werden die Feinde selber schuldig. Nun stehen sie selber unter dem Gericht, nun sind sie die Feinde Gottes. Der Vollzug eines Gerichts zieht demnach bereits das nächste nach sich: Ein tödliches Geflecht scheint die Menschen miteinander zu verbinden, aus dem es kein Entrinnen gibt.

12
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Nur das aus verschiedenen Quellen gespeiste apokalyptische Bild des letzten Gerichts bringt die letzte Klarheit. Das tödliche Beziehungsgeflecht wird aufgelöst; Gott selbst schafft nun eindeutige Klarheit; durch sein Urteil errichtet er seine Herrschaft. Die bisher verfolgte Logik wird abgeschlossen. Damit also die Gottesherrschaft anbrechen kann, müssen Schuldige von Unschuldigen getrennt, Gottesfeinde von Gottesfreunden geschieden, Schuldige bestraft werden. Zwei verschiedene Menschengruppen stehen einander und Gott gegenüber.

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Aus welchen theologischen und anthropologischen Gründen dieses Bild auch entwickelt wurde, blieb ihm trotzdem immer noch eine Implikation der Anschuldigung und Selbstgerechtigkeit erhalten, sei es darin, daß man in diesem Gericht die endgültige Vernichtung der Feinde erhoffte oder daß man unausgesprochen sich selber zu den Guten und den Geretteten zählte. Die Herrschaft Gottes konnte nur durch die Aburteilung oder auch Vernichtung der Sünde errichtet werden, und die Sünder waren immer, wenn auch oft unausgesprochen, die Anderen, die Feinde. Menschliche Bedürfnisse wie das Verlangen nach Belohnung, aber auch nach Rache und ausgleichender Gerechtigkeit fanden im apokalyptischen Bild ein Ventil. So konnte dieses Bild wiederum dazu dienen, daß Menschen weiterhin einander verurteilen und ihre Schuld abschieben, obwohl, oder gerade weil das Bild für viele zum letzten Wort der Hoffnung angesichts der tristen Gegenwart wurde(15).

14
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Brachte die Gerichtspredigt Jesu über diese Impulse hinaus etwas theologisch Neues? Beantwortet man diese Frage aufgrund eines schnellen Überblicks über die dogmatischen Handbücher, in denen die Gerichtsbotschaft Jesu im Kontext der "letzten Dinge" abgehandelt wird, und sieht man von der Tatsache ab, daß nun Christus der Richter ist, so müßte man sagen "eigentlich nichts". In vielen Handbüchern bleibt das Thema eingebunden in die Begründungszusammenhänge von Moraltheologie und Ethik. Das der apokalyptischen Tradition entlehnte Bild wird entweder nachgezeichnet oder es werden von diesem Bild inspirierte theoretische Überlegungen präsentiert, die von einem letzten, gerechten, göttlichen Urteil handeln, das Christus nach den Werken sprechen wird. (16)

15
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Wenn die Schilderung des Letzten Gerichts im wesentlichen der Logik der Apokalyptik verpflichtet bleibt, was bedeutet dann noch die Erlösung in Christus? Oder zuerst einfacher gefragt: Was sagt über diese apokalyptische Klarheit die Botschaft Jesu?

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2. Die Vergebungs-Botschaft Jesu

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Jesus brachte die Botschaft von der bedingungslosen Liebe Gottes und setzte damit neu an bei der Frage, wie die Menschen mit dem ungeheuren Schuldpotential fertig werden können, damit die Gottesherrschaft Wirklichkeit werden kann. Er hat das bisher gängige Schema des drohenden Gerichts, das nur die Vergeltung für böse Taten oder die Umkehr als Bedingung für die Schuldvergebung kennt, umgedreht und verkündigte die bereits erfolgte Vergebung und die in seinem Wort, Werk, ja in seiner Person bereits gegenwärtige Gottesherrschaft. Gott wartet nicht auf die Bekehrung seiner Feinde, er will sie auch nicht zerstören, sondern nähert sich ihnen in seiner Feindesliebe.(17)

19
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Die volle Tragweite dieses Neuanfangs wird erst im Kontext jener Tiefendimension der teuflischen Schuldverstrickung durch die Schuldabschiebung klar. Denn selbst die radikalste Kritik und Selbstkritik, und die auch noch so radikal vollzogene Umkehr im Denken und Handeln (wie sie die Propheten und Johannes der Täufer gefordert haben) vermag das ganze Potential an Schuldverstrickung nicht aufzuheben. Weder Kritik noch die neue Praxis kann die zerstörten Lebenschancen eines Beschuldigten wiederherstellen. Keine Kritik gibt dem Sündenbock seinen unschuldigen Lebensraum zurück. Die Kritik und die Umkehr vermögen die abgründige Not, die durch die Abwälzung von Schuld entstanden ist, all die Verletzungen, all die Tränen, all die Leiden und auch all den Tod nicht zu erreichen. Diese bleiben weiterhin als Ankläger und (wer weiß, vielleicht auch als Rächer) bestehen. (18)

20
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Jesus hat in seiner Predigt nicht einen Gott verkündet, der auf die Umkehr wartet. Vielmehr sprach er von einem Gott, der die Schuld bereits vergeben hat, um durch seine grenzenlose Liebe den Unschuldsraum neu herzustellen. Die Folge davon wäre eigentlich nur die Anerkennung dieses Sachverhalts: die in das tödliche Geflecht der Schuldabschiebung verstrickten Menschen sollten aufhören, ihre Unschuld anachronistisch zu behaupten, indem sie Urteile fällen, übereinander richten und damit nur weiterhin verurteilen. Sie sollten so vollkommen sein, wie der Vater im Himmel in seiner Feindesliebe, nicht aber als der Gott des Endgerichtes vollkommen ist (vgl. Mt 5,48).

21
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Wie sollen aber dann die harten Gerichtsreden Jesu eingeschätzt werden? Der exegetische Befund - hier nur auf die Gleichnisse bezogen- ist alles andere als hilfreich. "Das Bild Gottes in den Gleichnissen ist geprägt von unaufgelösten Spannungen gegensätzlicher Vorstellungen: Lohn nach Leistung versus Lohn nach Güte; Zorn versus Barmherzigkeit; Universalismus versus Partikularismus; Einladung versus Ausschluß, partielle Güte versus Ungerechtigkeit, Erfüllung versus 'krisis', Hochzeitsfest versus Gericht, Festhalten an Israel versus Übergabe der Prärogative an andere. - Diese Punkte sind nicht Bausteine eines in sich abgeschlossenen Systems, vielmehr wird - je nach Fragestellung und Situation -einmal eher der eine, einmal eher der andere Aspekt hervorgehoben."(19) Demnach hätte der neutestamentliche Autor je nach Stimmung oder je nach Interessenlage oder aber aus dem Bedürfnis nach Korrektur diesen oder auch jenen Akzent hervorgehoben. Doch nach welchem Maßstab? Dem des Pendels der Geschichte: wenn man einmal in eine Richtung übertrieben hat, so muß das Pendel in die andere Richtung ausschlagen? Tabuisiert man die Frage nach dem Maßstab, so wird sich schließlich die Gotteslehre zum Spiegelbild der Anthropologie verwandeln. Die Bedürfnisse des Menschen nach Anerkennung und Strafe finden hier allzuleicht ein Projektionsschema.

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Soll also das Bekenntnis zu Jesus Christus eine logische Kohärenz haben, so muß dieser Maßstab in dem von ihm verkündigten Gott der reinen Liebe systematisch verankert werden und all die diesem Gottesbild scheinbar widersprechenden Texte und Traditionen interpretiert, eingeordnet, beurteilt und notfalls auch uminterpretiert werden. (20)

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Der Gott Jesu war ein Gott der reinen Liebe und des grenzenlosen Verzeihens. Wenn Jesus also das Gericht predigte, so keineswegs im Sinne des janusköpfigen Gottes. Vielmehr blieb er zuerst der bereits im Alten Testament vorgezeichneten Linie treu, die das Gericht als Selbstgericht der sündigen Menschheit verstanden hat. Im Kontext seiner radikal neuen Botschaft der bedingungslosen Vergebung bekam aber die formal in den Schriften des Alten Testaments vorgezeichnete Linie, inhaltlich doch eine neue Nuance: Nachdem Gott die bedingungslose Liebe und die bedingungslose Vergebung als den neuen Maßstab gegenüber dem des Richtens, des Urteilens, des Verurteilens, aber auch dem der guten und schlechten Taten festgehalten hat, die Menschen aber, die sich im teuflischen Geflecht der Abschiebung von Schuld und der behaupteten Selbstgerechtigkeit befinden, sich nicht auf diesen neuen Maßstab eingelassen haben, sondern, anstatt auf die Vergebung zu setzen, lieber auf das rechte Urteil pochen, müssen sie doch den von ihnen selbst geforderten Maßstäben unterworfen werden. Sie werden gerichtet, wie sie es selber wollen, nach ihren Taten und ihren Absichten und ihren Gedanken, (21) und sie werden feststellen müssen, daß nicht irgendwelche Feinde oder Andere vor den Augen Gottes nicht bestehen können - wie das die Apokalyptik erhoffte -, sondern sie selber. Sie selber verdammen sich aufgrund ihrer eigenen Maßstäbe in die Hölle (22). So offenbart die jesuanische Gerichtspredigt die radikale Verlorenheit der ganzen Menschheit im satanischen Geflecht der Anschuldigung und Schuldabschiebung. Sie verschiebt also die Perspektive: Es geht nicht mehr um die guten oder schlechten Taten; die ethische Perspektive verblasst radikal vor der soteriologischen.

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3. Gericht im Kreuz

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Die systematische Theologie machte darauf aufmerksam, daß es von einer ungeheueren theologischen Tragweite ist, daß derjenige, der das Gericht angekündigt hat, gemäß der Darstellung in den biblischen Schriften selber gerichtet wurde. (23) In unserem Kontext würde dies nun heißen: Die jesuanische Gerichtspredigt bringt nicht nur inhaltlich neue Impulse hinzu. Durch das der jesuani-schen Gerichtspredigt folgende Kreuzesgeschehen wird der theologische Ort für die Gerichtsproblematik radikal neu bestimmt. Gericht ist nun primär im Zusammenhang mit dem Geschehen der Erlösung zu sehen und nicht im Kontext der letzten Dinge. Doch was heißt das konkret?

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In der durch die prophetische Botschaft und die apokalyptischen Visionen vorbereitete Denklogik sieht die an M. Luther anknüpfende Tradition das Gericht, das im Kreuz stattgefunden hat, analog zum menschlichen Gericht. Da die Verfangenheit in der teuflischen Situation letztlich radikal widergöttlich ist, gibt es für Gott keinen anderen Ausweg als diese teufliche Situation zu zerstören und eine neue Schöpfung, die den Maßstäben der Gottesherrschaft entspricht, zu schaffen. Diese Grundannahme wird nun am Kreuzesgeschehen konkretisiert. Das Wunderbare am Kreuzesgeschehen sei, daß das Gericht nicht an dem der Sünde und der Verurteilung verfallenen Menschen vollzogen wird, sondern an dem sündenreinen Christus. Er wird an unserer Stelle vom himmlischen Vater gerichtet; er wird von diesem zerstört (und dann auch von ihm neu geschaffen). Das Gericht wird demnach von Gott vollzogen, der sich dafür menschlicher Werkzeuge bedient (die Gegner Jesu offenbaren diesen vernichtenden Willen Gottes).(24)

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Hier ist zu fragen, ob diese Auffassung richtig ist. Wenn der Vater den zur Sünde gewordenen Christus, gewissermaßen als den Inbegriff seines Feindes, doch vernichten muß, ist das nicht jene Logik der apokalyptischen Bilder, in denen Gott seine Feinde vernichtet? Dann wäre die Predigt Jesu von einem Gott, der seine Sonne über Gute und Böse aufgehen und seinen Regen über Gerechte und Ungerechte regnen läßt, einem Gott der radikalen Feindesliebe doch eine, wenn auch vielleicht gut gemeinte, Täuschung. Gottes Feindesliebe wäre dann auf eine Art Toleranz zu reduzieren, die irgendwann ihre Grenze erreicht. Man muß also vom so gedachten Kreuzesgeschehen entweder die Botschaft der Feindesliebe (und das jesuanische Gottesbild) in Frage stellen oder aber das Kreuzesgeschehen in der Logik der radikalen Feindesliebe des Vaters, ohne subtile Gewaltimpulse, interpretieren.

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Jene Theologie, die das Kreuz als Gericht interpretiert, geht radikal von der These der Stellvertretung aus: Christus habe sich mit den Sündern identifiziert und sei so zur Sünde geworden, ja sogar zum Sünder. Was bedeutet dies aber im Kontext der einander anschuldigenden Menschen konkret?

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Je nach Perspektive zeigt nämlich eine solche Stellvertretung den Inbegriff der satanischen Logik (man könnte fast sagen: den Höhepunkt der Sünde) oder aber sie erscheint als Inbegriff der Gottesherrschaft angesichts der Sünde. Der satanischen Verurteilungslogik verbunden - und deswegen auch verblendet - sind die Gegner Jesu, die das Gericht über ihn halten, fest davon überzeugt, diesen zurecht, im Namen des Gesetzes, ja sogar im Namen Gottes, zu verurteilen. Faktisch aber tun sie nichts anderes als das, was sie seit eh und je getan haben: Sie schieben ihre Schuld ab. Sie rotten sich gegen ihn zusammen.

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Jesus selber handelt anders: Er identifiziert sich mit ihnen. Was bedeutet aber seine Identifikation mit den anschuldigenden, verurteilenden Menschen? Hat sich Jesus mit jenen Taten seiner Gegner identifiziert, durch die sie ihn verurteilt haben? Dies würde bedeuten, daß er im Grunde der Logik der Schuldabschiebung zugestimmt hat, daß auch er sich zum Sünder, also zum Verurteilenden, zum Anschuldigenden, mindestens im Hinblick auf sich selber, machen ließ. Wie konnte er dann die Anschuldigung überwinden? Gilt es hier nicht zu unterscheiden?

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Indem Jesus, der radikal Sündenreine, zur Sünde gemacht wurde, legte er zuerst die bisher unentwirrbare Verflechtung zwischen dem Opfer der Sünde - dies wäre er selber - und dem Täter - dies sind seine Gegner - bloß, zwischen dem Opfer der Anschuldigung und dem Anschuldiger. Er identifizierte sich mit den ihn verurteilenden Menschen, aber nur insofern diese Opfer der Sünde und der Anschuldigung waren, nicht aber insofern sie Täter derselben sind. Die apokalyptische Klarheit der beiden Lager wird zum ersten Mal unterlaufen: Nicht zwei verschiedene Menschengruppen stehen im Kreuzesgeschehen, diesem Höhepunkt der Sünde und des Gerichts, einander gegenüber, wie dies bei menschlichen Gerichten der Fall ist. Als Täter, als Richter, als Anschuldigende, verwerfende und tötende Menschen bilden diese das Lager der Gegner Christi, insofern sie aber in ihrem richtenden und verwerfenden Tun doch Opfer der Anschuldigung und der Sünde sind, sind sie diejenigen, mit denen sich Christus, nun selber das Opfer der Sünde, identifiziert. Christus identifiziert sich mit den Opfern, um aus dieser Position das anschuldigende Richten zu verwandeln.

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Das radikale Ausgeliefertsein an die falsche Anschuldigung, das radikale Opfersein, das unter den Bedingungen der satanischen Mechanismen von den Menschen durch Abschieben der Schuld und weitere Anschuldigung zum radikalen Sich-Verschließen in der anklagenden Selbstgerechtigkeit führt, wird von Jesus schon dadurch verwandelt, daß er, getragen vom Vertrauen auf den Gott der grenzenlosen Feindesliebe die Anschuldigung nicht weitergibt, sondern sie durchleidet - "er wurde geschmäht; schmähte aber nicht, er litt, drohte aber nicht ..." (1 Petr 2,23). Schon auf diese Weise unterbricht er das tödliche Geflecht des Anschuldigungsmechanismus. Er unterbricht diesen aber nicht nur, er transformiert ihn radikal. Diese Transformation besteht nun darin, daß er "das radikale Ausgeliefertsein gegenüber seinen Feinden, wie er es im Getötetwerden erfuhr, zum radikalen Ausgeliefertsein gegenüber seinem Vater (der im ganzen Kreuzesgeschehen die reine Liebe ist) gemacht" hat. (25) Aus der Kraft dieser Hingabe konnte er, das verurteilte und sich mit den anderen solidarisiernde Opfer auf eine radikal neue Art und Weise als Täter in die menschliche Geschichte eintreten, aber nicht als Täter, der die Anschuldigung weitergibt, und auch nicht als einer, der nur noch verstummt, in seinem Herzen aber auf Rache und Vergeltung hofft wie die Apokalyptiker, sondern als Täter, der das Wort der Vergebung spricht.(26) Dort, wo er nur noch geschmäht, verurteilt, getötet, also nur "gehandelt" wurde, dort, wo er sein Opfersein nur noch erleiden konnte, dort handelte er als Opfer und er handelte neu und anders als die Opfer es normalerweise tun . Er gab sich an seinen Vater hin und entzog sich seinen ihn verurteilenden Tätern. Diese Differenz ist für die systematische Theologie von entscheidender Bedeutung. Der Bezugspunkt des jesuanischen Handelns in seinem Tod bleibt bis zum Schluß sein Vater, und niemals seine Gegner. Jesus übergibt sich seinem Vater, der seinerseits ihn den Tätern "überliefert", aber nicht im aktiven Sinn, sondern indem er zuläßt, daß die Gegner ihn töten (27). Seine Verurteilung, Ausstoßung und Tötung wurde dadurch von Jesus zur höchsten Aktivität der Hingabe an den Vater der reinen Liebe transformiert.

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Das satanische Beziehungsgeflecht der Anschuldigung, der gegenseitigen Schuldabschiebung und der Lüge in richtender Selbstgerechtigkeit wurde nicht nur aufgesprengt, es wurde durch dieses eine Opfer verwandelt. Dies bestätigt nun das Urteil des himmlischen Vaters, denn auch das Handeln des Vaters wird von den biblischen Schriften im Horizont des Gerichts geschildert, doch nur das Handeln an Ostern (1 Petr 2,23). Das Urteil des Vaters ist eine Entscheidung für jenen Sohn, der sich für seine Ankläger in den Tod gegeben hat.Inhaltlich bedeutet aber dieses Urteil des Vaters in unserem Zusammenhang nichts anderes als die Entscheidung, dieses Opfersein Jesu, sein Ausgeliefertsein an das Urteilen, Verurteilen, Ausstoßen und Töten durch seine Gegner, jenes Opfersein, bei dem er sich mit allen Opfern identifizierte, und die Verwandlung dieses Opferseins durch Jesus in die Hingabe an den Gott der reinen Liebe, einer Hingabe, aus der die Kraft zur Vergebung entspringt, diese menschlichen Akte des Opfers Jesu zum Ansatz der "neuen Schöpfung" zu machen. Das österliche Urteil ist ein Urteil zugunsten dieser Richter und dieser Ankläger. (28)

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Was dieses Urteil konkret auszusagen vermag, verdeutlicht Schwager durch den Vergleich mit dem Gleichnis von den bösen Winzern (Mk 12,1-12 parr). Die Güte des Weinbergbesitzers kennt trotz aller Langmut und Geduld letzlich doch ein Ende und schlägt in Vergeltung um. Das österliche Urteil des Vaters aber offenbart anstatt der Vergeltung noch einmal ein neues Element der Vergebung für jene, die das bedingungslose Vergebungsangebot Gottes abgelehnt und sich deshalb auch radikal dem Selbstgericht ausgeliefert und den Sohn verworfen haben (29).

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Die lange Geschichte der Offenlegung und Überwindung des Anschuldigungsmechanismus findet so ein Ende. Sie zeigt den Menschen als gespalteten. Als Opfer der Anschuldigung neigt der Mensch dazu, das Böse weiterzugeben, um dadurch selber zum Täter zu werden. Die biblische Offenbarung demaskiert ihn zwar als Täter, sie klagt die Schuld an und fordert Umkehr (ethische Komponente), doch gleichzeitig zeigt sie, daß der Mensch viel tiefer, über diese Dimension hinaus, der Umkehr bedarf. Wie tief diese Umkehr gehen muß, zeigt das Geschick Jesu Christi. Erst diese bewußte Vergebung, anstelle der Anschuldigung, vermag den Kreislauf des Anschuldigungsmechanismus zu unterbrechen und zu verwandeln.

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4. Warum aber dann noch das Letzte Gericht?

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Wenn, theologisch, das letzte Wort über die Geschichte der einander anschuldigenden Menschen im Kreuz seitens Gottes und stellvertretungsweise auch seitens der Menschen (durch Jesus) gesprochen wurde, wenn inhaltlich nichts Neues hinzukommen kann, warum dann die Hoffnung auf das Letzte Gericht?

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Christus habe sich, so sagten wir, mit einem jeden Menschen, insofern er in seinem auch zu verantwortenden Tun nur Opfer der Sünde und Opfer der Anschuldigung ist, identifiziert. Dies ändert aber nichts daran, daß der Mensch als Anschuldigender und Täter der Sünde weiterhin in der Allianz der Gegner Christi bleibt. "Auch in der nachösterlichen Zeit bleibt die Dramatik des Gerichts bestehen." (30) Wenn nun aber der Mensch aus der Kraft der Identifikation mit dem Opfer Christus, nicht mehr als Anschuldigender, sondern als Vergebender handelt, so verwandelt auch er, zusammen mit Christus, das ungeheuere Potential an Tränen, Flüchen, Leid und Tod. Doch dies ist zwar keineswegs die Realpolitik, weder im Staat, noch in der Gesellschaft, noch in den Kleingruppen, und auch nicht immer in der Kirche. Diese bleibt weiterhin durch die Mechanismen der Anschuldigung und der Sündenböcke strukturiert. (31)

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Doch dies ist kein Gegenargument gegen den Glauben, daß die Menschheit wurde und kein Gegenargument gegen die Hoffnung, daß diese Erlösung auch einem jeden zuteil werden kann.

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Wenn aber der Nachdruck auf bewußte Vergebung gelegt wurde, so muß diese Hoffnung Bilder entwerfen, (32) die zur vergebenden Liebe motivieren und den Glauben an die im Kreuzesgeschehen stattgefundene Umprägung des Gerichts stärken. So genügt es für die Eschatologie nicht, das alte apokalyptische Bild zu depotenzieren, es für zeitbedingt zu erklären oder gar zu verdrängen; dieses Bild muß durch soteriologische Impulse gereinigt werden.

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5. Noch einmal das Bild

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Wir glauben an die Auferweckung der Toten. Was bedeutet dies in der Logik des Bildes und nicht der Theorie?

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"Auferweckung der Toten", das ist zuerst die dem menschlichen Wunsch doch so wichtige Begegnungsmöglichkeit mit all den Menschen, die mir Gutes getan haben, mit Vater und Mutter und all den Lieben, wie dies oft an den Gräbern zu lesen ist. "Auferweckung der Toten", das ist auch die Begegnungsmöglichkeit mit all jenen, die sich an mir verschuldet haben, jenen, die ich verflucht habe und denen ich Vergeltung wünschte. Hier enden die menschlichen Wünsche. Aber "Auferweckung der Toten" ist doch auch die Begegnungsmöglichkeit mit jenen, an denen ich mich verschuldet habe. In unserem Kontext heißt dies nichts anders als dies: All diejenigen, die ihre Schuld auf mich abschoben, all diejenigen, die ich beschuldigte, all diejenigen, die mir den Lebensraum beschnitten haben und all jene, denen ich den Lebensraum zerstört habe, werden mit mir konfrontiert.

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Wenn aber das klassische Bild des Letzten Gerichts nun von der Klarheit über gute und böse Taten gesprochen hat, so wird diese Klarheit vor allem das Verhältnis von Opfer und Täter in einem jeden Menschen betreffen. Zugespitzt formuliert: Wenn schon Hitler und seine Henker mit den Opfern von Auschwitz und Stalin mit jenen vom Archipel Gulag, die Opfer von Hiroschima mit all den Politikern und Wissenschaftlern, die ihren Tod verschuldet haben, konfrontiert werden, wenn uns, den Bürgern der entwickelten Welt, Millionen von Kindern aus der Dritten Welt direkt in die Augen blicken und schließlich auch die Ungeborenen oder die um ihr Lebensrecht Betrogenen ihr Recht auf Leben einklagen werden, so wird diese Begegnungssituation erst recht unerträglich, wenn man bedenkt, was nun die Klarheit über das Problem, bis zum welchen Maßstab die Täter nur Opfer waren, mit sich bringt. Welch ein gewaltiges Entschuldigungs- und neues Beschuldigungsszenario wird da realisiert?

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Das Bild hat zwei Seiten: All diejenigen, die mich um mein Recht gebracht haben, die sich an mir verschuldet haben, deren Opfer ich geworden bin, treten vor mich als Täter. Als ihr Opfer werde ich über ihre Gerechtigkeit urteilen können. Es liegt an mir. Was werde ich fordern? Vermutlich werde ich auf mein Recht pochen und Vergeltung und Rache verlangen.

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Gleichzeitig werde ich aber mit all den Opfern meines Lebens, meiner Lüge, meiner Anschuldigung konfrontiert. Sie werden dasselbe Recht mir gegenüber haben. Auch sie werden vermutlich auf ihr Recht, auf Vergeltung und Rache pochen; ich aber werde meine Unschuld beteuern, indem ich andere beschuldige und die mir zugedachte Vergeltung und Rache weitergebe. Ein wahrhaftiger "Dies irae" - Ein Tag des Zornes, nach der besten biblischen Tradition, könnte es werden, wenn es an diesem Tag nur auf uns ankäme. Dann würde sich die Menschheit, ohne das Zutun Gottes, gegenseitig in die Hölle (der Anschuldigung, der Abschiebung und der Lüge) verdammen. Jeder würde auf seinen Opferstatus pochen, Vergeltung verlangen und die ihm zustehende Vergeltung an die anderen abschieben.

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Es wird aber an diesem Tag des Zornes noch eine Konfrontation geben, die von entscheidender Bedeutung ist, die Konfrontation mit der unermeßlichen Güte und der Vergebungsbereitschaft Gottes. Diese in der biblischen Geschichte, kulminierend im Geschick Jesu Christi, geoffenbarte Güte wird, so hofft es jedenfalls der Christ, das Entscheidende zu sagen haben. Dies schon deswegen, weil in ihrem Namen in der Geschichte der Christenheit unzähliger Menschen aus diesem Impetus und dieser Kraft heraus die Bannkreise der Anschuldigung durch ihre zuvorkommende Verzeihung und Güte immer wieder unterbrochen und auch ein Stück verwandelt haben ("Gnadenunterbrechungen" in der Nachfolge Christi), weil unzählige im Gebet und stellvertretenden Tun für die Toten deren Potential an Schuld nicht weitertradiert oder gar vergrößert, sondern im Voraus für vergeben erklärt haben. Und schließlich deswegen, weil, konfrontiert von Angesicht zu Angesicht mit Gott, der uns verurteilen und uns in der von uns selbstgewählten Hölle lassen konnte, der uns aber durch Christus bis in diese Hölle des Opferseins begleitet hat und dort noch einmal den Ausstieg aus dem Teufelskreis von Recht und Vergeltung gezeigt hat, indem er als Opfer dem Täter die zuvorkommende Vergebung schenkte, weil konfrontiert also mit dieser radikalen Vergebungsgnade, kaum einer diese Vergebung verweigern kann und anachronistisch auf sein Recht und seine Vergeltung pochen wird.

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Daß diese Konfrontation "schmerzhaft" - "wie durch das Feuer hindurch" - sein wird, (33) versteht sich angesichts unserer Erfahrung von selbst. Dies ändert aber nichts an der Hoffnung, daß der Tag des Zornes sich in einen Tag der Vergebung, der Gnade, der Barmherzigkeit verwandeln wird.

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Anmerkungen:  

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 1. Es war die Vorlesung vom damaligen Innsbrucker Neutestamentler N. Kehl, Die Botschaft Jesu . Innsbruck (Manuskript) 1972f.

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2. Vgl. K. Rahner, Theologische Prinzipien eschatologischer Aussagen. In: Schriften zur Theologie IV. Einsiedeln - Zürich 21961, 401-428.

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3. Die deutsche Synode hat dem Thema des Gerichts im Text "Unsere Hoffnung" einen wichtigen Stellenwert zugemessen. Sie sieht im Gericht einen Akt der gerechtigkeitsschaffenden Macht Gottes. Diese sei doch stärker als der Tod, der nur scheinbar und oberflächlich das letzte Wort über die ungerechten Zustände in unserer Geschichte spricht, indem er die Herrschaft der Herren und die Knechtschaft der Knechte als gegeben sanktioniert. Von der Hoffnung auf diese gerechtigkeitsschaffende Macht Gottes getragen müssen Christen für die Schaffung einer "gerechteren Welt" eintreten. Vgl. Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland. Beschlüsse der Vollversammlung. Offizielle Gesamtausgabe I. Freiburg 31977, 92f.

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4. Zu der westlichen theologischen Tradition vgl. J. Niewiadomski, Die Sorge um die ganze Bibel. Augustinus' Bemühung um den biblischen Gott des Zornes. In: BiLi 59 (1986) 238-246.

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5. Vgl. R. Schwager - J. Niewiadomski, Bergpredigt - Gericht - Politik - Friede. In: Stimmen der Zeit 201 (1983) 587-599.

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6. J. Niewiadomski, Faszination der Atombombe und Nuklearrausch: Der Mensch als Untier. In: Mensch - Natur - Gesellschaft. 2/3(1986) 32-35.

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7. So: R. Schwager, Jesus im Heilsdrama. Entwurf einer biblischen Erlösungslehre. Innsbruck (ITS 29) 1990, 108.

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8. Das Gottesbild der fundamentalistischen Gruppierungen bleibt der Tradition des göttlichen Zornes verpflichtet. Vgl. J. Niewiadomski, "Wohl tobet um die Mauern..." Fundamentalistische Bewegungen in der katholischen Kirche. In: Die verdrängte Freiheit. Fundamentalismus in den Kirchen. Hg. von H. Kochanek. Freiburg i. Br. 1991, 156-180.

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9. Dies ist im Grunde dieselbe Schwierigkeit, die der augustinischen Theologie des göttlichen Zornes eigen ist. Vgl. J. Niewiadomski, Vom verfluchten zum nichterwählten, aber doch verdammten Esau. Prädestinationsdilemma im Licht der Theorie von René Girard. In: Congresso Internationale su S. Agostino nel XVI Centenario della Conversione. Atti III (Studia Ephemeridis "Augustinianum" 26) Roma 1987, 297-307.

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10. Drei Muster zur Erklärung des Mißerfolgs, der Katastrophen und des daraus resultierenden Leids halten sich in der Geschichte durch: der klassische Rückgriff auf die Natur und irgendeine Notwendigkeit (göttliche oder teuflische Vorherbestimmung), die "moderne" Bereitschaft, die Verantwortung zu übernehmen, aber die Katastrophe zu erklären ("der Erfolg hat empirische Väter, der Mißerfolg transzendentale": O. Marquard, Schwierigkeiten mit der Geschichtsphilosophie. Frankfurt a. M. 1973,73. ) und die Anschuldigung, die "Anderen" sind am Unglück schuld.

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11. "In der Welt, wie sie sich mir in der Geschichte darbietet, gibt es eine Hauptsünde, die die Menschheit in all ihren anderen Sünden festhält ...: die Selbstgerechtigkeit." H. Butterfield, Christentum und Geschichte. Stuttgart 1952, 50f.

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12. In der kollektiven Abschiebung der eigenen Schuld auf andere sieht R. Schwager das Wesen des Satanischen, wie es in der biblischen Offenbarung (v.a. im Kontext der Passionsgeschichte) beschrieben wird. "Das Satanische erweist sich ... als die kollektive Dimension des Bösen, als Tendenz einer Menschheit, die sich in sich selber verschließt und das Verborgene auf andere projiziert." R. Schwager, Der Böse, das Böse und der gute Gott. In: Leid, Schuld, Versöhnung. Hg. v. P. Gordan. Graz 1990, 87.

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13. Diese Annahme entspringt der Theorie über den Ursprung des gesellschaftlichen Friedens im Sündenbockmechanismus wie sie R. Girard aufgestellt hat. Vgl. R. Girard, Das Ende der Gewalt. Analyse des Menschheitsverhängnisses. Freiburg 1983; ders., Das Heilige und die Gewalt. Zürich 1987; ders., Der Sündenbock. Zürich 1988; ders., Hiob. Ein Weg aus der Gewalt. Zürich 1990.

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14. Vgl. die Interpretation der biblischen Schriften in: R. Schwager, Brauchen wir einen Sündenbock? Gewalt und Erlösung in den biblischen Schriften. München 1978.

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15. Die Impulse der Befreiungstheologie bleiben dieser Logik verpflichtet. Sie vertraut darauf, daß Gott der Gerechtigkeit zum Durchbruch verhelfen muß, indem er die Beherrscher verdammt und die Unterdrückten errettet. "Je schlimmer man seine Ohnmacht erfährt und seine Schwäche empfindet , ... desto deutlicher das Bewußtsein, daß es ein göttliches Gericht geben muß". J. B. Libanio - M. C. Lucchetti Bingemer, Christliche Eschatologie. Die Befreiung in der Geschichte. Düsseldorf 1987, 216.

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16. Für M. Schmaus, Katholische Dogmatik 4/2. München 31948, 184 gilt es, Mt 25 als "Vorschau auf das Jüngste Gericht" zu lesen. Auch J. Auer, "Siehe ich mache alles neu". Der Glaube an die Vollendung der Welt. Regensburg 1984, 127 systematisiert die Bilder: "Wenn zu jedem Gericht Untersuchung, Urteilsspruch und Vollstreckung gehören, ist hier zu sagen: Die Untersuchung wird nach der Darstellung der Schrift durch 'Aufschlagen der Schuldbücher' vollzogen... . Der Urteilsspruch an den einzelnen ist wohl innerlich, aber für die anderen verständlich. Allen vernehmbar ist das Urteil an die Gesamtheit der Verdammten. ie Urteilsvorllstreckung erfolgt sofort." Selbst L. Boff, Was kommt nachher? Das Leben nach dem Tode. Salzburg 1982, 116 scheint dem Grundmodell der perfekten Justiz verpflichtet zu sein, besteht doch für ihn das Zentrum der Aussage darin, daß Gott jedem Menschen vergelten (wird), wie es seine Taten verdienen". Die älteren Handbücher unterschieden noch scharf zwischen dem besonderen Gericht, das sofort nach dem Tod vollzogen wird (von vielen Autoren mit dem Selbstgericht in Verbindung gebracht, insofern die Seele aus eigener Initiative vom Bewußtsein der Schuld oder Unschuld bestimmt, ob sie in die Hölle, in den Himmel oder ins Fegefeuer gelangt - so z.B. J. Pohle, Lehrbuch der Dogmatik in sieben Büchern. Für akademische Vorlesungen und zum Selbstunterricht. Paderborn 21905, 656f) und dem letzten Gericht, bei dem die definitive Scheidung von Guten und Bösen erfolgt, der Mensch als "Glied der menschlichen Gesellschaft vor der ganzen Menschheit gerichtet" wird und die feierliche Verkündigung der ewigen Geschicke aller Menschen stattfindet. Vgl. noch L. Ott, Grundriss der katholischen Dogmatik. Freiburg 81970, 588.

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17. "Wie immer der Mensch vor Gott steht, bußwillig oder unbußfertig, Gott vergibt zunächst einmal voraussetzungslos, bedingungslos . Das übersteigt selbst die theologisch tiefste Umkehrvorstellung der alttestamentlichen Propheten, wonach Gott indem er den Menschen zur Umkehr bewegt, vergibt. Nach Jesus erklärt Gott die Schuldvergangenheit des Sünders apriori für irrelevant: Die Vergebung geht zeitlich und logisch der Umkehr voraus." H. Merklein, Die Gottesherrschaft als Handlungsprinzip. Untersuchung zur Ethik Jesu. Würzburg 1978, 204.

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18. Ob die Propheten, die das bedingungslose Gericht Gottes gepredigt haben, dies nicht aus der Verzweiflung über diesen Zusammenhang getan haben und weniger, weil sie von der Unfähigkeit der Bekehrung des Volkes überzeugt waren?

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19. K. Erlemann, Das Bild Gottes in den synoptischen Gleichnissen, Stuttgart 1988, 279.

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20. Eine solche systematische Arbeit hat die Theologie schon immer betrieben. Man kann bereits auf die platonische Tradition der nach bestimmten ethischen Maßstäben vollzogenen Mythenkritik als Programm für Theologie hinweisen, vor allem aber auf die Bibelkritik im Namen der Apatheianorm. Alle großen theologiegeschichtlichen Aufbrüche sind durch die Entscheidung gekennzeichnet, einen solchen Maßstab bewußt in die Mitte der Schriftinterpretation, des systematischen Ansatzes und des spirituellen Programms zu stellen (vgl. Luther und sein Programm des in der theologia crucis greifbaren gnädigen Gottes). Die historisch-kritisch arbeitende Exegese, die eine solche Einheit zuerst in Frage stellt, leistet zwar eine wertvolle Arbeit im Hinblick auf die kritische Beurteilung solcher systematischen Ansätze, ersetzen kann sie die systematische Theologie keinesfalls. Wo dies unreflektiert geschieht, reduziert sich eine solche Gleichsetzung im besten Fall zur fundamentalistischen Glaubenspraxis.

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21. Vgl. die Interpretation der "Gerichtsgleichnisse" durch R. Schwager, Jesus (s. Anm. 8) 91: Im Gleichnis vom unbarmherzigen Gläubigen, handelt der Herr, "der zunächst reine Güte war, ... nach dem Versagen des Knechtes genau nach der Norm, die dieser - trotz der Erfahrung des Beschenktwerdens - im Umgang mit dem Mitknecht angewandt hat."

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22. "Da jeder Schuldner ist, kann keiner diesen Prozeß bestehen; die Forderung nach Vergeltung wird immer größer, und der Zielpunkt dieses sich aufschaukelnden Prozesses kann nur heißen: Hölle." R. Schwager, Jesus (s. Anm. 8) 92.

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23. Es ist vor allem Karl Barth, der diesen Gedanken zum Zentrum seiner Theologie gemacht hat. Vgl. R. Schwager, Der wunderbare Tausch. Zur Geschichte und Deutung der Erlösungslehre. München 1986, 232-272 (Der Richter wird gerichtet. Zur Versöhnungslehre von Karl Barth).

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24. "Es sind in dem, was Jesus widerfährt, die beteiligten Menschen, Juden und Heiden... bei aller offenkundigen höchsten Schuldhaftigkeit und Verwerflichkeit ihres Tuns doch nur Instrumente in der Hand Gottes, Agenten und Exekutoren seines 'festgesetzten Ratschlusses und Vorsatzes'." K. Barth, Kirchliche DogmatikIV/1. Zollinkon-Zürich 1953, 262.

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25. R. Schwager, Jesus (s. Anm. 8) 240.

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26. Ansatzweise bereits im Sterben - "Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun" (Lk 23,34) - und radikal als Auferweckter - "Der Friede sei mit euch" (Lk 24,36).

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27. Die Verwischung dieser Differenz brachte W. Popkes, Christus Traditus. Eine Untersuchung zum Begriff der Dahingabe im Neuen Testament (AThANT) 49) Zürich 1967, 286f. am konsequentestn zum Ausdruck: "Hier (im Kreuzesgeschehen) ist geschehen, was Abraham an Isaak nicht zu tun brauchte (vgl. Röm8,32): Christus wurde vom Vater in voller Absicht dem Schicsal des Todes überlasen; Gott hat ihn hinausgestoßen unter die Mächte des Verderbens, ob diese nun Mensch oder Tod heißen. Um den Gedanken in höchster chärfe zum Ausdruck zu bringen, könnte man mit den Worten der altkirchlichen Dogmatik sagen: die erste Person der Trinität verstößt und vernichtet die zweite." J. Moltmann, Der gekreuzigte Gott. Das kreuz Christi als Grund und kritik christlicher Theologie. München 1972 rückte diese Deutung von "paradidonai" ins Zentrum seiner Kreuzestheologie. Zur Kritik an dieser Art des theologischen Denkens vgl. J. Niewiadomski, Die Zweideutigkeit von Gott und Welt in J. Moltmanns Theologien. Innsbruck (ITS 9) 1982, 60-138.

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28. Vgl. R. Schwager, Jesus (s. Anm. 8) 174.

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29. Ebd. 174f.

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30. Ebd. 244.

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31. Gerade die Tatsache, daß die nachösterliche Gemeinde und auch die christliche Geschichte den Anschuldigungsmechanismus mit dem Bekenntnis zum Christus verbunden hat und nun im Namen des Gekreuzigten die "Feinde" verfolgte, zeigt, daß es keine Mechanik der Erlösung gibt. Vielmehr wird die Erlösung, wenn sie an eine Mechanik gebunden wird, pervertiert. Zum Problem des in diesem Zusammenhang besonders brisanten christlichen Antijudaismus vgl. J. Niewiadomski, Die Juden im Neuen Testament und bei den Kirchenvätern. In: Christen und Juden in Offenbarung und kirchlichen Erklärungen vom Urchristentum bis zur Gegenwart. Hg. von E. Weinzierl.(Veröffentlichugnen des Internationalen Forschungszentrums für Grundfragen der Wissenschaften Salzburg, Neue Folge Bd. 34) Wien 1988,13-31.

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32. Dies ist nicht nur die Aufgabe der Praktischen Theologie oder auch der Verkündigungspraxis. Gerade die Systematische Theologie muß sich um die neue Bilder bemühen.

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33. An diesem Ort müßte der Gedanke des Fegfeuers neu interpretiert werden. Auf den ersten Blick scheint dies dieselbe Logik wie jene von L. Boros in seiner Endentscheidungshypothese zu sein. Dies ist jedoch nicht der Fall. Die Endentscheidungshypothese von L. Boros arbeitet mit der Ausblendung eines dialogischen Modells. Boros lehnt einen besonderen Eingriff Gottes (im Gericht) ab: die Endgültigkeit des durch den Tod erreichten Zustandes gründet in der Geschöpflichkeit des Menschen selbst. Was im Moment des Todes entschieden wird, besteht in Ewigkeit, "der Akt (wird) zum Sein, die Entscheidung zum Zustand und die Zeit zur Ewigkeit". L. Boros, Mysterium Mortis. Der Mensch in der letzten Entscheidung . Olten 31964, 89. Das Gericht erübrigt sich, weil es nichts anderes ist als die Offenbarung der Liebe seitens Christi und die Entscheidung des Menschen gegenüber dieser Liebe". L. Boros, Erlöstes Dasein. Mainz 61966, 101.

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