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Jerusalem: Karfreitag und Ostern

Autor:Schwager Raymund
Veröffentlichung:
Kategoriekommentar
Abstrakt:
Publiziert in:# Originalbeitrag für den Leseraum
Datum:2002-03-31

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Zwischen den Klagen des Propheten Jeremias wird in der Liturgie des Karsamstags immer wieder gesungen: 'Jerusalem, Jerusalem, wende Dich zu Deinem Gott'. In diesen Tagen kann es kaum eine aktuellere Bitte geben, denn die Bewohner der Stadt und des umliegenden Landes wenden sich in bitterer Vergeltung gegeneinander. Sie zeigen der ganzen Welt, wie Gewalt stets neue Gewalt erzeugt. Ein Karfreitag liegt über dem Heiligen Land, der anzudauern droht, und es ist ein anderer Karfreitag, als der des Todes Christi. Auch Jesus stand in einem tödlichen Konflikt, er zog es aber vor, geschlagen zu werden als selber zu schlagen. Er verstand sich als der jüdische Gottesknecht, der von sich selber sagte: "Gott, der Herr, hat mir das Ohr geöffnet. Ich aber wehrte mich nicht und wich nicht zurück. Ich hielt meinen Rücken denen hin, die mich schlugen, und denen, die mir den Bart ausrissen, meine Wangen. Mein Gesicht verbarg ich nicht vor Schmähungen und Speichel" (Jes 50,6f). Solche Worte mögen für die Alltagspolitik als utopisch erscheinen. Sind sie aber nicht in der aktuellen Situation um Jerusalem die einzigen, die noch eine Hoffnung wecken? Erweist sich nicht die sogenannte 'Realpolitik', die gegenwärtig von beiden Seiten betrieben wird, als offene Selbstzerstörung? Die Spirale wechselseitiger Vergeltung kann nur dazu führen, dass die Palästinenser als Volk vernichtet und in die Zerstreuung, ins Exil getrieben werden. Das wird aber auch den Israelis schwere Opfer kosten und wohl lange Zeit als bittere Last auf dem jüdischen Volk liegen bleiben. Auf islamischer Seite werden nicht 'Terroristen', sondern 'Märtyrer' das kollektive Bewusstsein prägen, und entsprechende - emotionale und brutale - Reaktionen wecken. So können wir für den Augenblick wohl nur in die Bitte des Karsamstags einstimmen: 'Jerusalem, Jerusalem, wende Dich zu Deinem Gott'. Tröstlich ist, dass es wenigstens kleine Gruppen von Juden und Palästinensern gibt, die sich von den kollektiven Stimmungen der Vergeltung abwenden und sich gemeinsam - wie der Gottesknecht - von Gott die Ohren öffnen lassen. Sie sind lebendige Zeichen, das uns trotz eines bitteren und langen Karfreitags auf ein Ostern hoffen lassen.

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