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Lerne alles! Ansprache zur feierlichen Sponsion und Promotion ...
(... am Samstag, 9. Oktober 2021)

Autor:Lumma Liborius
Veröffentlichung:
Kategoriefak
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2021-10-10

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Lerne alles!

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Ansprache zur feierlichen Sponsion und Promotion am Samstag, 9. Oktober 2021

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Sehr geehrte Absolventinnen und Absolventen[1],
sehr geehrte Angehörige, Freundinnen und Freunde,
sehr geehrte Damen und Herren,

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zu einer Zeit, als meine Haare noch länger, zahlreicher und färbiger waren – es war gegen Ende des letzten Jahrtausends –, hat mein Name es zum ersten Mal in eine wissenschaftliche Publikation geschafft, obwohl ich noch nicht einmal begonnen hatte zu studieren.[2]

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                                                       *   *   *

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Ein Bekannter, der einige Jahre älter war als ich, schloss gerade seine Doktorarbeit über den spätantiken Bischof und Schriftsteller Paulinus von Nola ab, und weil ich es ziemlich cool fand, jemanden zu kennen, der eine Doktorarbeit schreibt, stellte ich mich fürs Korrekturlesen zur Verfügung. Zur Arbeit gehörte unter anderem eine neue Edition der Briefe des Paulinus. Mit einer Technik, die wir als prähistorischen Vorläufer des Scannens bezeichnen könnten, hatte der Doktorand die Texte aus einer älteren Ausgabe übernommen und für eine Veröffentlichung nach neueren Standards aufbereitet.[3] Nun war händisch zu überprüfen, ob der Scan tatsächlich mit der alten Buchfassung übereinstimmte.
Und zwar Buchstabe für Buchstabe.
Über mehrere hundert Seiten.
In spätantikem Latein.

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Und so kam ich in das Buch[4], nämlich mit einem Dank ins Vorwort.

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                                                        *   *   *

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Ich erzähle Ihnen das nicht, um Sie an etwas zu erinnern, das Sie ohnehin wissen, nämlich dass Wissenschaft manchmal sehr unromantisch sein kann, sondern weil ich über ebenjenen Doktoranden noch auf etwas völlig anderes gestoßen bin – Wissenschaft wird manchmal auch vom Zufall regiert –, und zwar ein Zitat des Hugo von St. Viktor aus dem frühen 12. Jahrhundert. Schon wieder Latein:

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Omnia disce, videbis postea nihil esse superfluum. Coarctata scientia jucunda non est.[5]

Lerne alles. Danach wirst du sehen, dass nichts überflüssig ist. Eine eingeengte Wissenschaft macht keine Freude.

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Lerne alles. Im Kroatischen gibt es ein schönes Wort für Universität: sveučilište, wörtlich „wo man alles lernt“. Auch das lateinische universitas hat ja etwas mit Gesamtheit und Fülle zu tun. Sie haben sich für eine bestimmte Studienrichtung entschieden, und Sie mussten sich dann recht kleinteilig organisieren und in einer Fülle formaler Regeln und inhaltlicher Anforderungen zurechtfinden. Es ist ja auch sinnvoll, dass Vergleichbarkeit zwischen den individuellen Leistungen und den akademischen Graden hergestellt wird – das geht nicht ohne Gesetze und Verwaltung. Ich hoffe aber, dass wir, die Lehrenden der Universität Innsbruck, Ihnen trotz aller Kleinteiligkeit des Studiums Brücken bauen konnten zwischen einzelnen Studieninhalten und der Fülle menschlichen Wissens und Erkennens. Kein menschlicher Erkenntnisbereich ist eine einsame Insel, letztlich ist alles mit allem vernetzt und hängt voneinander ab – an einer Universität soll das erfahren werden.

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„Lerne alles. Danach wirst du sehen, dass nichts überflüssig ist.“ Ich hoffe, Sie hatten Geduld: Geduld mit sich selbst und auch Geduld mit den Studieninhalten. Erkenntnisse rechtfertigen sich nicht dadurch, dass sie unmittelbar anwendbar wären, sondern dadurch, dass sie wahr sind. Und wenn sie doch falsch sind, dann sollen sie durch neue, bessere Erkenntnisse widerlegt und ersetzt werden. Erkennen um der Wahrheit willen: Das haben sich Universitäten zu allen Zeiten auf die Fahnen geschrieben. Auch die Teile aus Ihrem Studium, für die Sie selber keine unmittelbare Anwendung sehen, fließen ein in Ihre Art zu denken und die Welt zu verstehen. Vielleicht hatten Sie auch Gelegenheit, über den Tellerrand Ihres Studienfaches hinauszuschauen. „Danach wirst du sehen, dass nichts überflüssig ist.“

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                                                        *   *   *

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„Eine eingeengte Wissenschaft macht keine Freude.“ Das ist das richtige Stichwort für den heutigen Tag. Wissenschaft kann, darf und soll Freude machen. Und ich hoffe, dass für Sie der Tag der feierlichen Promotion oder Sponsion nicht der einzige Tag ist, der Ihnen in Ihrem Studium Freude macht, sondern dass das Studium selbst eine Freude war. Dass es Ihren Horizont erweitert, Sie persönlich begleitet und bereichert hat, Sie Freundschaften schließen und persönlich wachsen konnten.

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 „Lerne alles. Danach wirst du sehen, dass nichts überflüssig ist. Eine eingeengte Wissenschaft macht keine Freude.“

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Liebe Absolventinnen und Absolventen, die Universität Innsbruck sendet Sie nun mit einem akademischen Grad in die unterschiedlichsten Lebens- und Arbeitsbereiche. Hören Sie bitte nicht auf zu lernen, und bleiben Sie offen für neue Erkenntnisse. Ich wünsche Ihnen eine bleibende Freude an der Wissenschaft!

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Anmerkungen

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[1] Die Ansprache wurde gehalten für Absolventinnen und Absolventen der Philosophisch-Historischen Fakultät, der Fakultät für Bildungswissenschaften, der Fakultät für LehrerInnenbildung und der Katholisch-Theologischen Fakultät.

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[2] Um genau zu sein: Als das Buch erschien, hatte ich schon drei Semester hinter mir, aber der Grund für die Erwähnung lag vor meinem Studienbeginn.

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[3] Pontius Meropius Paulinus: Epistulae / Briefe. 3 Teilbände. Übersetzt und eingeleitet von Matthias Skeb (= FC 25). Freiburg u.a. 1998.

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[4] Matthias Skeb: Christo vivere. Studien zum literarischen Christusbild des Paulinus von Nola (= Hereditas. Studien zur Alten Kirchengeschichte 12). Bonn 1997.

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[5] PL 176, 801A.

 

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