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Du bist Petrus, der Fels
(Predigt in der Innsbrucker Jesuitenkirche, 21. Sonntag im Jahreskreis 2020)

Autor:Siebenrock Roman
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2020-08-25

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Lesung: Röm 11,33-35; Evangelium: Mt 16,13-20

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Nichts hat die katholische Kirche nach außen so geprägt wie das Wort Jesu an Simon Petrus aus dem heutigen Evangelium. Nichts aber hat auch so viel Streit und Unglück hervorgerufen, wie die Frage der rechten Deutung dieser Zusage des Herrn an den Fischer aus Galiläa: „Ich aber sage dir: Du bist Petrus – der Fels – und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen und die Pforten der Unterwelt werden sie nicht überwältigen. Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreichs geben; was du auf Erden binden wirst, das wird im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, das wird im Himmel gelöst sein.“

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Am Schlüssel kann bis heute jedes Kind den heiligen Petrus erkennen und in Riesenlettern stehen diese Worte im Petersdom, der den Anspruch der Päpste als Nachfolger Petri auf Treue und Gehorsam versinnbildlicht. Damit soll Orientierung und Verlässlichkeit in höchst gefährlichen Zeiten vermittelt werden: Von den „Pforten der Unterwelt“ spricht ja Jesus. Diese Kirche Petri, so die Botschaft des Evangeliums, wird bleiben. Für andere klingt dieses Wort angesichts der realen Geschichte der Päpste, die alle Größe und allen Absturz der Menschheitsgeschichte aufweist, wie ein schlechter Witz. Und auch wir Glaubende innerhalb der römisch-katholischen Kirche haben mit jenem Triumphalismus, der diese Zusage immer wieder hervorgerufen hat, nichts mehr am Hut. Gerade im heurigen Jahr, da vor 150 Jahren die päpstliche Vollmacht in nicht mehr überbietbarer Forum durch die Definition des Jurisdiktionsprimats und der Unfehlbarkeit auf die Spitze getrieben worden ist, stellt sich erneut die Frage, wie wir mit diesem Wort der Schrift umgehen sollen.

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Zwei beliebte Strategien, den Anspruch zu entschärfen sind altbekannt. Die Zusage gelte allein dem Petrus und es könne keine Rede davon sein, dass es sich auf Nachfolger und Päpste beziehen würde. Zumal wird der Glaube des Simon Fels genannt, nicht eine Amtsvollmacht institutionalisiert. Und überhaupt: Dieses Wort sei doch wohl kein authentisches Jesus-Wort, weil das griechische Wort für Kirche „ekklesia“ nur hier im Evangelium vorkomme und alle anderen Evangelien diese Zusage so nicht kennen würden. Eine Predigt ist nicht der Ort, eine Diskussion zu führen, zumal Sie als Hörende sich nicht einbringen können. So kann ich nur mit Ihnen teilen, warum mir dieses Wort bis heute wertvoll ist und warum ich keinen Grund finde, es zu verwerfen. Mir hilft oft folgende Vorgehensweise: Wenn ich mit einem Wort des Evangeliums nicht zurechtkomme, höre ich noch einmal genau auf das ganze Evangelium und suche den Ort zu erspüren, von dem her sich ein Weg eröffnet und, besonders in unserem Falle, auch den kritischen Stimmen ihr Recht einräumt.

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Zuerst ist festzuhalten, dass das Felsenwort, das die einzige Namensänderung eines Apostels durch Jesus beinhaltet, im Zusammenhang einer doppelten Frage steht: Für wen, so fragt Jesus, haltet ihr mich? Diese Frage an die Jünger stellt Jesus in einen weiteren Zusammenhang: Für wen halten die Menschen mich? Das Evangelium zählt verschiedene Antworten auf, die sich aus der Glaubensüberlieferung Israels ergeben: Lehrer, Prophet, der wiedergeborene Johannes oder sogar Elia, der Prophet des Weltenendes. Und seine Frage richtet Jesus seit Cäsarea Philippi an alle Menschen, die von ihm hören. Auch heute werden Antworten mit religiösem oder nichtreligiösem Hintergrund gegeben und immer mischen sich Aussagen über Jesus mit dem eigenen Lebensideal. Jesus sei ein Sozialrevolutionär, ein Befreier, ein Hippie, der neue Mann, der seine weiblichen Teile integrierte. In Indien kann er mit einem Avatar verglichen werden, in Afrika wird er Urahn genannt. Immer wird er in die Reihe der großen Weisheitslehrer der Menschheit gestellt. Wahrscheinlich kennen Sie alle noch andere Antworten. Die Frage, die Jesus damals an seine Jünger stellte, stellt er auch an uns heute, genauer gesagt: an mich: Welche Antwort gebe ich? Ich darf nicht einfach nachplappern, was Petrus vom Heiligen Geist erfüllt sagte. Verstehen wir wirklich noch seine Antwort: Messias oder Sohn Gottes? Glauben bedeutet niemals, wie Papageien zu reden. Ich bin gemeint und muss mit meinem Herzen so antworten, dass diese Antwort mein Leben selbst zum Ausdruck bringt, dass der Geist auch aus mir zu sprechen beginnen kann.

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Paulus kann uns dazu sicherlich ermutigen, weil er davon überzeugt war, dass allen eine besondere Gabe, ein Charisma geschenkt ist. Für ihn selbst war der Gekreuzigte, den er als der Lebendige erfahren hatte, die Gegenwart Gottes schlechthin. Die Gestalt Jesu ist für Paulus das Ja zu allen Verheißungen Gottes und die Fülle seiner Gegenwart. In der Stelle aus dem Römerbrief, die wir gehört haben, verdichtet er Gott als Schöpfer in Christus hinein: „Denn aus ihm und durch ihn und auf ihn hin ist die ganze Schöpfung“. In der Auslegung meiner Lieblingsstelle (Mt 11, 28-30), auf die am Herz-Jesu-Altar unserer Kirche verwiesen wird, ist für mich Jesus der Lebensmeister, ja der Urheber des Lebens (Apg 3,15). Er ist die Gegenwart des lebendigen Gottes, der alle Höhen und Tiefen des Lebens erfahren hat und der mir deshalb durch alle Dunkelheit hindurch immer wieder neu glaubhaft sein Herz, die Mitte seines Lebens selbst schenken möchte. Jesus Christus verkörpert für mich Liebe als Hingabe für das Leben der anderen. Mit und durch ihn darf ich mich unbedingt geliebt und, in den seltenen Augenblicken erfahrener Gnade, von der Urangst um mich selbst befreit erfahren. So weiß ich mich mit allem verbunden und eingeladen, in die Liebe der Hingabe einzutreten. Weil das Leben ein Geschenk ist, gewinnen ich es nur, wenn ich es verschenke.

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Für mich ist aber auch wichtig geworden, dass Jesus im Evangelium die Antworten der Menschen nicht kritisiert. Christus muss sich nicht entgegensetzen. So soll auch meine Antwort im Zusammenhang der vielen möglichen Antworten mitklingen und ich weiß, dass meine Antwort von der Kirche in ihrem verschlungenen Weg durch die Geschichte mit allen Menschen gespeist wird. Ich glaube immer mit der Kirche.

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Dann ist aber auch daran zu erinnern, dass dieses Wort Jesu an Petrus nicht das einzige oder gar das letzte Wort ist. Fünf Verse nach dem Felsenwort, als Petrus es wagte, Jesus vom Leiden abhalten zu wollen, wird er mit der schärfsten Kritik Jesu an irgendeinem Menschen zurückgewiesen: „Tritt hinter mich, du Satan! Ein Ärgernis bist du mir, denn du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen“ (Mt 16, 23). Fels und Satan: Diese Spannung scheint mir wie eine Interpretationsanleitung für die Geschichte der Päpste und der Kirche zu sein; aber auch eine Weisung für mich und uns. Der Fels ist also höchst gefährdet und das Evangelium hält uns in der Gestalt Petri, der ja im ganzen Neuen Testament eine besondere Rolle hat, den Spiegel unserer eigenen Stärken und Schwächen vor.

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Aber weder das Felsen- noch das Satanswort war die entscheidende Kommunikation Jesu mit Petrus. Ich liebe den Petrus, weil er, schwäbisch gesagt, von einem Fettnäpfle ins andere stolpert. Sein Leben bezeugt mir aber vor allem, dass ich immer neu umkehren kann. Er ist ja nicht nur der Fels, sondern wird auch zum Verräter. Aber genau in diesem Augenblick des Verrats schaut Jesus ihn so an, dass Umkehr möglich wird (Lk 22,61). Petrus ist für mich der Fels, der weint und unter Tränen umkehren kann. Und dies, nicht Schlüssel und Macht, ist für mich das Kennzeichen der Kirche Christi: Nur in jener Gemeinschaft kann die wahre Kirche Christi, d.h. er selbst angetroffen werden, die zur Umkehr fähig ist, die Schuld bekennen kann und Irrtümer zu revidieren vermag. Unsere Kirche hat seit dem letzten Konzil begonnen, der Reue und der Umkehr des Petrus einen konstitutiven Platz in ihrer Erinnerung einzuräumen. Leider gibt es in St. Peter in Rom noch keinen künstlerischen Ausdruck dafür. Doch der wird kommen. Vielleicht kann dafür hier in Innsbruck ein Modell entwickelt werden. Der Hahn auf dem Dach erscheint mir allein zu wenig ausdrucksstark zu sein.

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Ein dritter Aspekt des heutigen Evangeliums ist noch auszulegen. Mit dem Wort vom Binden und Lösen, das im Symbol der Schlüssel verdichtet wird, wurde in der Tradition die Vollmacht des kirchlichen Amtes begründet. Und auch in jüngster Vergangenheit wurde die Vollmachtsübertragung so verstanden, als ob der Herr im Himmel wäre und seinen Stellvertretern auf Erden die Geschäfte vollständig überlassen hätte. Gewiss ist er noch im Tabernakel, aber sonst, abgesehen von Wundern und Visionen, nur noch durch das Tun der Kirche in unserer Geschichte präsent. Diese Vorstellung scheint mir eine höchst gefährliche Verkürzung des Evangeliums zu sein. Denn das letzte Wort Jesu im Matthäus-Evangelium lautet: „Und siehe, ich bin mit euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ (Mt 28, 20). Dieses Wort sagt der Herr zu den zweifelnden elf Jüngern nach dem sogenannten Taufbefehl. Deshalb richtet sich Jesu Zusage nicht allein an die Apostel, sondern an alle Getaufte. Wir alle sind in der Taufe in den Tod und das Leben Christi hineingesenkt worden. In der Taufe hat Jesus allen, Dir und mir, dieses Versprechen gegeben: Ich bin bei Dir alle Tage bis zur Vollendung Deiner Welt und Zeit. Glauben bedeutet daher, sein Leben auf dieses Versprechen Jesu zu setzen. Das Wort Jesu an Petrus ist daher keine Zusage, die ihm allein gilt. Sie gilt ihm, insofern er die Kirche als Gemeinschaft aller Glaubenden verkörpert. Das hat übrigens auch das heute viel gescholtene Erste Vatikanische Konzil gesagt.

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Petrus verkörpert für mich Glanz und Elend der Kirche. Auch wir stehen in der Gefahr, den Herrn zu verraten, wenn wir nicht immer und zuerst nach dem Willen Gottes fragen. Dass es dann auch in der Kirche Streit geben wird, was nun der Wille Gottes in diesen konkreten Umständen wirklich sei, sollte uns nicht verwundern. Schon zwischen Paulus und Petrus funkte es ordentlich. Doch auf der einen Seite wusste Paulus, dass er vergeblich laufen würde, wenn er mit Petrus keine Gemeinschaft finden könnte (Gal 2,1-10; vgl. Apg 15,1-35). Deshalb erachte ich den Dienst des Petrus in der heutigen Kirche, die der Bischof von Rom auf sich nimmt, als eine Gabe für die Einheit der Kirche. Er ist bei aller menschlichen und amtlichen Unzulänglichkeit, die dieses Amt immer auszeichnen werden wird, unverzichtbar; – auch weil derzeit keine funktionierende Alternative eines solchen Dienstes in der Christenheit zu erkennen ist.

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Die Treue zu Petrus darf uns aber auf der anderen Seite nicht davon abhalten, in der Suche nach dem Individualwillen Gottes eine eigene Meinung zu entwickeln und diese in die Kirche einzubringen. Dass dann ein Ringen um den rechten Weg eintreten muss, ist selbstverständlich. Wichtig ist dabei jedoch, dass wir eine Streitkultur entwickeln, die auch dem anderen jenen Geist zuspricht, den wir selbst in Anspruch nehmen. Raymund Schwager hat dieses Wort des Ignatius als Schlüssel seines dramatischen Kirchenverständnisses immer hervorgehoben. Das bedeutet, dass wir in diesem Ringen auf die Gegenwart Christi setzen müssen, der seine Kirche auch so trägt, wie er Petrus im Verrat getragen hat. Ohne die Zusage seiner vergebenden und ermutigenden Gegenwart und ohne Menschen, die auch widersprechen und zur Erneuerung mahnen, wäre die Kirche schon längst untergegangen. Ich bin davon überzeugt, dass gerade Papst Franziskus in der heutigen Krise darauf setzt, dass die Glaubenden die Erneuerung der Kirche weitertreiben, in dem sie in der Kirche auftreten und nicht austreten.

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Der Fels, auf den die Kirche gebaut wird, ist nicht aus einem einzigen Gestein, sondern ein spannendes Gemisch. Er ist zusammengesetzt:

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  • aus unserem eigenen Bekenntnis und Leben, das in einer Mystik des Alltags immer neu nach dem Willen Gottes in dieser Stunde frägt,
  • aus dem Hören aufeinander, auch auf die Kirche aller Zeiten, besonders das Evangelium, für die der Dienst des Petrus steht
  • und auf jene Geduld und Sehweise, die Jesus für den Petrus hatte und auch heute für uns alle zeigt.
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Lassen wir uns in dieser Stunde in diese Seh- und Denkweise Christi, der vielfältig unter uns ist, hineinverwandeln. Und nehmen wir besonders jenes Versprechen ernst, das nach Lukas Jesus dem Petrus gibt, damit sein Glaube nicht erlösche (Lk 22,32): Wie damals betet der Herr auch in dieser Stunde für uns, für Dich und mich. Denn allein darauf können wir uns im Leben und im Tod verlassen.

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Amen, Komm Herr Jesus.

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