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Der offene Himmel. Eine Predigt zu Allerheiligen und Allerseelen

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2017-11-03

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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„Wir essen Brot, aber wir leben von Glanz“ (Hilde Domin, Die Heiligen)

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 „Brauchst keine Angst zu haben. Die Mama wird schon auf Dich schauen. Vom Himmel herab!“ Die ältere Frau nahm mich am Friedhof bei der Hand, drückte den 12-Jährigen an ihre Brust und vermittelte dem verstörten Kleinen die gläubige Gewissheit, dass der Himmel über ihm offen bleibt. Trotz des erfahrenen schmerzhaften Verlustes, trotz des Schattens, der scheinbar über seiner Kindheit und Jugend fortan liegen wird. Dem Ministranten waren die Worte und die Bilder sehr wohl vertraut. Schon jahrelang ministrierte er, auch bei Beerdigungen, bei denen ihn der gregorianische Gesang des Priesters geradezu berauschte: „Zum Paradiese mögen Engel dich geleiten!“ Die Kirche betete und betet ja, dass jeder zum Paradies gelangen möge, trotz der Schatten, in denen er sein Leben leben musste, trotz der Schatten, die der Verstorbene auf Erden hinterlassen hat. Desgleichen ergötzte mich Jahr für Jahr der Stimmungswechsel an Allerheiligen und Allerseelen. Das Bild des offenen Himmels am Vormittag: der Himmel, in dem die Heiligen sich der Lust an Gott hingeben, und wir, die normalen Christen, uns in ihrem Glanz sonnen und von diesem Glanz auch leben. Und dann die Stimmung am Nachmittag am Friedhof oder aber am Allerseelentag: die Erinnerung an die Angehörigen, eine Erinnerung, in der Licht und Schatten ineinander gingen und auch weiterhin gehen. Die melancholischen Requiem-Gesänge, das Bild des Fegfeuers, in dem all die Schatten, all die Folgen menschlichen Verhaltens derart durchglüht werden, dass die Verstorbenen zu leuchten beginnen, damit wir vom Glanz des Heiligen leben können. All die Bilder gingen in meiner jugendhaften Phantasie ineinander über. Und dann dazu noch der Anblick der Mutter, wie sie an diesen beiden Tagen in der Kirche weinend niederkniete, weil sie an ihre zwei Töchter dachte, die im Kindesalter im KZ starben, von denen sie aber erhoffte, sie einst im Himmel zu sehen. Die Mutter, deren Leben vom Schatten des Krieges überschattet wurde.

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Liebe Schwestern und Brüder, diese persönlichen Reminiszenzen kamen mir letzte Woche in den Sinn, als ich das Referat zur Eröffnung des Franziska und Franz Jägerstätter Institutes in Linz vorbereitete. Ich las wiederum die Briefe beider Eheleute durch, die sie in der Zeit der Gefangenschaft dieses österreichischen Eidesverweigerers – des inzwischen selig gesprochenen – Franz Jägerstätter einander geschrieben haben. Und ich war verblüfft darüber, wie oft da die Rede auf den Himmel kam. Ich war verblüfft darüber, welch große Bedeutung in diesen Briefen der Glanz hatte, der Glanz, von dem sie lebten und leben wollten, nicht aber das bittere Brot der Tränen, das sie im Alltag aßen. Diese lebendige Hoffnung auf eine ganz konkrete Vollendung ihres Lebens durch den Tod hindurch, auf den Glanz der Heiligkeit, diese Hoffnung war alles andere als ein billiger Trost. Sie motivierte sie beide zur Versöhnung. Zur Versöhnung mit ihrem eigenen Leben, das am Höhepunkt des ehelichen und familiären Glücks brutalst abgebrochen wird. Ja, liebe Schwestern und Brüder, erst in einer derart dramatischen Situation bekommen die Worte des heutigen Evangeliums (Mt 5,1–12) einen authentischen Klang: „Selig seid ihr, wenn ihr um meinetwillen verfolgt werdet. Freut euch und jubelt. Euer Lohn im Himmel wird groß sein.“ Die Hoffnung auf das Wiedersehen im Himmel motivierte Franziska und Franz Jägerstätter zur Versöhnung nicht nur mit sich selber, vor allem mit ihren Gegnern und Feinden. Nirgends ist da eine Spur des Hasses und des Ressentiments zu sehen. In der Hoffnung auf den offenen Himmel, den Himmel, der sich im Grunde über ihrer Ehe niemals geschlossen hat – obwohl der Ehemann 7 Jahre nach der Trauung hingerichtet wurde –, in dieser Hoffnung konnte Franziska 70 Jahre lang ein erfülltes Leben führen. Sie konnte lachen! Wie mir ihre Tochter erzählte, ging sie immer und immer wieder aus: zum Tanzen, trank gerne ein Glas Wein, war niemals eine verbitterte Frau. Und dies, obwohl die ersten 20 Jahre nach dem Krieg dem Durchgang durch das Fegfeuer glichen, weil sie die Anschuldigungen erleiden musste, die Isolation der Witwe des Verweigerers, die schiefen Blicke im Dorf, gar den ausgestreckten Zeigefinger hinter ihrem Rücken. Sie erlitt dies, wie die Seelen im traditionellen Fegfeuer leiden, indem sie in den Himmel hinauf blicken. Sie betete zu ihrem Mann, deswegen verbitterte sie auch nicht und begann auch nicht zu hassen: schlicht und einfach: weil sie vom Glanz des Heiligen lebte.

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Und als ich dieses Bild einer mit der leidvollen Vergangenheit ringenden Franziska Jägerstätter vor meinen Augen sah, da ging dieses Bild in das Bild meiner Mutter über, die ja damals in den 60-er Jahren in der Dorfkirche meiner polnischen Heimat am Allerheiligen- und Allerseelentag weinte, weil ihr die leidvollen Tage im KZ vor Augen standen und der Tod ihrer beiden Töchter. Und sie durch den Blick in den offenen Himmel, der ja an diesen Tagen liturgisch in den Vordergrund gerückt wird, ihr Ressentiment und u.U. gar ihren Hass auf die Täter abgearbeitet, sprich: durchgelitten hat. Deswegen habe ich sie niemals als eine frustrierte und eine gebrochene Frau erlebt. Sie trauerte ja nicht ständig um ihre Töchter, sondern erfreute sich an ihren beiden nach dem Krieg geborenen Söhnen. Auch meine Mutter aß das bittere Brot des Alltags, sie lebte aber vom Glanz des Himmels, in dem sie ihre beiden Töchter wieder zu sehen erhoffte.

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Liebe Schwestern und Brüder, eine derart lebendige Hoffnung, die einst sowohl in polnischen wie auch in Tiroler Dörfern und Städten selbstverständlich gelebt und bezeugt wurde, stellte keinen billigen Trost einer durch Mangel und Armut gekennzeichneten Kultur dar. Sie war keineswegs so etwas wie das marxistische Opium des Volkes, das dem Volk zum Vergessen des Alltags verhelfen sollte, das aber nun dank des allgegenwärtigen Wohlstands durch den Konsum problemlos ersetzt werden könnte. Das Brot, unser tägliches Brot, mag zwar den Schein des Luxus ausstrahlen, doch: wenn wir dieses Brot auch tagtäglich essen, von seinem Glanz vermögen wir kaum zu leben. Denn dieser Glanz ist überschattet durch den enormen Preis, den wir zahlen: den Preis einer gnadenlosen Konkurrenz, den Preis des uns alle plagenden Stresses, den Preis des immer tiefer werdenden Bruches zwischen den Generationen, damit auch der zunehmenden Einsamkeit der alten und gebrechlichen Menschen. Nicht zuletzt aber zahlen wir den Preis, der uns deutlich durch die Folgen der spätkapitalistischen Gesellschaft vor Augen geführt wird: Wir leben nicht vom Glanz des Luxus, wir leben im Schatten seiner Opfer. Unser transzendenzarmer Alltag, der Alltag, über dem das Verhängnis eines geschlossenen Himmels hängt, ist vom Ressentiment und Hass, vom Neid und oft auch der blanken Angst derart schwanger, dass uns das alltägliche Wohlergehen, dieses bisschen Glück, das wir in unseren Tagen erleben, paradoxerweise zum sprichwörtlichen Opium verkommt, das uns die Tragödie des verschlossenen Himmels zu vergessen hilft.

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Unsere Kultur hat den Blick in den offenen Himmel verlernt, deswegen schließt sie sich immer mehr in ihrem eigenen Grab ab, wird gar als Ganze zu einem Friedhof, einem Friedhof, der aber keine Hoffnung auszustrahlen vermag, weil er zur Endstation dekretiert wurde und permanent dekretiert wird. Einer Endstation, die man hie und da inzwischen verschwinden lässt, damit die Reise des Lebens nicht gestört wird.

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Umso mehr sind wir Christen glücklich zu preisen: gerade an solchen Tagen wie Allerheiligen und Allerseelen. Wir sind – gemäß dem Evangelium – glücklich zu preisen, weil wir uns den echten Luxus leisten können, vom Glanz des Heiligen zu leben. Vielleicht sollten wir alle mutiger in die Rolle jener alten Frau schlüpfen, die mich in den frühen 60-er Jahren am Friedhof in die Arme nahm und mir sagte: „Brauchst keine Angst zu haben“. Es war die Frau, die mir in der Krisensituation den Blick in den offenen Himmel schenkte. Wir Christen sind so etwas unseren transzendenzarmen Mitmenschen schuldig. Wir sollen nicht jammern und auch nicht Ängste potenzieren, wie dies die schlechte Höllenpredigt einst tat. Wir sollen leben, authentisch leben vom Glanz des Heiligen und so das Verhängnis des verschlossenen Himmels beseitigen. Weil uns allen der Himmel offen steht, weil Friedhof für uns keine Endstation ist, weil schlicht und einfach dies so ist, essen wir zwar – wie alle Zeitgenossen – Brot. Wir leben aber vom Glanz!

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