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Apokalypse und christliche Gelassenheit
(Predigt in der Jesuitenkirche am 18.11.2001)

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:# Originalbeitrag für den Leseraum
Datum:2001-11-22

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Jahr für Jahr vergegenwärtigt die Liturgie in der kalten Novemberstimmung die apokalyptischen Texte der Evangelien. Jahr für Jahr begleitet dieses Schreckensszenario das Ende des Kirchenjahres und lässt die Frage aufkommen - und dies nicht nur bei den Kirchenfressern - ob hier nicht etwa eine perverse religiöse Fantasie am Werk sei, ob hier nicht Geschäfte gemacht werden mit der Angst der Menschen. Die allzu glatt aufgeklärten Leser vieler kulturhistorischen Studien werden immer und immer wieder auf das Mittelalter hinweisen: weil es der Kirche gelungen sein sollte, die Angst der Menschen zu schüren, rannten diese in die Kirche, kauften Ablässe und bauten Kathedralen. Wie glücklich können wir uns da schätzen... wir mit unserem aufgeklärten Bewusstsein und der tagtäglichen objektiven Berichterstattung. Wir brauchen ja weder die Kanzeln noch die Prediger um zu erfahren, dass es Seuchen und Hungersnöte gibt, und dass sich ein Volk gegen das andere erhebt. CNN und All jazeera liefern uns doch die Bilder direkt ins Wohnzimmer. Ein jeder kann sich davon überzeugen, dass die Überheblichen und Frevler zu Spreu werden, dass die Sonne der Gerechtigkeit zwar mühsam aber doch nach und nach aufgeht und wir alle dank der entschlossenen Haltung unserer Politiker die Lücken im Sicherheitsnetz schließen, auf dass die Apokalypse wiederum dorthin verbannt werde, wo sie hingehört: In den Kinosaal, in den Groschenroman und in die Computerspiele oder eben auf die Kanzeln, in die Kirche, wo sie jährlich zum Ende des Kirchenjahres zur Sprache kommen wird.

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Die Katastrophe vom 11. September sollte anscheinend ihre Spuren in unserer Kultur hinterlassen haben: "Nichts wird so sein wie früher" - wiederholten Politiker und Kommentatoren, Prediger auf den Kanzeln und Menschen auf der Straße und was meinten sie damit eigentlich? Damit wir nicht wiederum an den Rand der Katastrophe gelangen, werden technologische Forschung, militärische und politische Entwicklung in einer Richtung intensiviert: Auf dass unsere Börsen abgesichert bleiben und die Flughäfen, Bahnhöfe und Brücken. Alles wird also so bleiben, wie es schon immer war. Wir bauen zwar nicht mehr überdimensionale Überwachungstürme, die bis in den Himmel reichen, wie dies der Fall war beim Turmbau von Babel, wohl aber basteln wir an einem überdimensionalen Überwachungssystem und wir suchen weiterhin nach neuen qualitativ anderen Waffensystemen weil wir glauben durch diese unsere Gegner und Feinde endlich in Schach halten zu können, verdrängen aber die schmerzhafte Erfahrung, dass mit demselben Schwert mit dem wir schlagen wollen, wir selber auch irgendwann geschlagen werden: Der Schritt vom Schwert zu den biologischen Waffen verändert nichts an der grundsätzlichen Konstellation, er erhöht bloß die Gefahrenstufe. Eines scheint sich freilich doch gewandelt zu haben. Nachdem wir erkannt haben, dass nicht Gott das Verderben über uns bringt, dass also Gott uns nicht zum Gegner werden kann, rennen wir nicht in die Kirchen, kaufen keine Ablässe und bauen auch keine Kathedralen, um ihn zu bestechen oder bloß in Schach zu halten. Doch sind wir von unseren mittelalterlichen Vorfahren wirklich soweit entfernt, mit unserem Bedürfniss nach Halt und Sicherheit und unseren Vorkehrungen, die unsere menschlichen Feinde und Gegner in Schach halten sollen?

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"Während die Menschen sagen: Friede und Sicherheit, kommt plötzlich Verderben über sie, wie Wehen über eine schwangere Frau und es gibt kein Entrinnen! (1Thess 3,5) Der biblische Satz aus dem ersten Thessalonikerbrief verdichtet die uralte Erfahrung der Menschheit und das heutige Evangelium spitzt diese Erfahrung noch einmal zu: Als sie darüber sprachen, dass der Tempel bestens ausgestattet sei (vgl. Lk 21,5) geschmückt und aufgeräumt, ein Garant - eben - für Ruhe und Ordnung und ein gesegnetes Leben, - ja, als sie darüber nachdachten, dass die Menschen ihren religiösen Pflichten nachkommen, Gebote recht oder schlecht zu halten versuchen, Kirchensteuer zahlen, die religiösen Grundwahrheiten kennen und schätzen - eben ordentlich religiös sozialisiert sind - als sie darüber nachdachten (und sich in Sicherheit wogen) da - gerade da - sagte er zu ihnen: "Es wird eine Zeit kommen, da wird von allen was ihr da seht und was ihr da denkt, kein Stein auf dem anderen bleiben!" Die apokalyptische Herausforderung kennt keinen Halt, nicht einmal den vor religiösen Institutionen. Alles, aber gar alles kann in den Taumel der Zerstörung, der Selbstzerstörung und des Bösen geraten: die Welt und die Kirche!

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Werden hier also doch Geschäfte gemacht mit der Angst der Menschen? Warum vergegenwärtigt die kirchliche Liturgie ein Schreckenszenario, von dem auch das kirchliche Leben nicht verschont bleibt. Um die Gläubigen bloß darauf vorzubereiten, dass sie nicht in Panik geraten, wenn ein solches Verderben über sie kommt? Um sie zu Standhaftigkeit und zur Treue zu animieren, wie dies der Text des Evangeliums auch nahelegt? Um ihnen die Kurzformel in Erinnerung zu rufen: "Sicherheit ist nur in Gott" wie dies die Kirchenzeitung diese Woche tut? Warum? Lassen sie mich eine indirekte Antwort versuchen.

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Wie kaum ein anderer hat Jesus sein Vertrauen auf Gott seinen Vater gesetzt, diese Beziehung ist ihm gar mit seiner Person identisch geworden. Wie kaum ein anderer konnte Jesus die Relativität von religiösen Institutionen und gesellschaftlichen Strukturen für das menschliche Leben einschätzen. Sie sind zwar nicht unwichtig, doch stellen sie auch nicht den Inbegriff des Lebens dar. Wie kaum ein anderer war er gewappnet vor der Angst und der apokalyptischen Verzweiflung. Warum unterstreiche ich dies? Was folgt denn im Evangelium auf diese seine apokalyptische Rede des heutigen Sonntags? Der Verrat durch einen Freund und die Auslieferung an die Gegner und Feinde. Die Flucht der Jünger und die Verleugnung und die unbeschreibliche Angst, dass auch der Vater sich ihn zum Gegner machen könnte und ihn verlassen könnte. Hass und Spott, Erniedrigung, schlussendlich der schändliche Tod, begleitet von Erdbeben und Sonnenfinsternis.

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Das Herabsteigen Gottes auf das Niveau all jener, die verraten und verleugnet werden, geschlagen, ausgeliefert und getötet. Das Herabsteigen Gottes auf das Niveau all jener, die vor Angst wahnsinnig zu werden drohen und ihre Standhaftigkeit verlieren, weil alle Sicherheiten und jeglicher Halt ihnen abhanden gekommen sind. Es folgt also die Passion Jesu. Die Passion Jesu verdichtet die Apokalypse im Vollzug. Und sie zeigt den einzigen Ausweg und dies ist die Auferweckung Jesu durch jenen Gott, der ein Gott des Lebens und nicht ein Gott der Zerstörung ist durch den Freund, ja den Liebhaber des Lebens.

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Am Ende des Kirchenjahres vergegenwärtigt die Liturgie nicht nur die apokalyptischen Texte des Evangeliums analog zu den CNN und Al jazeera Bildern. Nein! Sie feiert in der Eucharistie das, was sie das ganze Jahr feiert: Die Transformation, die Verwandlung der apokalyptischen Angst und der apokalyptischen Zerstörung durch die Menschwerdung Gottes durch seinen Tod und seine Auferstehung. Mit dieser Feier schenkt sie uns nicht eine bessere und zusätzliche Sicherheit gegen die Bedrohung. Nein: Sie macht uns freier im Umgang mit der Drohung und Angst. Weil Gott in Jesus die Apokalypse durchleidet und verwandelt, ist sie im Grunde keine Apokalypse mehr. Das ist das Geheimnis christlicher Gelassenheit.

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