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Passion 2016
(Predigt zum Palmsonntag, gehalten in der Jesuitenkirche am 20. März 2016 um 11.00 und 18.00 Uhr.)

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2016-03-22

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Sind wir alle bloß hoffnungslose Nostalgiker? Immer und immer wieder dieselbe alte Geschichte: die Geschichte vom Aufstieg und Fall Jesu von Nazareth. Immer und immer wieder die Karwoche, die nach demselben Muster abläuft und die spätestens mit dem Vorlesen der Passion am Palmsonntag das Kreuz und den dorthin führenden Weg in den Vordergrund rückt. So auch im Jahr 2016. In einem Jahr, in dem die Zahl und die Vielfalt der Kreuzwege uns allen eigentlich den Atem rauben müßte. Und dies nicht bloß deswegen, weil Millionen und Abermillionen von Menschen tagtäglich - oft still und nach außen unerkannt - ihr Kreuz tragen, oder mit einer Selbstverständlichkeit sondergleichen ihren Mitmenschen ein Kreuz aufladen. Passion 2016 hat deswegen deutlichere Konturen bekommen, weil unsere Generation mit einer niederschmetternden schmerzhaften Erfahrung konfrontiert wurde, weil Illusionen und Träume zerbrochen sind. Wir, die wir ja vollmundig in die Welt hinausposaunt haben, dass gerade unsere mitteleuropäische Welt unweigerlich in Richtung einer Welt marschiert in der die Ausgrenzung, das Leiden, das sprichwörtliche Kreuz also überwunden werden: überwunden dank dem wissenschaftlichen Fortschritt, überwunden dank der Aufklärung, überwunden dank einer auf Solidarität mündiger Bürger setzenden einen Welt, gerade wir finden uns wieder an der via dolorosa, an dem schmerzreichen Weg, an dem das Kreuz doch getragen werden muss. Es ist diese schmerzhafte Erfahrung - diesmal im politischen Kontext gemacht -, die uns desillusioniert. Auch die modern gestylten Weichen für das gelingende Leben kommen ohne den Kreuzweg nicht aus! Wir alle, ganz gleich ob fromm, oder bloß ethisch eingestellt, oder auch im wahrsten Sinn des Wortes gottlos, weil zynisch, wir alle haben Anteil an der Passion unserer Gegenwart, an der Passion 2016.

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Freilich übernehmen wir unterschiedliche Rollen. Meistens sind wir auf den Kommunikationswegen der social media - dem facebook, Twitter und allen anderen - den weinenden Frauen aus Jerusalem vergleichbar. Wenn wir betrübt, entsetzt und traurig sind über jene Menschen, deren Kreuzweg nicht auf dem Hügel von Golgota endet, sondern in den Tiefen der Meere, wo sie ein nasses Grab finden. Wenn wir betroffen bleiben von Bildern herzzerreißenden Leidenswege der unübersehbaren Zahl von Flüchtlingen und Asylanten. Wenn unser Klagen und Anklagen durch die leise Stimme Jesu übertönt wird: Ihr Kinder Europas, weint nicht über sie, weint auch nicht über mich. Weint über euch und eure Kinder. Denn es werden Tage kommen... Ja, welche Tage kommen da noch auf uns zu?

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Wie viele von uns reichen den Kreuztragenden ein linderndes Tuch? Überweisen eine Geldspende, die dem Schweißtuch der Veronika nicht ganz unähnlich das bittere Los ein bisschen lindert! Wie viele finden sich gar in der Rolle eines Simon von Zyrene wieder, der dem Opfer sein Kreuz stückweise zu tragen verhilft?

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Aber auch die Rolle des Hohenpriesters Kajaphas, die Rolle des verantwortlichen Amtsträgers meistern wir bestens, wenn wir mit rational verantwortbaren Kriterien Menschen sterben lassen, eigentlich für uns und um unseres Friedens willen sterben lassen. Bestens besetzt bleibt auch die Rolle des Pilatus. Wie viele waschen sich permanent ihre Hände in Unschuld? Von der Rolle des Petrus schon ganz zu schweigen, der im Geiste der Selbstgerechtigkeit glaubt eine Kontrastkultur zur allgegenwärtigen Passion aufbauen zu können und dann doch umfällt und zum Wendehals wird.

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Liebe Schwestern und Brüder! Passion 2016 sagt aber auch etwas anderes aus, was von fundamentaler Bedeutung ist. Die Aussage weist darauf hin, dass wir uns alle an der via dolorosa finden, an dem schmerzhaften Weg, auch in der Rolle der kreuztragenden Opfer. Opfer, die immer und immer wieder unter den Last stürzen, einer Last, die uns aufgeladen wird, oder, die wir uns selber aufladen. Passion 2016 steht für die niederschmetternde Erfahrung einer Selbstverwirklichungsgeneration, die nun aus dem Traum erwachen muss, dass alles möglich sei und dies noch zum Dumpingpreis. Wiederum erkennen wir, gerade die Post-68-er, dass wir in so vielen Sackgassen unseres Lebens im Grunde machtlos sind. Weil wir: ob wir es wollen oder nicht, weil wir gekreuzigt werden, den Kreuzweg gehen und das Geschick durchleiden müssen.

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Nein! Wir sind keine hoffnungslose Nostalgiker. Die Christen, die immer und immer wieder dieselbe Geschichte lesen und dieselbe Karwoche feiern, wir vergewissern uns bloß unseres Glaubens, damit wir in der Orgie der Anschuldigung, der Fremd- und Selbstbeschuldigung, nicht ersticken. Wir vergewissern uns des Glaubens, dass Gott selber in seinem Sohn sich auf unsere menschliche Kreuzwege begibt, dass er uns alle, die wir ja alle so unterschiedliche Rollen wahrnehmen, dass er uns alle begleitet. Wir vergewissern uns unserer Hoffnung, dass er mitten unter uns ist und uns beisteht: in unserer Einsamkeit, gar in unserem Selbsthass und unserer resignierter Gleichgültigkeit. Wir vergewissern uns unserer Hoffnung, dass er mit uns leidet und auch mit uns stirbt. Damit wir zusammen mit ihm in die Hände des uns alle liebenden Vaters fallen. Selbst dann fallen, wenn wir im Leben und Sterben verzweifeln.

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Passion 2016 raubt den Christen den Atem nicht. Und dies nur deswegen, weil wir glauben und hoffen, dass auch die Passion unserer gegenwärtiger Welt nicht beim quallvollen Tod endet, nicht im nassen Grab des Mittelmeeres, nicht im Verzweiflungsschrei der Flüchtlinge oder aber der Opfer der Terrorattentaten. Sie endet auch nicht im Gestus der Empörung und der Anklage. Sie endet wie die Passion Jesu: in der Osternacht. Sie endet beim lebenserweckenden Gott! Beten wir also um die Gnade der „österlichen Augen“, damit wir diese Glaubenswahrheit auch in den Ereignissen unserer Gegenwart entdecken. Damit wir zu Hoffnungsträger werden und Hoffnungsträger bleiben: in einer Welt, die sich ihres Kreuzweges so schmerzhaft bewusst geworden ist. Möge ihr auch mit derselben Intensität der Osterglaube zuteil werden.

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