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Ein Papst lässt sich beraten

Autor:Siebenrock Roman
Veröffentlichung:
Kategoriekommentar
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2013-09-27

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Es gerüchtelt über die schon längst nicht mehr verschwiegenen Gemäuer des Vatikans hinaus und treibt tolle Blüten. So wurde im ORF das Gerücht aufgegriffen, dass sich manche um Leib und Leben von Papst Franziskus bangten. Sein Stil, seine bewusst gewählten Zeichen und die jüngsten Äußerungen des künftigen Staatssekretärs Bischof Pietro Paolin zum Zölibat, irritieren gewiss auch und scheinen auf - nicht nur - stillen Widerstand zu stoßen. Es kann nicht übersehen werden: Sein Kurs, die der Frage nach "Glaube und Gerechtigkeit" in die Mitte stellt, stößt nicht nur auf Gegenliebe. Denn es weht der Wind des Wandels.

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Und tatsächlich: Nicht nur die Stimmung hat sich geändert: Von der Pius-Bruderschaft ist kaum noch die Rede, die neu-alte Liturgie ist nicht mehr das primäre Lebensthema der Kirche, der Vater der Befreiungstheologie "P. Gustavo Gutierrez O.P." wird in Privataudienz empfangen und - das ist mein Eindruck auch im Land Tirol - das letzte Konzil trifft auf neues Interesse und bei uns verdrängte Anliegen, die in der Kirche Lateinamerikas vertieft worden sind, rücken neu ins Bewusstsein: die Option für die Armen, Ausgegrenzten und Marginalisierten, die Bedeutung kirchlicher Armut und eines neuen pastoralen Stils, die um das Gebet, die aktive Teilnahme und die Mitverantwortung aller wirbt. Nicht als ob alles anders werden würde oder müsste. Das wäre Unsinn, weil die Fragen nach Glaube und Vernunft, nach einer Gott und den Menschen angemessenen Liturgie und der Umgang mit unserer eigenen Tradition und den verschiedensten Ausgrenzungsmustern bei Progressiven und Konservativen zu den zentralen Anliegen und Aufgaben der Kirche gehört. Jetzt aber kann und soll wieder zusammenkommen, was vernachlässigt oder verdrängt worden ist. Das Zweite Vatikanische Konzil hatte noch den Mut und die Energie, die unterschiedlichen, ja oftmals gegensätzlichen Tendenzen und Optionen miteinander in Beziehung zu setzen. Deutschsprachige Theologen haben diesen Umgang mit der eigenen zu verschiedenen Zeiten normativ gewesenen Lebens- und Handlungsweisen der Kirche als "faulen Kompromiss" bezeichnet. In der Praxis folgte die Vernachlässigung des einen oder anderen Spannungspols. Nun aber ist die Kraft des letzten Konzils wieder zu spüren, die vor allem in der Bereitschaft und dem Mut besteht, mit der Pluralität in Kirche und Welt konstruktiv umzugehen, nichts und niemanden auszugrenzen und in der Vielfalt der "Zeichen der Zeit" zu unterscheiden, was von Gott kommt und der Verwirklichung des Reiches Gottes dient. Um die Mitte des Evangeliums Jesu Christi geht es, wenn Würde und Freiheit des Menschen, Gerechtigkeit und Frieden unter den Menschen in Frage gestellt oder gar durch das Handeln einzelner oder die Logik unserer Systeme ignoriert werden. Ich empfinde es mit großer Dankbarkeit: Man muss sich heute nicht mehr dafür entschuldigen, wenn man mit Begeisterung aus der Kraft dieses Konzils Wege zu finden sucht.

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Nicht wenige, vor allem ReligionslehrerInnen, die die Gezeiten der Kirche hautnah täglich ausbaden dürfen, freuen sich, dass sie sich nicht mehr nur verteidigen müssen, sondern dankbar erfahren dürfen, dass Franziskus auf erstaunlich positive Resonanz selbst bei denen stößt, die noch kurz zuvor von der Kirche nichts wissen wollten. Christliche Präsenz mit erhobenem Haupt ist in unserer diffusen Gesellschaft immer besser, als die anhaltende Aufgabe, irgendwelche unverständliche Aktionen der Kirchenleitung an den fremden Orten unseres Lebens erklären zu müssen.

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Es ist schon erstaunlich: Die Katholische Kirche wird wieder zum Raum von Hoffnung und Erwartung. Wenn Anfang Oktober das Beratungsgremium von 8 Kardinälen aus aller Welt in Rom zusammen kommt, um mit dem Papst ihre Beratungen zur Reform der Kirche aufzunehmen, dann ist allein der Vorgang schon ein Zeichen. Franziskus bittet um Hilfe für seinen Dienst. Es geht nicht mehr ohne die anderen und es geht nicht mehr ohne Öffentlichkeit.

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Ihre Aufgabe scheint mir wohl zunächst durch jene Anliegen vorbestimmt zu sein, die im Vorkonklave von verschiedensten Seiten dargelegt wurden. Ganz oben wird stehen: Die innere Reform der Kurie, die durch verschiedene Skandale öffentliche Schlagzeilen machte. Aber ebenso unausweichlich drängt die Frage nach dem Umbau der Vatikanbank oder deren Auflösung. Dass dies so offen angesprochen werden kann, liegt auch an den vielen Personen in der Kurie, die unter diesen Vorgängen leiden. Das zweite Thema wird die Gestaltung der Beziehung von regionalen Ortskirchen und der einen Weltkirche sein, die ja in Österreich für alle in der Auswahl der Bischöfe sichtbar wird. Das letzte Konzil sah deren Vermittlung in einer wechselseitig sich tragenden Beziehung der Ortskirchen untereinander, deren reale Vermittlung als Dienst dem Bischof von Rom und der Kurie als dessen Hilfsmittel anvertraut ist. Wie eine solche Beziehungskultur real institutionalisiert und in konkreten Prozessen ausgestaltet werden soll, ist deshalb so schwierig, weil hierin die katholische Kirche nicht auf aktuelle Modelle in der Weltgesellschaft, mit der Ausnahme des Integrationsprozesses in Europa, zurückgreifen kann. Bis in die Österreichischen Universitäten hinein haben alle "global players" das spätabsolutistische Modell des Ersten Vatikanischen Konzils verwirklicht. Sie bevorzugen alle monokratische Letztentscheidungsinstanzen.

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In allen diesen Themen aber geht es meiner Ansicht nach um das versteckte Grundproblem unserer Kirche (und unserer Gesellschaft!): der transparenten Klärung von Entscheidungsmacht und der Frage, wie alle, die von einer Entscheidung betroffen sind, an deren Zustandekommen teilhaben können. Auch in unserer Demokratie ist dies nicht gelöst. Und selbst wenn wir viel mehr direkte Demokratie einführen würden, wäre das eigentliche Problem nur noch offensichtlicher: Unsere politischen Systeme funktionieren auf der Basis der Ausgrenzung von anderen. Diese aber, die von unseren Entscheidungen ausgeschlossen und bis in ihre Existenz hinein betroffen sind, müssten in einer Weltgesellschaft auch in die Entscheidungsfindung einbezogen werden. Hierzu gibt es nicht nur keine Vorstellungen; im Gegenteil: Wir wehren uns dagegen, weil in unserem kulturellen Code seit Urzeiten gemeinschaftliche Identität durch Ausschluss gestiftet worden ist.

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Die Teilhabe aller ist aber deshalb so wichtig, weil nicht zu erwarten ist, dass jemand mit innerer Zustimmung Entscheidungen annimmt und mit verwirklichen wird, von deren Zustandekommen er ausgeschlossen worden ist. Dazu reicht die Aufklärung und eindringliche Vermittlung nicht, auch wenn diese Kommunikation die Basis aller Entscheidungen darstellen muss. Wir stehen in Gesellschaft und Kirche in so tiefgehenden Herausforderungen, dass ein rein konformes Verhalten jede mögliche Lösung unmöglich machen wird. Konkret: Wie soll die Erziehungs-, Umwelt- oder Pensionsfrage gelöst werden, wenn nicht jede und jeder seinen Beitrag frei und kreativ hierzu einbringt? Noch spielen wir auch hier das Spiel der "Sündenbockjagd". Wir spüren, ja wissen es, dass unsere Gesellschaft auf einem Grundirrtum aufgebaut ist. Denn nicht das Individuum, sondern eine kleine soziale Einheit ist die Basis allen Lebens und Gedeihens; und heute ist jede dieser sozialen Einheiten in dieser oder andere Weise mit allen anderen auf diesem Planeten miteinander verbunden. Daher ist eine Beziehungskultur zu stärken, die auf allen Bereichen eine neue Kultur der Partizipation verlangt und vom Prinzip des "Nicht-Ausschließens" ausgeht.

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Wird die Frage der Partizipation wirklich angegangen, dann werden die berühmten heißen Eisen der Kirche erst behandelbar. Denn von Zölibat, Frauenrechten, Sexualmoral, Missbrauch und Amtsgebaren wird erst dann angemessen gesprochen werden können, wenn die dahinterliegenden Entscheidungs- und Machtkonstellationen mit bedacht werden. Denn welche "Lösung" auch immer verwirklicht werden sollte, sie wird immer allein in und mit der Zustimmung der Glaubenden verwirklicht werden können. Wenn aber alle in die Entscheidungsprozesse einbezogen werden, dann haben auch alle Verantwortung für die Gestaltung der Wege. Dann aber ist das Spiel "wir Armen hier unten - die Mächtigen da oben", oder kurz "Wir gegen die" vorbei. Dann stünde eine wirkliche Bekehrung, eine Änderung unseres Denkens und unserer vorgängigen Einstellungen an, die ein großer Segen werden könnte. Denn dadurch würde das in Kirche und Gesellschaft so beliebte Spiel der "Jagd nach den Sündenböcken" in Frage gestellt, wenigstens weniger erfolgreich werden. Weitgehende kirchliche und gesellschaftliche Veränderungen bleiben, bei aller Bedeutung der institutionellen Erneuerung und Reform, leer, wenn sie nicht bei jeder einzelnen Person auch beginnen und realisiert werden. Ein chinesisches Sprichwort sagt: Wenn der Wind des Wandels weht, bauen die einen Schutzmauern, die anderen Windmühlen. Ich empfehle, sich auf die Flügel des Geistes zu verlassen. Teilhabe setzt Identifizierung und Fühlen mit der Kirche voraus, aber auch Identifizierung mit Freuden und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen meines Lebensraumes. Denn welche "Lösung" auch immer verwirklicht werden sollte, sie wird immer allein in und mit der Zustimmung der Glaubenden und in Resonanz mit den Nöten und Hoffnungen der Menschen verwirklicht werden können. Denn nie war der uralte Rechtssatz der Kirche so nötig wie jetzt: "Was alle betrifft, muss auch von allen entschieden werden!"

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Dann aber Achtung: Es könnte ernst werden mit dem Slogan, der von Papst Paul VI. formuliert und in Tirol erneut in die kirchliche Öffentlichkeit gespielt worden ist: "Wir sind Kirche!".

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