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Das Scheitern der Ethik und was darüber hinaus geht
(Ansprache anlässlich der Sponsionen und Promotionen am 16. November 2013)

Autor:Guggenberger Wilhelm
Veröffentlichung:
Kategoriefak
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2013-12-23

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Magnifizenz, sehr geehrte Frau Vizerektorin Bockreis, geschätzte Kolleginnen und Kollegen, liebe Studierende, verehrte Verwandte, Freunde und Bekannte unserer AbsolventInnen und natürlich ganz besonders Sie, die Sie heute den Abschluss Ihres Studiums feiern. Es freut mich, dass ich bei diesem schönen Anlass als sein Stellvertreter in die Roll des Dekans schlüpfen darf um mit Ihnen zu feiern.

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Anfang dieses Monats druckte die Zeitschrift Der Standard ein Interview mit dem Schriftsteller Peter Henisch ab, der vor etlichen Jahren mit dem Roman “Die kleine Figur meines Vaters” bekannt geworden ist. Der 70-jährige Autor, der stets institutionenkritisch war, aber nie aus der katholischen Kirche austreten wollte, spricht dort auch über die korrumpierende Wirkung von Macht. Darauf angesprochen, ob angesichts dessen Anarchie die einzige Alternative sei, meint Henisch: “Anarchie kann mörderisch sein. Man müsste sich ja nur an die Bergpredigt halten, dann sähe die Welt anders aus. Weil sich aber keiner daran hält, hat die Erlösung nicht stattgefunden.”

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Recht hat er, möchte man sagen. Recht damit, dass Macht korrumpiert; recht auch damit, dass Anarchie mörderisch ist, weil sie immer nur den Starken dient, die des Schutzes durch Strukturen und Regeln nicht bedürfen. Recht hat er damit, dass kaum irgendwo ein Leben gemäß der Bergpredigt, jener Magna Charta der Botschaft Jesu zu finden ist. Hat Henisch auch Recht mit seinem letzten Halbsatz, dass demzufolge die Erlösung nicht stattgefunden hat?

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An dieser Stelle möchte ich doch einen Einspruch wagen. Denn genau hier tut sich die Spannung zwischen Ethik und Religion auf, zwischen Normorientierung und Glauben. Das was die theologische Tradition Erlösung nennt, wird ja gerade erst dort notwendig, wo unsere ethischen Ansprüche, auch unsere ethischen Selbstansprüche scheitern. Die biblischen Quellen dieser Tradition kehren das menschliche Scheitern auch keineswegs unter den Teppich - ganz im Gegenteil. Die metaphorischen Erzählungen über den Anfang der Menschheit in Adam und Eva sprechen von Versagen, die Geschichte des Volkes Israel und seines Führungspersonals ist voll davon und auch die Gründungsgestalten der christlichen Glaubensgemeinschaft, Petrus, Paulus und die anderen Apostel, werden uns als grandiose Versager vorgestellt. Von der Geschichte der Kirchen möchte ich gar nicht erst sprechen.

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Trotzdem, so sagt der biblische Glaube, gibt es Erlösung, trotzdem ist Versöhnung möglich, trotzdem lassen sich Wert und Würde der menschlichen Person retten; sowohl Wert und Würde der Opfer ethisch Versagender, als auch Wert und Würde der Versager selbst. Da wird nichts beschönigt, nichts billig entschuldigt, aber es bleibt eine Hoffnung über das Scheitern der Ethik hinaus.

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Gerade darin liegt der Mehrwert von Religion gegenüber der Ethik, jener Mehrwert der unseren Horizont über die Linie hinaus weitet, ab der alles verloren scheint, nichts mehr möglich, weil menschliches Vermögen fraglos an seine Grenze geraten ist.  Ich denke, unsere Schulen und Hochschulen sollten es sich auch in Zukunft leisten, auch über diesen Mehrwert, über diese Hoffnung, zumindest als Möglichkeit, als Hypothese nachzudenken und daraus Schlüsse zu ziehen für den Umgang des Menschen mit sich selbst, mit seinesesgleichen und mit der ihm anvertrauten Umwelt.

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Die Studierenden der Theologischen Fakultät jedenfalls haben sich das zur Aufgabe gemacht, in ihren Studien und in den Abschlussarbeiten, die sie im Rahmen dieser Studien verfassten.

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Frau Veronika Winder etwa hat sich, ausgehend von alttestamentlichen Texten, mit der Frage sexualisierter Gewalt beschäftigt. Ihre Masterarbeit aus dem Bereich der Moraltheologie, die von Gertraud Ladner betreut wurde, trägt den Titel Tu mir keine Gewalt an, denn so handelt man nicht in Israel. Alttestamentliche Texte sexualisierter Gewalt und ihre Bedeutung für heute.” Den ersten Teil dieses Titels bildet ein Zitat aus dem zweiten Samuelbuch. Tamar ist es, eine Tochter des Königs David, die diesen Satz sagt. Sie sagt ihn zu ihrem Halbbruder, der sich anschickt, sie zu vergewaltigen. Es ist schwer zu akzeptieren, dass solches Unrecht nicht nur damals geschah, sondern dass es bis heute geschieht. Vielleicht noch schwerer zu akzeptieren ist, dass das Schicksal der missbrauchten und mundtot gemachten Tamar in der klassischen, männlichen Exegese vielfach heruntergespielt und verharmlost wurde. Dem stellt Frau Winder die Ergebnisse neuerer, feministischer Exegese gegenüber. Ein Scheitern der Ethik wird in den behandelten alttestamentlichen Texten und in deren späterer Auslegung überdeutlich, dennoch stellen diese Texte auch eine im positiven Sinn gefährliche Erinnerung dar, da sie den Opfern eine bleibende Stimme geben, die das Unrecht deutlich anspricht.

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Ebenfalls einen biblischen Text wählte Walter Mader zur Grundlage seiner Diplomarbeit, die Martin Hasitschka betreute. Nachdem es ihm ein Arbeitsleben lang gelungen ist, Schülerinnen und Schüler für Latein und Griechisch zu begeistern, hat er seine altphilologische Kompetenz in die Auslegung der Rede des Paulus auf dem Areopag eingebracht. Der Auftritt des Apostels in Athen wird in der Arbeit als Modellrede für erfolgreiche Mission dargestellt, mit all ihren rhetorischen Feinheiten und ihren Anklängen an die griechisch stoische Tradition. Dieser Text ist freilich auch ein sprechendes Zeugnis dafür, wie schwierig die rationale Vermittlung von Glaubensaussagen in einen neuen, fremden Kontext sein kann. Paulus scheiterte in Athen daran, den hellenistischen Gesprächspartnern den Gedanken der Auferstehung von den Toten plausibel zu machen. Dennoch gewinnt Walter Mader aus der behandelten Rede Hinweise darauf, wie die Kommunikation der Rede gelingen kann (ob ich hier seine Tipps hinreichend beachtet habe, mag er selbst beurteilen). Unter diesen Hinweisen findet sich etwa jener, der sagt: “Zeige Wohlwollen! Achte Dein gegenüber!” oder auch “Reg dich in deiner Rede nicht auf: Reg an!”

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Zwei weitere Diplomarbeiten stammen aus dem Bereich der Christlichen Philosophie. Beide wurden von Siegfried Battisti betreut. Frau Elisabeth Unterthiner beschäftigte sich mit dem Thema Glück und Gelassenheit. Sie arbeitet dabei das Glücksverständnis verschiedener antiker Autoren auf. Dass ein Leben nur dann als geglückt empfunden wird, wenn es als sinnvoll erlebt wird, führt die Autorin auch zur Sinnfrage, wobei sie betont, dass Sinn nicht hergestellt werden kann, auch wenn wir heute häufig sagen, etwas mache Sinn. Den Sinn, den etwas hat, gilt es vielmehr aufzuspüren und aufzufinden. Ein solcher Sinn hat auch damit zu tun, dass Glück kein Privatprogramm ist: Menschen vermögen nicht für sich allein glücklich zu sein. Frau Unterthiner führt schließlich noch zum Gedanken hin, dass in ein glückliches Leben auch die Tatsache des Todes integriert werden kann.

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Hier zeigt sich eine Nähe zur Diplomarbeit von Roswitha Declara, die unter dem Titel Loslassen steht. Frau Declare beschäftigt sich zunächst mit den Ängsten, die sich mit der Erfahrung des Abschieds, der Trennung, des Verlustes verbinden. Sie zeigt jedoch auch die Chancen auf, die im Loslassen und Abschiednehmen liegen, weil sich daraus die Möglichkeit des Neuaufbruchs ergeben kann. Dies wird an großen Gestalten der christlichen Tradition aufgezeigt, wie etwa an Franz und Klara von Assisi, an Mystikern wie Meister Eckart, Thomas von Kempen, Johannes vom Kreuz oder auch an Mutter Theresa von Kalkutta. Für sie alle war Loslassen eine Bedingung dafür, ein Leben in Fülle finden zu können.

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Zu guter Letzt feiert heute auch ein Doktoratsstudent seinen Studienabschluss, Titus Nwagu. Seine Doktorarbeit mit den Titel Die Praxis des Brotbrechens und des Miteinanders. Zum Verhältnis von Eucharistie und Politik im Alltag haben Roman Siebenrock und ich selbst begleitet. Herr Nwagu geht von der Erfahrung der Armut aus, die er selbst in seiner Kindheit mit einem viel zu großen Prozentsatzes der Weltbevölkerung teilen musste. Gerade in seinem Heimatland Nigeria sind viele Menschen von absoluter Armut betroffen, die sich nicht aus einem Mangel an Ressourcen, sondern aus einer ungerechten Verteilung der Güter ergibt. Welche Konsequenzen wären angesichts dessen für die Gestaltung des Gesellschaftlichen Lebens von Christen zu ziehen, die Tag für Tag, Woche für Woche die Liturgie der Eucharistie feiern. Im Zentrum dieser Liturgie steht der Ritus des Brotbrechens und des Teilens. Die Dissertation spürt Elementen einer Politik des Teilen in der biblischen Tradition des Brotbrechens, in der klassischen katholischen Eucharistietheologie und in einigen neueren Ansätzen politischer Theologie nach. Ein erster gesellschaftsethisch-normativer Ansatz wird dabei nach dem Durchgang durch systematisch-theologische Konzepte in einem zweiten Zugang tiefer theologisch verankert und reflektiert. Gerade auch in dieser Arbeit wird ein Ungenügen ethischer Forderungen und auch ein kirchliches Scheitern an den eigenen sittlichen Normen deutlich aufgezeigt. Die Verbindung von Liturgie und Gesellschaftspolitik macht aber eben auch deutlich, dass gläubige Menschen aus einer Kraftquelle leben die sie selbst übersteigt und von der sie sich immer wieder kritisch anstoßen und neu motivieren lassen müssen.

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Unsere Welt, unsere Gesellschaft bedarf der ethischen Orientierung möglicherweise mehr denn je. Angesichts vieler uns überfordernder Fragen, angesichts auch jener Herausforderungen, die sich aus unseren eigenen wissenschaftlichen, technischen, medizinischen Möglichkeiten ergeben, sollte aber auch ein Denken über die Grenzen und das Versagen der Ethik hinaus gepflegt und kultiviert werden. Sie liebe SpondendInnen, lieber Promovend haben ein solches Denken an unserer Universität, so hoffe ich, erlernt und eingeübt; pflegen sie es weiter, laden sie andere dazu ein, wohin immer ihr weiterer Lebensweg sie führen mag. Ich darf Ihnen im Namen unserer theologischen Fakultät und auch ganz persönlich dazu viel Glück und Gottes Segen wünschen.

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