1938-2008:
Universitäten gedenken ihrer vertriebenen Mitglieder

Die Innsbrucker Universitäten erinnern in diesem Jahr an jene Mitglieder der Universität Innsbruck, die vor 70 Jahren, nach dem „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland am 12. März 1938, aus „politischen“ und „rassischen“ Gründen – wie es im NS-Jargon hieß – von der Universität ausgeschlossen und vertrieben wurden. Dazu werden die Universität Innsbruck und die Medizinische Universität Innsbruck in den nächsten Monaten im Rahmen einer Portraitserie auf ihren Internetseiten dieser Menschen gedenken. Diese Portraits stehen auch stellvertretend für all jene Schicksale, die sich nicht mehr aus den Archiven rekonstruieren lassen.

„Wer heute der Opfer dieser Ereignisse gedenkt, darf über die Täter nicht schweigen“, sagt Ass.-Prof. Mag. Dr. Wolfgang Meixner, Vizerektor der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck. „Die Täter sind nicht nur im Deutschen Reich zu suchen. Der so genannte ‚Anschluss’ Österreichs an Hitlerdeutschland geschah – da sind sich heute die Historikerinnen und Historiker einig – durch das Zusammenwirken von Kräften und Menschen von außen, innen und oben. Von außen durch Adolf Hitler und das Deutsche Reich, von innen durch rund 30 Prozent der österreichischen Bevölkerung, die sich mehr oder weniger zum Nationalsozialismus bekannten und daher den ‚Anschluss’ begrüßten sowie von oben durch Eliten an verschiedensten öffentlichen Stellen in den Regierungen, Landesverwaltungen, der Exekutive sowie Jurisprudenz, die mehr oder weniger aktiv am ‚Anschluss’ mitwirkten.“ So waren es denn auch NS-Studenten und Professoren, die noch am Samstag, den 13. März 1938 in zwei Telegrammen an das Bundesministerium für Unterricht die sofortige Enthebung des Rektors Brunner sowie die kommissarische Führung des Amtes durch den gesinnungstreuen Professor Harold Steinacker forderten. Steinacker war Rektor der „Alpenuniversität“ von 1938 bis 1943 und ließ sich, „der Zeit entsprechend“ in einer SA-Uniform portraitieren.

Portraits erinnern an Vertriebene

Die Rektorate der beiden Innsbrucker Universitäten haben sich entschlossen, aus Anlass der 70. Wiederkehr der Okkupation Österreichs der Vertriebenen der Universität Innsbruck offiziell zu gedenken. Konkret geschieht dies in Form von Porträts der Vertriebenen, die ab dem 12. März auf den Webseiten der Universitäten an leicht zugänglicher Stelle abrufbar sein werden. Die Biographien werden vom Innsbrucker Universitätsarchiv verfasst, wo möglich mit Bildmaterial versehen und alle drei bis vier Wochen um ein weiteres Portrait ergänzt. Mit Ende der Serie besteht die Möglichkeit, die Portraits auch gesammelt auszudrucken. „Wir wollen diese Aktion auch der Öffentlichkeit bekannt machen und an die Vertriebenen erinnern, die aus einer hoffnungsvollen akademischen Laufbahn geworfen wurden, wenn sie nicht sogar diese Ereignisse mit ihrem Leben bezahlen mussten“, sagt Rektor Prof. Karlheinz Töchterle.

Selbstmord als letzte Konsequenz

Am 17. März 1938 muss aufmerksamen Leserinnen und Lesern eine Todesanzeige in den Innsbrucker Nachrichten aufgefallen sein. Darin gaben die „tieftrauernden Hinterbliebenen“ bekannt, dass „Dr. Gustav Bayer und sein Töchterlein Helga […] im Alter von 59, bzw. 17 Jahren plötzlich zu Gott abberufen worden“ seien. Das so angezeigte Ableben war nicht auf ein Unglück zurückzuführen, sondern beruhte auf einer Verzweiflungstat, die bereits einen Tag zuvor, am 16. März 1938, im selben Blatt knapp vermeldet worden war. Was war geschehen? Zwei Tage zuvor, am 15. Mai 1938, hatte der Innsbrucker Arzt und Universitätsprofessor für Pathologie beschlossen, seinem Leben und dem seiner Tochter ein Ende zu setzen. Die Tat erfolgte aus Verzweiflung über die Ereignisse rund um den so genannten „Anschluss“ vom 11. auf den 12. März 1938, als die Deutsche Wehrmacht in Österreich einmarschierte und Hitler den „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich verkündete.

Gustav Bayers Schicksal ist nur eines unter mehreren und ob seines Todes ein besonders tragisches. Neben Bayer nahm sich am 29. November 1938 auch die Gattin des 1932 in den Ruhestand versetzten und am 27. Juli desselben Jahres verstorbenen Innsbrucker Althistorikers Carl Ferdinand Friedrich Lehmann-Haupt, die Schriftstellerin Theresia (Theresie) Lehmann-Haupt, das Leben. Insgesamt wurden 54 von 159 Hochschullehrer im Zuge des „Anschlusses“ von ihrer Lehrtätigkeit an der Universität Innsbruck aus „politischen“ und „rassischen Gründen“ – wie es im NS-Jargon hieß – des Amtes enthoben; allen voran der Anglist Karl Brunner als amtierender Rektor. Die Professoren der mit 20. Juli 1938 geschlossen Theologischen Fakultät, wurden ab September 1938 in den Ruhestand versetzt. Der Physiker und Nobelpreisträger Viktor Franz Hess, der 1937 aus Innsbruck einem Ruf an die Universität Graz gefolgt war, wurde dort 1938 ebenfalls entlassen und emigrierte in die USA.

Identitätskrise der österreichischen Wissenschaft als eine der Ursachen

„Die Ursachen dieser unrühmlichen Entwicklung lagen in einer mehrfachen Identitätskrise, die in den Universitäten keinen nennenswerten Widerstand gegen den Nationalsozialismus aufkommen ließ“, erklärt der Historiker Wolfgang Meixner. „Der Großteil des Lehrkörpers war liberal-bürgerlicher Herkunft, ebenso die Studierenden. Dieses Bürgertum war durch die Niederlage im Ersten Weltkrieg und deren Folgen in ihrem Selbstverständnis erschüttert. Zudem befand sich ein Großteil der Innsbrucker Universitätslehrer in einem „geistigen Abwehrkampf“ gegen die Italianisierung der 1919 abgetretenen südlichen Landesteile Tirols. Dies führte zu einer Nationalisierung, die sich bereits 1921 in ‚Anschluss’-Wünschen an das Deutsche Reich artikulierte.“

Ebenfalls in einer Krise befand sich das Humboldt’sche Universitätsideal mit seiner Freiheit der Wissenschaft und der Autonomie der Universitäten. Anstatt die sich ändernden Bedingungen selbstkritisch zu reflektieren, floh ein Großteil des Lehrkörpers in die „Zweckfreiheit der Wissenschaft“ und beklagte die „schwindenden Traditionen“ der Universität, erwies sich aber als anfällig für eine schleichende Indienstnahme der Wissenschaft durch politische Strömungen des rechten, autoritären und totalitären Lagers.
Weder im Staat noch an den Universitäten existierten tragfähige demokratische Traditionen. Während die parlamentarische Demokratie gerade unter Akademikern auf große Ablehnung stieß, fand der scheinbar überparteiliche Politikbegriff der „Volksgemeinschaft“ großen Anklang. Somit waren die Universitäten weitgehend wehrlos gegen politische Vereinnahmungstendenzen von außen, die in den akademischen Vereinigungen längst Fuß gefasst hatten („Arierparagraph“ etc.).

Späte Aufarbeitung

Nach dem Ende des "Dritten Reiches" fand an den Universitäten wohl eine personelle Entnazifizierung statt (NS-gesinnte Lehrende wurden des Amtes enthoben), die "geistige" Abkehr von bedenklichem Gedankengut geschah aber nur zögerlich. Mitunter wurden Lehrbücher einfach ohne inkriminierende Vorworte neuerlich herausgegeben, ohne dass die Inhalte abgeändert worden wären. Erst ab den 1980er-Jahren begann eine offizielle Befassung mit der Rolle der Universitäten in der NS-Zeit: 1981 veröffentlichte der Historiker Prof. Gerhard Oberkofler eine Liste der Opfer des Nationalsozialismus an der Universität Innsbruck. Eine umfassende Darstellung der Universität Innsbruck in der NS-Zeit fehlt bis heute, wenn man von den Dissertationen von Michael Gehler zur Studentenschaft vor 1938, von Susanne Lichtmannegger zur Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Innsbruck zwischen 1938 und 1955 sowie zur Geschichte der philosophischen Fakultät in Innsbruck zwischen 1938 und 1945 absieht.

Liste der im Jahre 1938 vertriebenen Mitglieder der Universität Innsbruck:


Für weitere Rückfragen:

Univ.-Doz. Dr. Peter Goller
Universität Innsbruck
Zentrale Dienste/Universitätsarchiv
Tel.: +43 512 507-2092
E-Mail: Peter.Goller@uibk.ac.at

 



Gustav Bayer (1879 – 1938)

Gustav Bayer kam 1904 auf Empfehlung von Sigmund Exner, einem der wissenschaftlichen Exponenten der „Wiener medizinischen Schule“, als Assistent an die Universität Innsbruck.

Gustav Bayer, Habilitand des damaligen Innsbrucker Pathologieordinarius Moritz Loewit, schrieb am 7. November 1909 in seinem Innsbrucker Dozentengesuch: „Der Bewerber, am 10. Juni 1879 zu Wien geboren, erlangte nach Ablegung der Rigorosen mit größtenteils ausgezeichnetem Erfolge am 27. April 1904 den medizinischen Doktorgrad. Während seiner Studienzeit fungierte der Unterzeichnete durch mehrere Jahre als Demonstrator am physiologischen Institute zu Wien und wurde nach der Promotion am 1. Juni 1904 zum Assistenten am genannten Institute ernannt und hatte diese Stellung bis 1. Oktober 1904 inne. Seit dieser Zeit ist derselbe ununterbrochen als Assistent am Institute für allgemeine und experimentelle Pathologie in Innsbruck tätig.“

Als Habilitationsschrift legte Bayer eine Studie „über den Einfluss einiger Drüsen mit innerer Sekretion auf die Autolyse“ vor. International publizierte Forschungen zur Bedeutung der Nebennieren für die Physiologie und Pathologie, Arbeiten zur „Organotherapie“, zur Hormonforschung oder zu stoffwechsel-pathologischen Fragen trugen Bayer 1915 ein Extraordinariat und 1922 das Ordinariat ein. Jahrelang leitete Bayer das Institut für Experimentelle Pathologie an der Universität Innsbruck.

Angesichts der ihn bedrohenden nazistischen Barbarei nahm sich Gustav Bayer, gemeinsam mit seiner 17 Jahre alten Tochter Helga, am 15. März 1938 das Leben. Die Mutter war Jahre zuvor verunglückt.

Unter dem Eindruck des „Anschlusses“ schrieb Bayer in einem Abschiedsbrief: „Mein lieber Freund! An einen gerichtet, für alle gemeint: Lebe wohl u[nd] glücklich, so glücklich wie ich, dank meiner Gemütsart, gelebt. Stirb, wenn es sein soll, so leicht u[nd] freudig wie ich! Und an den Dekan! Viele Grüße meinen alten Fakultätskollegen, sie sollen mir eine gute Erinnerung bewahren. In alter Treue! G. Bayer. 13.III.38.

Am 3. September 1947 erwähnte der Prodekan der Medizinischen Fakultät in einem Schreiben verschämt Gustav Bayers „in der nationalsozialistischen Bedrängung erfolgten Freitode“.



Karl Brunner und Karl Hammerle

Karl Brunner (1887 – 1965) kam mit seinem Vater Karl Brunner, der 1902 zum Professor der Chemie an der Universität Innsbruck ernannt wurde, nach Tirol. Brunner, ein Neffe des bedeutenden Rechtshistorikers Heinrich Brunner, studierte in Innsbruck, Oxford, Wien und Berlin, an letzterer Station bei dem aus Hötting gebürtigen „ersten Anglisten des Reichs“ Alois Brandl. 1914 habilitiere er sich an der Universität Wien mit einer Arbeit zum „mittelenglischen Versroman über Richard Löwenherz“. 1922 wurde Brunner Professor an der Hochschule für Welthandel in Wien, ehe er 1924 in Innsbruck die Nachfolge des ersten Inhabers der hiesigen Anglistik-Lehrkanzel Rudolf Fischer antrat.

Für das Studienjahr 1937/38 zum Rektor gewählt wurde Brunner am 13. März 1938 von den NS-Faschisten amtsenthoben, entlassen und zum 31. August 1938 mit halbem Gehalt pensioniert. Der Philosophendekan hatte im Juni 1943 über Brunner und seinen Mitarbeiter Karl Hammerle berichtet: „Schlimm liegen die Dinge bei der Anglistik. Hier ist [es] durch die Tätigkeit Professor Brunners und seines Dozenten Hammerle im Verein mit der Politik Schuschnigg Österreichs soweit gekommen, daß von den zahlreichen Studenten des Faches nur mehr sehr wenige wirklich nationalgesinnte übrig sind. Die Entfernung Brunners und seine Ersetzung durch einen fachlich und weltanschaulich vollwertigen Mann erscheint mir dringend.“ Die Gestapo berichtete am 15. Juli 1938 an Rektor Steinacker über Brunner:  „Über den Führer, die NSDAP und das Deutsche Reich äußerte er sich stets in abfälliger Weise und betrieb eine eifrige Hetz- und Greuelpropaganda gegen das Deutsche Reich.“

1943 wurde Brunner mit der Supplentur der vakanten anglistischen Lehrkanzel betraut, eine neuerliche Lehrkanzelvertretung scheiterte 1944 am Einspruch der „Gauleitung“. Nach der Befreiung wurde Brunner am 4. Mai 1945 zum kommissarischen Rektor ernannt, dann als Rektor der Universität Innsbruck für das Studienjahr 1945/46 gewählt und in seine Professur wieder eingesetzt.

Mit Brunner war 1938 Karl Hammerle (1904 – 1978) die Venia docendi aus englischer Philologie aberkannt worden. Hammerle, der sich als Kenner des „Mittelenglischen“ mit einer Arbeit „Von Ockham zu Milton“ (Innsbruck 1936) habilitiert hatte, wirkte nach 1945 am Bundes-Realgymnasium Innsbruck. Mitte der sechziger Jahre vertrat er anglistische Lehrstühle an den Universitäten München und Würzburg.

Literatur:
Herbert Koziol, Karl Brunner, in: Almanach der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 115 (1965), 259-272 (mit Schriftenverzeichnis!).
Gerhard Oberkofler/Peter Goller, Geschichte der Universität Innsbruck. (=Rechts- und Sozialwissenschaftliche Reihe 14, hrg. v. Wilhelm Brauneder), 2. Auflage, Frankfurt 1996, 315-329.
Gunta Haenicke/Thomas Finkenstaedt, Anglistenlexikon 1825-1990. Biographische und Bibliographische Angaben zu 318 Anglisten, Augsburg 1992, 55 f. (Artikel "Karl Brunner"), 121 (Artikel "Karl Hammerle").



Wilhelm Fischer (1886 – 1962)

Wilhelm Fischer wurde 1928 in der Nachfolge von Rudolf Ficker als Professor der Musikwissenschaft an die Universität Innsbruck berufen.
Bei Guido Adler hatte sich Wilhelm Fischer 1915 in Wien mit einer Arbeit „zur Entwicklungsgeschichte des Wiener klassischen Stils“ habilitiert.
Wie Adler wurde Fischer 1938 von den Nationalsozialisten aus „rassischen Gründen“ verfolgt und ausgeraubt. Das Rektorat der Universität Innsbruck „beurlaubte“ Fischer im April 1938 und untersagte ihm mit Beginn des Sommersemesters 1938 die weitere Lehrtätigkeit. Der Dekan der Philosophischen Fakultät Innsbruck, der Chemieordinarius Ernst Philippi, schrieb im Juni 1938 in amtlicher Eigenschaft: „Professor Fischer wurde als Jude in den Ruhestand versetzt.“

Jüdischen Studenten und Gelehrten wurde in weiterer Folge die Benützung der Studien-, Forschungs- und Bibliothekseinrichtungen verboten.

Am 29. November 1938 wurden die Rektoren der „Hochschulen in der Ostmark“ mit Ministerialschreiben „eingeladen, zur Vermeidung von Unzukömmlichkeiten Juden überhaupt vom Besuche der Hochschulbibliotheken auszuschließen.“ Rektor Harold Steinacker, Professor der Geschichtswissenschaft, notierte darauf hin am 5. Dezember 1938 dienstbeflissen: „Herrn Direktor Flatscher zur Kenntnis mit dem Ersuchen, den Ausschluß aller Juden von Bibl.Besuch anzuordnen.“ Mit Ministerialdekret vom 17. Dezember 1938 wurden jüdische Gelehrte endgültig von der Benützung von Innsbrucker „Hochschulinstituten und Bibliotheken, u.s.w.“ ausgeschlossen. Wilhelm Fischer wurde daraufhin die Benützungsgenehmigung endgültig entzogen.

Fischer kehrte nach Wien zurück. Zahlreiche Mitglieder seiner Familie wurden von den Nationalsozialisten ermordet. Seine 85 Jahre alte Mutter wurde aus ihrer Wohnung geworfen, sie verstarb in einem – so Fischer – Leopoldstädter „Notloch“, seine Schwester wurde in Auschwitz umgebracht.

Fischer selbst musste in einer Metallfabrik schwere Zwangsarbeit verrichten, die er mit Mühe überlebte.

1948 konnte Fischer wieder an der Universität Innsbruck lehren. Er kündigte für das Wintersemester 1948/49 „Allgemeine Musikgeschichte“; „Die Mensuralnotation des 15. und 16. Jahrhunderts“; „Übungen zur Musikgeschichte“ an.

Literatur:
Kurt Drexel, Musikwissenschaft und NS-Ideologie. Dargestellt am Beispiel der Universität Innsbruck von 1938 bis 1945, Innsbruck 1994.
Gerhard Oberkofler,  Orchideenfächer im Faschismus, in: Jahrbuch 1990. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, Wien 1990, 45-49.
Tom Adler, Lost to the World. Guido Adler. The tragic family saga of on of Gustav Mahler’s best friends, Los Angeles 2002.



Richard Strohal (1888 – 1976)

Richard Strohal, 1888 in Mährisch-Schönberg als Sohn eines k.k. Offiziers geboren, studierte nach der Matura am Franziskanergymnasium Hall in Tirol ab 1907 an den Universitäten Wien, Göttingen und Innsbruck Philosophie, Mathematik und Physik.

1924 habilitierte er sich bei Franz Hillebrand und Alfred Kastil mit einer Arbeit über „die Grundbegriffe der reinen Geometrie in ihrem Verhältnis zur Anschauung“ für Philosophie und erhielt 1930 auf Initiative von Kastil ein Extraordinariat für Philosophie mit besonderer Berücksichtigung der Pädagogik. Strohal war auch von Kastils humanistisch politischem Verhalten geprägt:  Schon 1920 hatte sich Kastil der antisemitischen Hetze deutschnationaler und katholischer Innsbrucker Studenten gegen Karl Kraus widersetzt. 1933 war Kastil, als absolute Ausnahme unter der Innsbrucker Professorenschaft, aus Protest gegen den nazistischen Ungeist an Österreichs Universitäten in den vorzeitigen Ruhestand getreten.

Im April 1938 wurde Strohal vom NS-Regime amtsenthoben. Die Gestapo meldete am 15. Juli 1938 für Strohal bedrohlich: „In der Innsbrucker Theaterangelegenheit gegen den Juden Heller, ehemaliger Direktor des Innsbrucker Stadttheaters, trat er als Freund und Beschützer dieses Juden auf. Als Mitglied des Bauausschusses des Innsbrucker Gemeindetages, bevorzugte er bei Bauausschreibungen, Baumeister, welche streng vaterländisch eingestellt waren und der Heimatwehr angehörten. Weiters war er in verschiedenen Organisationen der Vaterländischen Front tätig, so unter anderem in den O[stmärkische] S[turm] S[charen], Sachwalterschaft der Universität und im Amte für Leibesübungen. Strohal äußerte sich stets in abfälliger Weise gegen die NSDAP, belegte den Führer mit den übelsten Schimpfnamen und betrieb eine Hetz- und Greuelpropaganda gegen Deutschland.“

Strohal wurde nach der Befreiung 1945 reaktiviert, er fungierte für jeweils eine Amtsperiode als Dekan der Philosophischen Fakultät sowie als Rektor.

Mit Strohal wurden in der philosophischen Fachgruppe die Dozenten Hans Windischer (1909-1975, ab 1956 Professor für Geschichte der Philosophie und Systematische Philosophie an der Universität Innsbruck), Simon Moser (1901-1988, ab 1952 Professor für Philosophie an der Technischen Universität Karlsruhe) und Hubert Rohracher (1903-1972, später Ordinarius für Philosophie und Psychologie an der Universität Wien) als „politisch nicht tragbar“ im Verlauf des Sommersemester 1938 entlassen.

Literatur:
Wolfgang Brezinka, Pädagogik in Österreich II. Die Geschichte des Faches an den Universitäten vom 18. bis zum Ende des 20. Jahrhunderts. Pädagogik an den Universitäten Prag, Graz und Innsbruck, Wien 2003.