Quanten-Doppelschlag
Zwei Innsbrucker Forschungsarbeiten in Nature publiziert
Die renommierte Fachzeitschrift Nature veröffentlicht heute zwei Arbeiten aus den Labors der Innsbrucker Quantenphysik: Ein Team um Rainer Blatt hat eine effiziente und frei justierbare Schnittstelle für Quantennetzwerke gebaut, und Rudolf Grimm ist es mit seiner Gruppe gelungen, ein neues Quasiteilchen - ein repulsives Polaron - in einem Quantengas experimentell zu erzeugen. Dies unterstreicht einmal mehr die weltweit führende Rolle der Innsbrucker Physik.
Die Quantenphysik wird die Zukunft der Informationsverarbeitung nachhaltig verändern, sie liefert aber auch vielfältige neue Einsichten in noch unerforschte Geheimnisse der Natur. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an den Physik-Instituten der Universität Innsbruck und am Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften tragen wesentlich zu diesem Forschungsgebiet bei und liefern immer wieder weltweit beachtete Ergebnisse. Das zeigen auch die aktuellen Arbeiten aus den Gruppen von Rainer Blatt und Rudolf Grimm, die das angesehene Fachmagazin Nature nun veröffentlicht.
Präzise Quanten-Schnittstelle gebaut
Eine Forschungsgruppe um Rainer
Blatt, Tracy Northup und Andreas Stute vom Institut für Experimentalphysik der
Uni Innsbruck hat im Labor erstmals eine effiziente und darüber hinaus frei
einstellbare Schnittstelle zwischen einem einzelnen Ion und einem einzelnen Lichtteilchen
(Photon) realisiert. Dazu fangen die Physiker ein Kalzium-Ion in einer
Paul-Falle und platzieren es zwischen zwei sehr stark reflektierenden Spiegeln.
Mit einem Laser regen sie das Ion an und produzieren dabei ein mit dem Ion
verschränktes Photon, das zwischen den Spiegeln reflektiert wird. Über die
Frequenz und Amplitude des Lasers lässt sich die Verschränkung zwischen
Kalzium-Ion und Photon gezielt einstellen. Diese Methode hat zwei große
Vorteile gegenüber allen bisherigen Ansätzen, Atome mit Lichtteilchen zu
verschränken: „Die Ausbeute an verschränkten Photonen ist hier um ein
Vielfaches höher und kann im Prinzip auf über 99 Prozent gesteigert werden“,
erklärt die gebürtige US-Amerikanerin Tracy Northup. „Aber vor allem erlaubt
uns dieser Aufbau, die Verschränkung zwischen dem Ion und dem Photon nach
Belieben einzustellen.“ Dazu werden Frequenz und Amplitude des Laserlichts so
verändert, dass Teilchen und Photon den gewünschten gemeinsamen Quantenzustand
einnehmen.
Herzstück des Experiments ist
ein sogenannter optischer Resonator, der aus zwei sehr stark reflektierenden
Spiegeln besteht. Zwischen diesen Spiegeln werden die Lichtteilchen bis zu 25.000
mal hin- und reflektiert, bevor sie in einen Lichtleiter gekoppelt werden.
„Neben der hohen Effizienz zeichnet sich die Verschränkung in unserem System
durch die höchste bisher gemessene Präzision des verschränkten Quantenzustandes
von Ion und Photon aus“, freut sich Andreas Stute. Das Experiment liefert
Einsichten in die Interaktion von Licht und Materie und könnte beim Bau von
Quantencomputern und in einem zukünftigen Quanteninternet Anwendung finden.
Widerspenstiges Quasiteilchen erzeugt
Die Gruppe um Wittgenstein-Preisträger Rudolf Grimm und
START-Preisträger Florian Schreck hat in einem Quantengas erstmals repulsive
Polaronen erzeugt und genau studiert. Um diese im Labor herzustellen, erzeugen sie
in einer Vakuumkammer ein ultrakaltes Quantengas aus Lithium- und Kaliumatomen.
Mit Hilfe von elektromagnetischen Feldern wird die Wechselwirkung zwischen den
Teilchen kontrolliert. Hochfrequenzpulse drängen die Kaliumatome dann in einen
Zustand, in dem diese Teilchen die sie umgebenden Lithiumatome abstoßen. Dieser
komplexe Zustand kann physikalisch als Quasiteilchen beschrieben werden, da er
sich in verschiedener Hinsicht so wie ein neues Teilchen mit modifizierten
Eigenschaften verhält. Nachgewiesen haben die Forscher die repulsiven Polaronen
durch die Analyse des gesamten Energiespektrums der Teilchen. „Wir konnten auf
diese Weise sowohl anziehende als auch abstoßende Polaronen erzeugen und analysieren“,
erzählt Prof. Grimm. Während attraktive Polaronen schon ausführlich untersucht
wurden, betraten der Quantenphysiker und sein Team mit den widerspenstigen
Quasiteilchen wissenschaftliches Neuland.
In Festkörpern zerfallen solche Quasiteilchen sehr rasch und
können nicht wirklich untersucht werden. Aber auch in Quantengasen machen die
abstoßenden Eigenschaften Schwierigkeiten. „Das Polaron kann nur in einem
metastabilen Zustand existieren“, erklärt Rudolf Grimm, „und die Lebensdauer
ist entscheidend, ob man mit diesen Polaronen überhaupt etwas anfangen kann. Zu
unserer Überraschung zeigen unsere Polaronen eine gegenüber früheren
Experimenten in ähnlichen Systemen um das Zehnfache gesteigerte Lebensdauer.
Unsere Versuchsanordnung bietet uns deshalb eine ideale Plattform, um die auf
abstoßenden Wechselwirkungen basierenden Vielteilchenzustände eingehender zu
analysieren.“
Die Arbeit zu den repulsiven Polaronen entstand in enger Kooperation mit zwei Theoretikern aus Dänemark und Spanien. Beide Projekte, deren Ergebnisse nun im Fachmagazin Nature veröffentlicht werden, entstanden im Rahmen des FWF Spezialforschungsbereichs FoQuS.
Bitte beachten Sie die Sperrfrist: Mittwoch, 23. Mai 2012, 19:00 Uhr MESZ!
Publikationen:
- Tunable Ion-Photon Entanglement in an Optical Cavity. A. Stute, B. Casabone, P.
Schindler, T. Monz, P. O. Schmidt, B. Brandstätter, T. E. Northup, R. Blatt.
Nature 2012.
http://dx.doi.org/10.1038/nature11120 - Metastability
and coherence of repulsive polarons in a strongly interacting Fermi mixture, Christoph
Kohstall, Matteo Zaccanti, Michael Jag, Andreas Trenkwalder, Pietro Massignan,
Georg M. Bruun, Florian Schreck und Rudolf Grimm. Advanced Online Publication. Nature 2012
http://dx.doi.org/10.1038/nature11065
Rückfragehinweis
Dr. Tracy Northup
Institut für Experimentalphysik
Universität Innsbruck
Tel.: +43 512 507 6366
E-Mail: Tracy.Northup@uibk.ac.at
Univ.-Prof. Dr. Rudolf Grimm
Institut für Experimentalphysik
Universität Innsbruck
Tel.: +43 512 507 6300
E-Mail: Rudolf.Grimm@uibk.ac.at
Dr. Christian Flatz
Büro für Öffentlichkeitsarbeit
Universität Innsbruck
Tel.: +43 512 507 32022
Mobil: +43 676 872532022
E-Mail: Christian.Flatz@uibk.ac.at