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Ein Houellebecq und kein Skandal

Einige Beobachtungen zur Rezeption von "Karte und Gebiet" durch die Literaturkritik. Von Pierre Krier

 

Als im Frühling 2011 Michel Houellebecqs fünfter Roman Karte und Gebiet (franz.: La Carte et le Territoire, 2010) auch auf Deutsch erschien, hatte er bis dahin nicht wie seine Vorgänger Ausweitung der Kampfzone, Elementarteilchen, Plattform und Die Möglichkeit einer Insel für einen Eklat gesorgt. Was war bzw. ist diesmal anders? In seinem jüngsten Roman verzichtet Houellebecq auf die ihm eigene Art des Provozierens. So sucht man in Karte und Gebiet vergeblich Schimpf- und Hasstiraden auf den Islam. Detaillierte Darstellungen sexueller Praktiken, sextouristische Gepflogenheiten und die Themen Präimplantationsdiagnostik und Genmanipulation fehlen ebenso, wie außer Kontrolle geratene Klone. Dieser Roman bietet keinen Stoff für Skandale – doch was ist ein Houellebecq ohne Skandal, oder anders herum gefragt: Ist gerade der fehlende Skandal der eigentliche Skandal? – Ein Rückblick auf die Reaktionen der Literaturkritik.

Michel Houellebecq erzählt in Karte und Gebiet die Geschichte des französischen Künstlers Jed Martin, der seine Karriere als Fotograf beginnt. Zunächst fotografiert er Alltagsgegenstände, der Durchbruch gelingt ihm allerdings erst mit den Abzügen abfotografierter Michelinkarten. So wird er zum anerkannten Künstler. Sein nächstes Projekt – er hat der Fotografie den Rücken gekehrt und malt nun Porträts von mehr oder minder bekannten Persönlichkeiten – lässt ihn endgültig zu Weltruhm gelangen und macht ihn zum bestbezahlten Künstler Frankreichs. Das Vorwort des Katalogs für die Porträtausstellung schreibt der Autor Michel Houellebecq, im Rahmen dieser Zusammenarbeit besucht Jed Martin den Schriftsteller drei Mal bei sich zu Hause. Monate später wird Houellebecq tot in seinem Haus aufgefunden, er wurde auf abscheuliche Art und Weise ermordet. Jed Martin für seinen Teil hat mit der Porträtserie den Höhepunkt seiner künstlerischen Tätigkeit erreicht, er zieht sich auf sein abgeschottetes Anwesen auf dem Land zurück, meidet den Kontakt zu seinen Mitmenschen und lässt Playmobilfiguren, indem er sie der Witterung aussetzt und mit Säure beträufelt, verrotten.

Kritik noch vor dem Verkaufsstart

Die ersten Kritiker meldeten sich bereits vor dem offiziellen Verkaufsstart der französischen Erstauflage am 8.11.2010 zu Wort, darunter der französische Schriftsteller Tahar Ben Jelloun und der Journalist Pierre Assouline. Tahar Ben Jelloun durchbrach die Sperrfrist als erster – als Mitglied der Goncourt-Jury musste er das Werk bereits vorab lesen und sein Beitrag in der italienischen Zeitschrift La Repubblica war ein Totalverriss. Er monierte nicht nur die ausgiebige Beschreibung der Automodelle der deutschen Marken Audi und Mercedes, er bezeichnete auch die Mischung von Realität und Fiktion schlichtweg als „unverdaulich“. Pierre Assouline, der sich in einem im Figaro erschienenen Artikel abschätzig über Houellebecqs jüngsten Roman äußerte, veröffentlichte ebenfalls einen Beitrag zu La Carte et le Territoire auf seinem Blog La République des livres. Dort findet er zwar wohlwollende Worte (es handele sich um einen netten, amüsanten Roman); doch dominiert die Kritik, das Buch sei außerhalb Frankreichs kaum verständlich, da die darin vorkommenden Persönlichkeiten aus dem Medien- und Kulturbetrieb im Ausland unbekannt seien, und selbst beim französischem Publikum würden sie spätestens bis zum Erscheinen der Taschenbuchausgabe in Vergessenheit geraten sein. In Rezensionen anderer französischer Zeitschriften wurde La Carte et le Territoire durchaus positiver aufgenommen.

In der deutschsprachigen Presse erschienen ebenfalls bereits Beiträge vor dem offiziellen Verkaufsstart in Frankreich, dabei beschränkten sich die Autoren allerdings überwiegend darauf, über das anstehende Werk zu informieren. Neben den Informationen über Autor und Werk ist die Berichterstattung der Vorgänge in Frankreich ein wesentlicher Bestandteil dieser Artikel. Die Reaktionen in den deutschsprachigen Feuilletons mehren sich, gewinnen an Prägnanz und Eigenständigkeit nach der Veröffentlichung der Originalfassung im Herbst 2010 und nach dem Erscheinen der deutschen Übersetzung im März 2011.

Der Prix Goncourt – endlich

Bereits 2005 war Michel Houellebecq – gegenwärtig der meistgelesene und umstrittenste Autor Frankreichs – mit seinem Roman Die Möglichkeiten einer Insel für den Prix Goncourt – den angesehensten französischen Literaturpreis – nominiert worden. Allerdings blieb ihm der Preis damals noch verwehrt; zwei Stimmen fehlten ihm gegenüber seinem Rivalen François Weyergans. Diesmal sollte es nun reichen, bereits im ersten Wahlgang konnte sich Houellebecq durchsetzen. Das Thema Prix Goncourt wird in vielen Rezensionen aufgegriffen, oft begnügt man sich allerdings damit zu erwähnen, dass Houellebecq den Preis nun endlich erhalten habe. Nicht so Hanspeter Born, der in seiner Rezension Der Autor, der sich selber umbringt in der Weltwoche vom 11.11.2010 den französischen Kritiker Assouline zitiert: „[…] mit großem Geschick und einem gewissen Zynismus“ habe Houellebecq „im Geiste des Marketings ein Fertigprodukt entworfen[…], das ihm die Goncourt-Akademiker dieses Mal nicht abschlagen konnten.“ In einem Artikel im Profil heißt es: „Die Mehrzahl der Rezensenten zeigte sich von dem Werk allerdings euphorisiert; zwei Monate später wurde dem Schriftsteller der Prix Goncourt, der bedeutendste Literaturpreis des Landes, verliehen, für den er zuvor zehn Jahre lang im Gespräch gewesen war.“ (Wolfgang Paterno: Autor im Kindersarg. In: Profil, 14.03.2011, S. 109). Georg Dietz schreibt im Spiegel: „Und so gab es für diesen Roman auch endlich, worauf Houellebecq angeblich immer gewartet hat: den wichtigsten französischen Literaturpreis, den Prix Goncourt.“ (Ein Buch vom Mars. In: Der Spiegel, 14.03.2011, S. 142). Offenbar scheint Houellebecq diesmal den Preis auch wirklich verdient zu haben, doch wird das Lob über die Verleihung dadurch getrübt, dass sie immer wieder als mehr oder weniger überfällig dargestellt wird.

Jed Martin – Michel Houellebecq – Kommissar Jasselin

Michel Houellebecq bringt sich selbst als Figur auf die Romanbühne. Doch nicht nur diese Figur des berühmten Schriftstellers trägt Züge des wirklichen Houellebecq, hinter den anderen Figuren verbirgt sich ebenfalls eine gehörige Portion des Autors selbst. Gregor Dotzauer bringt es folgendermaßen auf den Punkt:

„Der berühmte Autor dieses Romans, Michel Houellebecq, spiegelt sich nicht nur in der Figur des berühmten Autors Michel Houellebecq, der hier Seite an Seite mit Frédéric Beigebeder und anderen Zeitgenossen auftaucht. Er porträtiert sich vor allem in der Figur des bildenden Künstlers Jed Martin […]. Schließlich begegnet man ihm in der Figur von Kommissar Jasselin […].“ (Gregor Dotzauer: Der Welt bin ich nun überdrüssig. In: Der Tagesspiegel, 12.03.2011)

Joseph Hanimann spricht in diesem Zusammenhang von einer literarischen Selbstspiegelung; sie „funktioniert im Roman mit zwei Nebenfiguren. Zur Linken agiert der Künstler Jed Martin, der mit seinem Bild Michel Houellebecq, écrivain – Marktwert: zwölf Millionen Euro – endgültig zum Star wird. Zur Rechten steht der Polizeikommissar Jasselin, der den Mord am Schriftsteller aufklären muss.“ (Joseph Hanimann: Vom Lebensglück verwitterter Playmobilfiguren. In: Süddeutsche Zeitung, 8.9.2010).

Dabei stellt sich Houellebecq durchaus selbstironisch dar und spielt mit den Klischees, die ihm anhaften. Dies kommt bei den drei Besuchen, die ihm Jed Martin zuhause abstattet, sehr deutlich zum Ausdruck. So empfängt Houellebecq seinen Gast in etwas schmuddligen, gestreiften, pyjamaartigen Klamotten, trinkt Unmengen an Rotwein, raucht ununterbrochen und stopft eine Scheibe Chorizo nach der andern in sich hinein, während er dabei am liebsten im Bett liegt und sich Comics auf Fox ansieht. Tilman Krause spricht von einer „witzigen Selbstkarikatur des als menschenscheu bekannten Nerds Houellebecq“ (All die vielen Dinge, die verschwinden. In: Die Welt, 13.09.2010). Der Autor selbst lässt Jed Martin über den Roman-Houellebecq sagen: „Er stank ein bisschen, aber nicht so stark wie ein Kadaver – letztlich hätte alles noch schlimmer sein können.“ Karte und Gebiet. Köln: DuMont 2010, S. 159). Leopold Federmair bringt die beiden Zerrbilder seiner selbst, die Houellebecq in seinen Roman eingebaut hat, wie folgt auf den Punkt:

„Die erste Karikatur der versoffene, nikotinsüchtige, vereinsamte, menschenfeindliche Autor, der zurückgezogen mit seinem Hund in einem leeren Haus in Irland lebt. Die zweite Karikatur: der weise, nüchterne, schmerzgeprüfte, todesnahe, von Büchern umgebene, zurückgezogen mit einem Hund in der französischen Provinz lebende Autor.“ (Leopold Federmair: Friedlich, freudlos, neutral. In: Die Presse (Spectrum), 19.03.2011)

In diesen Szenen sehen die Rezensenten allerdings nicht nur die selbstironische Darstellung Houellebecqs, sondern auch die vielleicht interessantesten Passagen des Werks.

Altersmilde und Weisheit

Houellebecqs Verzicht auf Provokationen in seinem neuen Roman haben auch zu einer Versöhnung mit der Literaturkritik beigetragen. Die meisten Rezensenten führen diesen Verzicht auf Houellebecqs Alter zurück, in diesem Zusammenhang fallen immer wieder die entsprechenden Begriffe. In einer Rezension in Die Welt heißt es: „Anstatt, wie bisher, die Spirale seines knallharten Zynismus’ immer und immer weiter zu drehen, gibt Houellebecq sich diesmal weich und weise.“ (Tilman Krause: All die vielen Dinge, die verschwinden. In: Die Welt, 13.09.2010). Gregor Dotzauer sieht Houellebecqs Zeit als Anarchist als beendet an, wenn er schreibt: „Jetzt, mit 53 Jahren, scheint er jedoch eine Altersmilde erreicht zu haben, die sich dem Gang alles Irdischen endlich fügt.“ (Der Welt bin ich nun überdrüssig. In: Der Tagesspiegel, 13.03.2011). Gemein haben all diese Aussagen, dass sie in Houellebecq nicht mehr den weltverneinenden Reaktionär sehen, der sich nicht mit den Normen der Gesellschaft abfinden will. Er habe, so der Tenor, mit zunehmendem Alter an Reife gewonnen und sei nicht mehr der Querdenker von früher. Diese Annäherung an den vermuteten Mainstream hat ihm allerdings Kritik eingebracht – auch wenn sie im Vergleich zum Lob, das er für seinen Roman einheimste, eher marginal ausfällt: Der eine oder andere Kritiker sieht in dem Verzicht auf Provokationen eine Taktik Houellebecqs, die ihm diesmal den Prix Goncourt sichern sollte.

Thematische Vielfalt

Houellebecq verarbeitet in Karte und Gebiet zahlreiche Themen, darunter Kunst, Mord, Selbstmord, Tod und Vergänglichkeit, Vater-Sohn-Beziehungen, Liebe, Sex und Prostitution, Medien, Gastronomie, Wirtschaft und Globalisierung. Diese Themenvielfalt ist kein Zufall, denn der Autor möchte offenbar ein möglichst facettenreiches Bild der Gesellschaft, vor allem der Kunstgesellschaft des 21. Jahrhunderts und ihrer Mitglieder zeichnen. Darüber hinaus sind viele dieser Themen Houellebecq alles andere als fremd, die meisten hat er schon in früheren Werken behandelt, das stellt auch Georg Renökl im Falter fest:

„Neben ein bisschen schwarzem Kitsch bietet der Roman noch weitere vertraut wirkende Versatzstücke aus Michel Houellebecqs Mottenkiste, vom Lob über Prostitution und des Sextourismus über das Interesse für alternative Lebensentwürfe und Zukunftsvisionen der lustigen 60er Jahre, ein bisschen Geschimpfe über Le Corbusier oder Picasso bis zur Globalisierungs- und Liberalismuskritik am Beispiel der Low-Cost-Airlines.“ (Georg Renökl: Landidylle und Hardcore-Gastronomie. In: Falter Bücher-Frühling, 09.03.2011, S. 21)

Die beiden zentralen Themen sind Kunst und Tod, um sie herum reihen sich alle anderen. In der Presse heißt es daher: „Der Schriftsteller Houellebecq ist über 50 und alt geworden. Nun ist er besessen vom Tod wie früher vom Sex.“ (Anne-Catherine Simon: Houellebecq soll leben! In: Die Presse, 15.09.2010). Der Roman lässt sich auch den unterschiedlichsten Genres zuordnen, er ist Kulturbetriebsposse, Gesellschaftsporträt, Künstlerroman und Krimi zugleich. Sandra Kegel schreibt in Die Zeit:

„So hat man es gleichzeitig mit einem Künstler- und einem Landschaftsroman zu tun, einem Thriller und einer Parodie, einem Essay über Houellebecqs Heimatland inklusive Zukunftsvision und Loblied auf die Provinz, einer Vater-Sohn-Geschichte, die nach den letzten Dingen fragt, und schließlich mit einem Hundesachbuch sowie einer zärtlichen Hymne auf eine Ofenheizung.“ (Sandra Kegel: Parforeceritt einer alten Schildkröte. In: Die Zeit, 12.03.2011).

Die Frage des Stils

Nur wenige Rezensionen beschäftigen sich mit Houellebecqs Stil. Jene, die es tun, gehen nicht gerade zimperlich mit ihm um. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung thematisiert in ihrer Besprechung vom 8.11.2010 die Plagiatsvorwürfe, die man Houellebecq entgegengebracht hat: Er soll Passagen bei Wikipedia abgeschrieben haben. Im Hinblick auf Houellebecqs Schreibstil stellt der Rezensent fest, dass es sich dabei nicht um einen stilistischen Bruch handelt, denn „Houellebecq schreibt selbst so schludrig und nachlässig wie die Wikipedia-Autoren“. (Jürg Altwegg: Tod eines Schriftstellers. In: FAZ, 08.09.2010). Gregor Dotzauer kritisiert im Tagesspiegel vom 12.3.2011 in erster Linie die sehr häufige Verwendung von Inquit-Formeln. Am härtesten ins Gericht geht aber Martin Ebel im Tages-Anzeiger mit Houellebecqs Stil: Er spricht von aufgeblasenem Pseudostil der Werbung und der PR, Houellebecq paraphrasiere und kopiere wie ein französischer Guttenberg. Und weiter: „Er arbeitet mit Versatzstücken, Worthülsen, ausgelutschten Wendungen – nein, er arbeitet nicht einmal damit, sondern klebt sie aneinander zu einer lauwarmen, antriebslosen Prosa.“ (Martin Ebel: Wo Hund und Boiler die besten Freunde sind. In: Tages-Anzeiger, 29.03.2011).

Fazit

Trotz punktueller und teilweise radikaler Kritik sind sich die meisten Rezensenten doch im Großen und Ganzen einig, dass Houellebecq ein gutes, wenn nicht gar ein sehr gutes Buch geschrieben hat, das zentrale Aspekte der Gesellschaft des 21. Jahrhunderts verhandelt. Viele sehen Houellebecq nun angekommen in der Mitte der Gesellschaft, die ihn dank Karte und Gebiet akzeptiert: Er ist kein Außenseiter mehr. Der Roman sei perfekt, meisterlich, unterhaltsam, Houellebecqs bestes Buch, und er selbst sei nun auf dem Höhepunkt seiner künstlerischen Reife angelangt – so der Tenor vieler Rezensionen.

Für Jürg Altwegg ist Houellebecq der genialste Landvermesser der französischen Literatur, der einen höchst unterhaltsamen Gesellschaftsroman des Kunstbetriebs, der Gegenwart geschrieben hat (vgl. Tod eines Schriftstellers. In: FAZ, 08.09.2010). Voll des Lobes ist auch Helmut Böttinger: „Karte und Gebiet ist ein großes Buch über die Gegenwart, voller Erkenntnis, voller Schmerz. Houellebecq hat all seine Elementarteilchen mitgenommen und sämtliche Capricen, alles Kokette und Stilisierte abgestreift. Er hat sie in einen völlig anderen Kosmos überführt, in ein Meisterwerk.“ (Saint Michel. In: Süddeutsche Zeitung, 15.03.2011). Fast überschwänglich klingt Stefan Gmünders Urteil: „Souverän, gelassen, ohne Effekthascherei und Sexszenen von einem Autor erzählt, der zum ersten Mal auf Struktur Wert legt. Vor allem aber besticht der Roman durch die eingebauten Spiegelungen, seine Referenzen und die Wucht, mit der man als Leser in diesen Text geschickt, nein: getrieben wird.“ (Houellebecq ist tot, es lebe Houellebecq. In: Der Standard, 09.03.2011).

Durchweg schlechte Kritik erntet Houellebecq nur von Martin Ebel, er bezeichnet Karte und Gebiet als ein Buch der Trostlosigkeit, das auch noch trostlos geschrieben sei (vgl. Wo Hunde und Boiler die besten Freunde sind. In: Tages-Anzeiger, 29.03.2011). Am ehesten bringt die Meinung der Vielen Georg Renöckl auf den Punkt:

„Karte und Gebiet ist nicht der große Künstlerroman, der das Buch womöglich sein will, auch von anderen ernsthafteren Themen lässt das Säurebad des Houellebecq’ schen Spotts außer dem einen oder anderen ätzenden Aperçu nur wenig übrig. Eine scharfsichtige und boshaft funkelnde Satire auf die französische Gesellschaft der Gegenwart ist er aber auf jeden Fall. Sowohl Houellebecq-Verehrer als auch –Hasser werden auf ihre Kosten kommen.“ (Georg Renöckl,: Landidylle und Hardcore-Gastronomie. In: Falter Bücher-Frühling, 09.03.2011)

Die Kritik hat sich also größtenteils mit Houellebecq versöhnt. Was den Roman selbst angeht, so sind die Themen weiterhin typisch für den Franzosen, auch wenn seine Ausführungen weniger kontrovers ausfallen. Freilich sind dem Autor Houellebecq in den meisten Rezensionen mehr Zeilen gewidmet worden, als dies für die meisten seiner Schriftstellerkollegen der Fall gewesen wäre. Doch ist Houellebecq nun eben nicht nur ein Schriftsteller – er ist eine Marke geworden, er polarisiert mit seiner Art, und nicht zuletzt seine schriftstellerische Vergangenheit führt dazu, dass die Rezensenten etwas ausführlicher auf ihn eingehen. Dennoch lässt sich der Literaturkritik im Umgang mit Karte und Gebiet bescheinigen, dass sie im Großen und Ganzen ihren Aufgaben nachkommt, zu orientieren, zu informieren, zu kritisieren und zu unterhalten (vgl. Stefan Neuhaus: Literaturvermittlung. Konstanz: UVK 2009 (UTB 2482), S. 229). Ob der Autor wegen der geringeren Skandalträchtigkeit seines jüngsten Werks künftig mit weniger Aufmerksamkeit rechnen muss, bleibt abzuwarten.

 

Pierre Krier, 19.12.2011
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