streeruwitz_nachkommen

Auf den Punkt gebracht.

Marlene Streeruwitz erschreibt sich in ihrem Roman-Projekt "Nachkommen." und "Die Reise einer jungen Anarchistin durch Griechenland." eine weibliche Genealogie. Von Veronika Schuchter


Der Punkt ist ihr Markenzeichen, der ganze Satz für sie eine Lüge. Die Konstante in Marlene Streeruwitz’ umfangreichem Werk ist die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen, patriarchal dominierten Machtbereichen und männlichen Hegemonien, denen eine spezifisch weibliche, sprich, die männlich normierte Sprache dekonstruierende Ästhetik entgegengesetzt wird. Die Verquickung von Form und gesellschaftspolitischem, dezidiert feministischem Engagement ist ihr literarisches Programm, das sie in ihrem Auftreten als öffentliche Person fortsetzt. Nach der Kritik an den fragwürdigen Praktiken privater Sicherheitsfirmen in Die Schmerzmacherin. ist es daher wenig überraschend, dass im neuen Roman Nachkommen. nun der Literaturbetrieb dran ist und damit der unmittelbare Wirkungsbereich der Autorin selbst. Das literarische Spiel der Verwischung von Grenzen zwischen der öffentlichen Person, der Autorin und ihren Protagonistinnen, deren Namen meist an jenen der Autorin angelehnt sind, wird dabei auf eine neue Stufe gehoben, schreibt sie jetzt doch gleichzeitig über und als ihre eigene Hauptfigur.

 

Nicht nur ein Literaturbetriebsroman

Im Feuilleton wird Nachkommen. größtenteils als Literaturbetriebssatire gelesen. Das bietet sich natürlich an, ist aber auch Ausdruck einer egozentrischen Betriebsblindheit. Zum einen wird damit zu viel versprochen, so ist der Text zwar wie alle Streeruwitz-Texte ausgesprochen bissig, doch die Stilmittel der Satire, das Parodistische und Sarkastische, bestimmen den Tonfall keineswegs. Natürlich wird zugespitzt, einige Stellen im Roman sind schön böse, das Schaulaufen auf der Frankfurter Buchmesse wird karikiert und selbstverständlich dürfen auch Spitzen gegen diverse VertreterInnen der AutorInnen- und VerlegerInnenschaft sowie der Literaturkritik nicht fehlen. Nur wenig verschlüsselt treten etwa Streeruwitz’ Mitnominierte vom Deutschen Buchpreis 2011 auf, darunter Sibylle Lewitscharoff, über deren literarisches Pendant sich wenig Schmeichelhaftes sagen lässt. Das ist jedoch nur eine Facette des Romans und auch keine, der Priorität eingeräumt wird. Nachkommen. ist ein ernster Text, der etwas ganz anderes im Sinn hat als die simple und schon oft getätigte Abrechnung mit dem Literaturbetrieb, man denke an Martin Walsers Tod eines Kritikers (2002),  Klaus Modicks Bestseller (2006), Thomas Glavinics Das bin doch ich (2006) oder Norbert Gstreins Die ganze Wahrheit (2010). Diese Schlüsselromane sind hochgradig selbstreferentiell bis autopoetisch. Nun ist ein publizierter literarischer Text über den Betrieb ohne Selbstreferentialität kaum möglich, schon gar nicht, wenn er aus der Feder einer so erfolgreichen und vielfach prämierten Autorin wie Marlene Streeruwitz stammt und bei einem Traditionsverlag wie S. Fischer erscheint. Doch ihre Perspektive ist eine andere und sie verfängt sich nicht im Geflecht von Betriebsinterna und persönlichen Befindlichkeiten. Von den oben genannten Beispielen unterscheidet sich Streeruwitz schon allein durch ihre geschlechtsbedingt andere Positionierung im literarischen Feld. In diesem Kontext ist auch der Roman zu lesen. Der im Frühjahr erschienene Text ist nur die Basis für ein Projekt, dessen Ziel die Initiierung eines Gegenkonzeptes zur Praxis eines männlichen literarischen Traditionalismus ist, der Frauen zu Randnotizen degradiert und sich klassischer Vater-Sohn-Narrative bedient. Was dort versäumt wird, nimmt Streeruwitz in der Inszenierung einer fiktiven, weiblichen Genealogie selbst in die Hand. Den Roman Die Reise einer jungen Anarchistin in Griechenland., der in Nachkommen. auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises steht, hat sie unter dem Pseudonym Nelia Fehn nämlich tatsächlich geschrieben und im Herbst ebenfalls bei S. Fischer veröffentlicht. Damit wird ihr eigenes Pseudonym zur Protagonistin oder vielmehr umgekehrt, ihre Protagonistin wird zu ihrem Pseudonym.

 

Weibliche Genealogie

Die verstorbene Mutter Nelia Fehns im Roman ist die bekannte Schriftstellerin Dorothea Fehn, die es ihrerseits schon auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises geschafft hatte.  Mutter und Tochter repräsentieren einerseits zwei unterschiedliche Typen von Autorinnen – die Arrivierte, Angepasste, die sich den Regeln stets zu fügen versucht und die Junge, Aufsässige, deren Verweigerungshaltung unschlüssig und letztlich erfolglos bleibt. Beide Strategien erweisen sich in Streeruwitz’ gar nicht so fiktiver Literaturbetriebswelt als wenig erfolgsversprechend. Neben dieser oppositionellen Repräsentationsanordnung stehen Mutter und Tochter auch in einer diachronen Beziehung, in der die Mutter als Vorbild und Leitfigur fungiert. Dem Konzept entsprechend muss die Mutter tot sein, denn nur so kann die weibliche Erbfolge in Kraft treten – und scheitern. Nach dem Tod der Mutter wächst Nelia bei den Großeltern auf. Die Entwicklung einer weiblichen Tradition wird konsequent unterbunden, die Schriftstellerin Dora Fehn im Namen des Vaters ausgelöscht:

Der[Großvater] hatte ihre Romane nicht gelesen, weil sie die nicht unter seinem Namen geschrieben hatte. Deswegen stand auf dem Grab Dorothea Holzinger, und niemand konnte Dora Fehn, die Autorin, finden. Ihr Vater hatte sie hinter seinem Namen versteckt. Hatte die Selbstbenennung seiner Tochter aufgehoben.[1]

Die Beerdigung dieses übermächtigen Patriarchen fällt symbolträchtig auf den Tag der Buchpreisverleihung und die Enkelin hat alle Hände voll zu tun, um rechtzeitig vom Sarg des Großvaters nach Frankfurt zu kommen. Ganz bewusst stellt sich Cornelia in die Nachfolge ihrer Mutter, legt ebenfalls den Vaternamen ab und übernimmt den Künstlernamen der Mutter. Mit dem Zu-Grabe-Tragen des Großvaters wird ein Emanzipationsprozess initiiert, der von allen Seiten Angriffen ausgesetzt ist. Die Familie neidet Nelia den Erfolg und empfindet ihren Text als Affront, ohne ihn gelesen zu haben. So einfach lässt sich die Patrilinearität nicht überwinden: Kaum ist die eine, alles dominierende Vaterfigur, noch dazu ein ehemaliger Nazi, auch so eine problematische Nachkommenschaft, aus Nelias Leben verschwunden, taucht ihr bis dahin unbekannter Vater auf der Bühne auf, der berühmte Literaturkritiker Rüdiger Martens, der von der personalen Erzählinstanz pointiert immer nur als „der Mann“ bezeichnet wird. In der Figur des Vaters bekommen auch die Literaturkritik und die Literaturwissenschaft ihr Fett ab: Von allen hofiert ist der Vater am Wesentlichen desinteressiert und empathielos. Er taucht erst in dem Moment auf, als es etwas zu holen gibt, symbolisches Kapital nämlich. Nelia will mit diesem Vater nichts zu tun haben, doch Nachkommenschaft kann nicht einfach aufgekündigt werden, weder vom eigenen Vater noch von der literarischen Tradition. Das führt zur Orientierungslosigkeit, ist diese Tradition doch von Männern für Männer gemacht und die junge Autorin finden keinen Platz darin. Es sind alte Männer, die in Frankfurt den Ton angeben, junge Frauen dienen nur als Aufputz. Im Kreise der anderen Nominierten ist Nelia die große Außenseiterin. „Die anderen auf der Liste waren alle schon lange bekannt. Hatten ein Werk. Waren wichtig.“ Nelias Roman hingegen wird nur als Buch bezeichnet, sogar vom Kritiker-Vater, dessen Haushälterin immerhin Nelias Roman gelesen hat – man fühlt sich an Hellmuth Karaseks unglückliche Reaktion auf die Verleihung des Literaturnobelpreises an Alice Munro erinnert, der meinte, seine Frau empfehle ihm die Erzählungen dieser Autorin schon seit Jahren, was ihn indes nicht dazu veranlasste, sich selbige auch zu Gemüte zu führen. Die Väter lesen das Werk ihrer Töchter also nicht. Mit dem Beharren der Protagonistin auf der Bezeichnung Roman, wo alle nur von ihrem Buch sprechen, distanziert sich die Protagonistin von der ökonomischen Werteskala des Betriebs: Verlage machen Bücher, SchriftstellerInnen schreiben Romane (natürlich auch Dramen, Lyrik und andere Prosa).

An der Frage nach der Wirksamkeit einer in diesem Kontext geäußerten Kritik kommt man nicht vorbei. Wie ein System kritisieren, auf das man selber angewiesen ist? Eine Foucaultsche Frage, auf die allerdings keine ebensolche Antwort folgt. Subtil war Streeruwitz noch nie, ihre Strategie ist offensiv: „Es gibt die Möglichkeit, sich dieser Dinge zu entschlagen. Mein Roman ist auch ein Manifest dieser Entschlagung. Ich übernehme die Verantwortung nicht, und ich beschuldige“, lässt sie in einem Interview mit dem Standard verlautbaren. Die Crux an der Sache und der Beweis für die Problematik der Strategie ist, dass Die Reise einer jungen Anarchistin in Griechenland. nicht tatsächlich unter Pseudonym veröffentlicht wurde, auf dem Cover wird als Autorin vielmehr „Marlene Streeruwitz als Nelia Fehn“ angeführt und auch der Streeruwitzsche Punkt nach dem Titel fehlt nicht. Insofern handelt es sich, wie Christoph Schmidt in der Süddeutschen Zeitung richtig festhält, eher um Rollenprosa.[2] Die Kritik am kapitalorientierten Literaturbetrieb, an Marketing und Selbstinszenierung läuft ins Leere, weil der Literaturbetrieb sich immer stärker aus dem literarischen ins ökonomische Feld verschiebt, das den Nomos l’art pour l’art nicht (aner)kennt. Ist man nicht gerade Thomas Pynchon, ist eine Verweigerungshaltung für AutorInnen kaum möglich. Genau deshalb muss der Name Streeruwitz auch aufs Cover, da führt kein Weg daran vorbei. Bezeichnenderweise war das auch so ziemlich der einzige Kritikpunkt, den Streeruwitz für ihr Romanprojekt erntete: „Das ist bedauerlich inkonsequent, aber Tribut an einen Buchmarkt, dem man ja nun durch die Lektüre von ‚Nachkommen.’ (ja, mit Punkt) gerade wieder in Ruhe ins Herz geschaut hat.“[3] Aus der Perspektive der Autorin macht es natürlich Sinn, zunächst die Figur zu entwickeln und dann erst „ihren“ Roman zu schreiben. Spannend und tatsächlich subversiv wäre es genau umgekehrt gewesen: Den Roman unter dem Pseudonym zu schreiben, die Reaktionen abzuwarten und dann erst den Meta-Text zu veröffentlichen.


Reaktion des Literaturbetriebs

„Marlene Streeruwitz gewährt uns einen Insider-Einblick in das Literaturgetriebe, und es gelingt ihr, aus dem Ende der Literatur Literatur zu machen“, wird Streeruwitz auf der Internetseite des Deutschen Buchpreises attestiert. Die Protagonistin in Nachkommen. ist desillusioniert:

Die Literatur war am Ende. Alles andere war wichtiger geworden. Und es ging um den Abstieg. Die ganze Veranstaltung war ein Versuch, den eigenen Wert darzustellen und damit der Einschätzung preiszugeben. Das Marketing war dann das Instrument des Obsoleten. Das Marketing stellte das Obsolete offen aus.

Die Jury des Deutschen Buchpreises reagiert auf Streeruwitz’ kritisches Porträt mit der Strategie des Weglobens und hievt die Autorin schmerzfrei und gefahrlos auf die Longlist, zum zweiten Mal nach 2011, wo sie es mit Die Schmerzmacherin. sogar auf die Shortlist schaffte. Das ist nur scheinbar paradox, vielmehr ist es ziemlich typisch. Literarisch vorgebrachte Kritik am Literaturbetrieb prallt, wenn sie intergrierbar ist (anders als etwa bei Walsers „Tod eines Kritikers“), an selbigem von jeher ab. Sofern sich nicht jemand persönlich auf den Schlips getreten fühlt, gibt es ganz im Gegenteil eher Wohlwollen zu ernten. Die Blöße, sich über diese Form der Kritik zu echauffieren, gibt sich niemand. Es tut ja nicht weh. Der Literaturbetrieb, das sind die anderen. So sieht das auch das Feuilleton, das sich durchwegs hocherfreut zeigt über die Darstellung des „Autorenauftrieb[s] in den Frankfurter Römer“[4]. Dabei muss auch das Feuilleton durchaus Federn lassen in Nachkommen., doch es gibt noch eine zentrales Anliegen beider Romane und das ist ein Plädoyer für die engagierte Literatur. Eines macht Streeruwitz in Nachkommen. deutlich: Es gibt wichtigeres als den selbstzentrierten Literaturbetrieb. Das zeigt sie an ihrer Protagonistin, eine defizitäre Figur, die die meiste Zeit mit Nahrungsbeschaffung zubringt und in ihrer zu dünnen Kleidung friert. Ihr autobiographischer Roman handelt von Nelias Reise durch das krisenschüttelte Griechenland, von Armut und Chaos, verursacht durch die Finanzmärkte und das Versagen der Politik. Wie sollte man also auch anders reagieren auf einen Roman der beständig signalisiert: Nehmt euch nicht so wichtig?


Veronika Schuchter, 03.01.2015

Veronika.Schuchter@uibk.ac.at



[1] Marlene Streeruwitz: Nachkommen. Frankfurt/Main: S. Fischer 2014, S. 19.

[2] Vgl.: Christoph Schmidt: Ein Glanz wie Perlmutt. In: Süddeutsche Zeitung (Literatur) v. 7.10.2014, S. 1.

[3] Judih von Sternburg: Wie es ist, in bösen Zeiten regiert zu werden. In: Frankfurter Rundschau v. 2.7.2014, S. 24-25.

[4] Michael Ziegelwanger: Schwänzt doch einfach, ihr Schreibschüler. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 2.9.2014, S. 11.