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Über Steckbriefe, Tierbilder und aufgehängte Schmutzwäsche: Parodistische Physiognomik und "litterarische Karikaturen" als Modi der Literaturkritik. Von Michael Pilz


Hunde und Menschen

Literaturkritiker mit Tieren zu vergleichen, sie bevorzugt auf die Stufe von (notabene: gemeinen) Hunden zu stellen, gehört wohl spätestens seit Goethes im Wortsinne cynischer Aufforderung zum Totschlag des undankbaren Rezensenten zum Standardrepertoire einer mal mehr mal weniger satirisch zugespitzten Metakritik, wie sie bevorzugt vom Standpunkt der Rezensierten aus geübt wird.[1]  Insofern könnte man es frei nach Walter Benjamin durchaus als strategische Anpassung an die oft wenig gemütlichen Anforderungen des „Literaturkampfs“ interpretieren, wenn sich die solchermaßen gescholtene Literaturkritik im Laufe ihrer Geschichte ihrerseits nicht mit tierischen Vergleichen zurückgehalten hat, um ihre Gegenstände respektive deren Urheber zu charakterisieren (und zu attackieren) – ohne dabei freilich dermaßen auf den Hund zu kommen, bei letzterem als einzigem Vergleichsmaßstab stehen zu bleiben. Im Gegenteil: Franz Bleis Bestiarium Literaricum von 1920 – dessen „Ausgabe letzter Hand“ unter dem Titel Das große Bestiarium der modernen Literatur vor genau 90 Jahren bei Rowohlt herausgekommen ist[2]  – liefert den wohl phantasievollsten und bis heute nach wie vor bekanntesten Beweis für den satirisch aufgefächerten Artenreichtum der literarischen Fauna, wenn zunächst in systematischer, später dann in alphabetischer Anordnung (und nach Auflage variierend) zwischen 100 und 180 Beschreibungen „derer Tiere / des literarischen / Deutschlands“ zusammengestellt werden, unter denen sich etwa Franz Kafka als „mondblaue Maus“ mit Menschenaugen (GB, S. 45), Gottfried Benn als „giftiger Lanzettfisch“ (GB, S. 24), Stefan George als „hochbeiniger Watvogel“ (GB, S. 36f.) oder auch „das Hofmannsthal“ tummeln (letzteres im Übrigen ein „gazellenartiges, außerordentlich schlankbeiniges, daher nur stolzierendes, schönfelliges Tier“, das bisweilen den „gern erfüllten Wunsch nach einer ländlichen Heuwiese“ äußert, „wo es dann ein paar humorige Sprünge tut, welche alle, die es sehen, zu Trauer und Tränen rühren […]“ GB, S. 43f.).

Die Tatsache, dass „Menschen mit Tieren zu vergleichen […] manchmal heikel“ sein kann – wie Martin Halter in der Frankfurter Rundschau vom 28.12.2012 anlässlich des Erscheinens von Fritz J. Raddatz‘ neuem Bestiarium der deutschen Literatur vorsichtig festgestellt hat[3]  – hat zahlreiche Epigonen nicht davon abgehalten, das von Blei vorgegebene Schema auch nach 1945 immer wieder aufzugreifen und unter Projektion auf die jeweils aktuellen Autorenpopulationen des literarischen Feldes nur mäßig zu variieren. Raddatz‘ gleichfalls bei Rowohlt vorgelegtes Tierleben von 2012 ist dabei nur der jüngste (und beileibe nicht originellste) dieser Versuche, deren weitere Urheber wie Jens Rehn oder Andreas Koziol in Wulf Segebrechts ebenso grundlegenden wie „unvorgreiflichen Analekten zur Geschichte einer satirischen Gattung“ namens „Bestiaria literarica“ kenntnisreich vorgestellt werden.


Bierbaums „Steckbriefe“ , oder: Denunziation als Methode und Gegenstand der Satire

Mag Franz Blei im Anschluss an Segebrechts Ausführungen nun auch als eigentlicher „Erfinder“ des Prinzips betrachtet werden, die Beschreibungstraditionen mittelalterlicher Tierbücher nach dem Vorbild des Physiologus auf die freie Wildbahn des literarischen Feldes in extenso angewendet zu haben – das zugrundeliegende Verfahren, ein literarisches Panoptikum satirisch porträtierter Autoren und Autorinnen aufzustellen, war bei Ersterscheinen seines Bestiariums keineswegs neu. Zu den „zahlreichen Vorgängern“, von denen der unter dem Pseudonym Peregrin Steinhövel operierende Blei im Vorwort zur ersten Auflage seines Buches andeutungsweise spricht (GB, S. 15), muss zweifellos jene Sammlung von Steckbriefen gerechnet werden, die ein gewisser Martin Möbius bereits zwanzig Jahre zuvor „hinter 30 literarischen Übelthätern gemeingefährlicher Natur“ erlassen und zusammen mit einer Folge von Porträtkarikaturen des Simplicissimus-Illustrators Bruno Paul im Verlag von Schuster & Löffler in Leipzig herausgeben hatte.[4]  Trotz des Titels – der zunächst eine Sammlung von fiktionalisierten Verbrecherporträts nach den Vorgaben kriminalistischer Beschreibungsmuster erwarten lässt, die auf die damaligen Größen des deutschsprachigen Literaturbetriebs angewendet werden – enthält auch diese Sammlung bereits eine Reihe von expliziten Tiervergleichen, wenn etwa Hermann Bahr als flinkes „Wiesel […] auf geschmeidigen Pfoten“ mit der Neigung zum Auslecken „junger Eier“ aus fremden Nestern (SB, S. 19), Michael Georg Conrad als alternder „blonder Hengst aus fränkischem Gestüte“ (SB, S. 31) oder Ernst von Wolzogen als „äußerst fruchtbares und possierliches Litteraturkaninchen“ (SB, S. 131) porträtiert werden. (Die Vorbildfunktion solcher Formulierungen für Bleis nachmalige Bestiarien scheint auf der Hand zu liegen).

In einer Selbstrezension – die unter Maßgabe der Wahrung seines Inkognitos als solche wohlweislich unmarkiert geblieben ist – hat der hinter dem Pseudonym „Martin Möbius“ verborgene Otto Julius Bierbaum (1865-1910) die gattungsbegründende Urheberschaft an dieser Form einer „künstlerisch verkleideten Kritik“ kurzerhand für sich respektive sein alter ego reklamiert, wenn er über die Möbius‘schen Steckbriefe schreibt:

Es wird hier, wenn wir den, wie es scheint noch sehr jugendlichen Verfasser richtig verstehen, der Versuch gemacht, eine neue Gattung des satirischen Schrifttums zu begründen: die litterarische Karikatur … Die Art geschriebener Karikatur ist nicht zu verwechseln mit der Parodie, wie sie z.B. Fritz Mauthner in seinen Studien „Nach berühmten Mustern“ geübt hat. Sie geht mehr aufs Psychologische als aufs Technische, sie ist umfassender und rücksichtsloser … Ihre Kritik (denn schließlich ist sie künstlerisch verkleidete Kritik) zielt aufs Ganze. Es ist ihr nicht bloß um die Manier des Dargestellten zu tun, sondern um seinen ganzen Gehalt. Daher wird die litterarische Karikatur impetuoser und für den Angegriffenen unangenehmer sein, als die Parodie. Für das Publikum eben darum aber wahrscheinlich pikanter, denn es wird ihr etwas Skandalhaftes anhaften, und wir wissen, daß das Publikum selbst seinen Lieblingen gegenüber dem nicht abgeneigt ist …[5]

Wenn Bierbaum das Verfahren seiner „litterarischen Karikaturen“ in der Form von Einzelporträts auch deutlich genug von der Parodie abgrenzt – zumal sie weniger ein bestimmtes Werk als vielmehr dessen jeweiligen Autor zum Gegenstand machen –, so ist ihnen in ihrer sequenziellen Gesamtheit betrachtet doch zweifellos ein parodistischer Zug eingeschrieben, der primär die angewandte physiognomische Beschreibungsmethode selbst ironisiert. Denn obschon Bierbaums Steckbriefe – wie bereits angedeutet – die titelgebende Formvorgabe keineswegs streng genug durchhalten, um etwa als Gattungsparodie polizeilicher Fahndungsmedien und Aufschreibesysteme gelten zu können (der Begriff des „Steckbriefs“ kommt in ihnen vielmehr als recht frei gehandhabtes Synonym für diverse Formen der Kurzcharakteristik zur Anwendung), so ist der im Zeitalter Cesare Lombrosos omnipräsente Hang zur Klassifizierung und Typologisierung verdächtiger Subjekte anhand äußerer physischer Merkmale doch als eine wesentliche Folie für die Rezeption der Sammlung zu betrachten, deren Untertitel keineswegs zufällig auf eine Gleichsetzung von Dichter und Verbrecher abstellt. Statt einer physiognomisch unterfütterten Zoologie wie später bei Blei rückt hier mithin die Praxis einer kriminologisch instrumentalisierten und bereits auf bezeichnende Weise mit den Versatzstücken zoologischer Phraseologie kontaminierten Anthropologie ins Blickfeld, deren konkrete Anwendungsgebiete zum Zeitpunkt der Niederschrift von Bierbaums Satiren während des zweiten deutschen Kaiserreichs im diskursiven Kontext öffentlicher Moral- und Sittlichkeitsdebatten unter Handhabung juristischer und polizeilicher Machtinstrumente zusehends in die behauptete Autonomie der künstlerischen Felder überzugreifen drohten.

In der paratextuellen Rahmung des Bändchens kommt die satirisch verpackte Kritik an der Kriminalisierung von Kunst und ihrer Urheber auf zweierlei Weise zum Tragen: zum einen durch einen fiktiven Copyright-Vermerk, mit dem sich der Verfasser zumindest noch jener wenigen Rechte versichert sehen will, die ihm „von der Lex Heinze übrig gelassen werden“ (was ganz konkret auf die machtstaatlich zementierte Kunstfeindlichkeit des wilhelminischen Obrigkeitsstaats mitsamt seiner strafrechtlich abgesicherten Zensurpraxis abzielt); und zum anderen durch ein fiktives Vorwort, in dem sich der durch ein weiteres Pseudonym als Jungfer „Ulrike die Unentwegte“ maskierte Steckbriefverfasser Möbius als Mitglied eines imaginären Tugendbundes zu erkennen gibt, das bei gleichzeitigem Eingeständnis seiner ebenso heimlichen wie unerfüllten Neigungen für die literarische Moderne die Auswüchse der letzteren öffentlich beklagt, um auf diese Weise seine im Anschluss nur um so heftiger praktizierte Methode der Anprangerung zu legitimieren. Eben dieser Gestus der öffentlichen Überführung scheinbarer „Übelthäter“ wird bei Bierbaum mithin nicht nur als satirische Verfahrensweise einer „künstlerisch verkleideten Kritik“ zur Anwendung gebracht, sondern zugleich zum Gegenstand einer Parodie, die bei isolierter Lektüre der einzelnen „Steckbriefe“ unter Ausschluss der im Paratext gelieferten Rahmeninformationen weitestgehend unerkannt bliebe.


Franz Bleis Bestiarien als Parodie zeitgenössischer Literaturgeschichtsschreibung

Liest man – unabhängig von der potentiellen Vorbildwirkung der Bierbaum’schen Steckbriefe – in diesem Sinne auch Franz Bleis Bestiarien unter Berücksichtigung ihrer paratextuellen Rahmungen, die von mehrfach abgedruckten Vorworten über die Beifügung von Anhängen und Beigaben bis hin zum Apparat mit einer fiktiven Bibliographie des einschlägigen zoologischen Fachschrifttums reichen, so verschiebt sich auch hier der Fokus auf den Gegenstand der Satire von den in Tiergestalt porträtierten Einzelautoren auf die Produkte der Literaturkritik und der Literaturgeschichtsschreibung respektive auf deren klassifikatorisch-typologisierende Beschreibungs- und Bewertungsmethoden zur Einordnung der zeitgenössischen Literaturproduktion selbst. Als Gattungsparodie auf die „modernen Literärgeschichten der Engel, Mayer, Koch, Bartels“ verstanden, wie sie im Vorwort zur fünften bis achten Auflage explizit beim Namen genannt zu werden (GB, S. 9), persifliert Bleis Bestiarium mithin ein metaliterarisches Genre aus der Grauzone zwischen akademischem und literaturkritischem Diskurs, über dessen vorgeblich geringen Wert bereits im Vorwort zur zweiten Auflage kein Zweifel gelassen wird, wenn Peregrin Steinhövel „dem wißbegierigen Leser […] versichert“ (GB, S. 15):

[…] diese abstrusen Kompilationen aus Geburtsdaten, Büchertiteln, Waschzetteln und Zeitungausschnitten, welche sich moderne Literaturgeschichten nennen, weil es ihren Verfertigern so beliebt, sind insgesamt ein öder Mist, jawohl, meine Herren Verfasser, öder Mist,

für den nun mit dem Großen Bestiarium als der „ersten gründlichen kritischen Darstellung dessen, was man […] die moderne Literatur nennt“ (GB, S. 15), überhaupt zum ersten Mal ein ernst zu nehmender Ersatz vorgelegt werde. Die solchermaßen angesprochenen Verfasser einschlägiger Konkurrenzwerke werden dagegen – als „Zoologen der deutschen Fauna literarica“ rubriziert (GB, S. 23) – kurzerhand selbst unter die an anderer Stelle von ihnen gleichermaßen beschriebenen und klassifizierten Bewohner des literarischen Feldes eingereiht, weshalb der Leser im Namensalphabet des Großen Bestiariums außer dem (korrekterweise „Korrodi“ zu schreibenden) „Corrody“ aus der Schweiz etwa auch jenem „Bartels“ begegnet, der „als Zoologe […] einen Radiometer für Nasen erfunden“ habe, „die ihm nicht passen“ (GB, S. 23).

Zumal hier sogar auf der Ebene eines satirischen Einzelporträts innerhalb des Bestiariums die von Adolf Bartels ins Extrem getriebene Anwendung physiognomischer Wertungsmuster als Grundlage einer pseudowissenschaftlichen Literaturbetrachtung zum charakterisierenden Referenzpunkt für die „litterarische Karikatur“ eines notorischen Antisemiten gemacht wird, liegt einmal mehr der Schluss nahe, die für das gesamte Bestiarium typische Übernahme einer naturwissenschaftliche Exaktheit suggerierenden Schreibweise aus den Feldern der Zoologie und der Physiognomik kurzerhand als Parodie auf eben jene spezifischen Formen der zeitgenössischen Literaturgeschichtsschreibung mit biologistisch-sozialdarwinistischen und antisemitischen Tendenzen zu lesen, deren Beweggründe im Falle Bartels von Blei mit dem (wohl zutreffend erkannten) Umstand benannt werden, der zum „Zoologen“ mutierter Literaturkritiker habe, „nachdem er als ein Tier besagter Fauna begonnen hatte, […] als Literatier wenig Glück gehabt, wessen er schuld gibt, daß die Ställe mit jüdischen Literatieren so überfüllt seien, daß ein dünnes Christenschwänzchen darin keinen Platz fände“ (GB, S. 23).

Indes – wie Blei selbst im Vorwort zur zweiten Auflage seinen Peregrin Steinhövel festhalten lässt –: „das Bestiarium ist […] ein dialektisches Buch“ (GB, S. 16), und so ist darin eben nicht etwa nur die Parodie antisemitischer Kategorisierungen à la Bartels erkennbar, sondern auch deren keineswegs parodistisch gemeinte Exemplifikation in der berüchtigten Charakterisierung „der Fackelkraus“ (GB, S. 33f.) durch Carl Schmitt alias „Dr. Negelinus“, bei dem sich Steinhövel für die Zulieferung eines „auf Spezialstudien gegründeten“ Beitrags bedankt (GB, S. 14). Auf letzteren will nun freilich in der Tat nicht zutreffen, was Rolf-Peter Baacke für Bleis eigene satirische Porträtkunst konstatierte – dass die Karikierten darin nämlich „nie niveaulos, verletzend oder gar vulgär dargestellt“ erscheinen (GB, S. 404).

Über Schmitts antiintellektualistische Karikatur von Karl Kraus als eine den Kot ihrer Feinde vertilgenden „Antinatur“ – in der mit penetranter Redundanz von Exkrementen die Rede ist (vgl. GB, S. 33f.) – hat Helmuth Lethen eine scharfsichtige Analyse verfasst.[6]  Im vorliegenden Zusammenhang genügt es, daraus die nüchterne Feststellung zu zitieren, dass es bei Schmitt der „Tonfall der Infamie“ ist, der „den Wortlaut seiner Karikatur“ kennzeichnet, wobei „die antisemitische Grundierung des Körperbildes […] nicht […] übersehen“ werden kann:

Carl Schmitt nimmt einen Schriftsteller aufs Korn, der von seinem Blickpunkt aus durch grenzenlose Assimiliation an fremde Stimmen seine eigene Natur ausgelöscht hat. Der Ekel, mit dem das Porträt verfasst ist, verdoppelt Schmitts Schrecken der Assimiliation. Im Ekel kollabiert die Fähigkeit zur Distanz […],[7]

die den ironischen Umgang mit dem Gegenstand in den meisten übrigen Satiren des Bestiariums immerhin noch kennzeichnen mag. Bei Schmitt dagegen wird das Instrument der „literarischen Karikatur“ einmal mehr zur diffamierenden Waffe im „Literaturkampf“, der hier längst keine feldinterne, innerliterarische Angelegenheit mehr ist, sondern mit der Operation der Grenzziehung eine Kategorie festschreibt, auf der die Schmitt’sche Definition des Politischen schlechthin aufruht: Sie dient der Feindbestimmung.

 

Kurt Tucholsky als Laus, oder: Wilhelm Stapels Säuberungsphantasien

Von Carl Schmitts Karl-Kraus-Porträt in Franz Bleis Bestiarium, das den als Feind identifizierten intellektuellen Gegner als Kotfresser verunglimpft, ist es nurmehr ein kleiner Schritt zum aggressiven Antisemitismus eines Wilhelm Stapel, der die Praxis einer physiognomisch operierenden Literaturkritik im Rahmen seiner Literatenwäsche – einer 1930 veröffentlichten Sammlung literaturpolitischer Polemiken gegen die links-intellektuelle Szene der Weimarer Republik – in letzter Konsequenz an die Säuberungs- und Vertilgungsphantasien der Nationalsozialisten heranführt, die schon drei Jahre später brutale Realität werden sollten: Kurt Tucholsky erscheint bei ihm als Laus, deren Bestimmung es ist, mit der Nadel aufgespießt und dem wissenschaftlichen Blick der Nachwelt überliefert zu werden. So jedenfalls setzt ihn der Illustrator A. Paul Weber ins Bild, der Stapels literarische Polemik mit graphischen Karikaturen von hinlänglicher Eindeutigkeit versehen hat. Literaturkritik ist hier längst zu einer Aufgabe für Kammerjäger geworden, und der als feindliches Schadinsekt identifizierte Autor ein zur Ausrottung bestimmtes Objekt.

Dem Titel Literatenwäsche folgend, schreitet Stapels Buch das Bildfeld der Säuberung konsequent aus: Der Kritiker reinigt den Tempel der deutschen Kunst – gleich ob von Schmutzwäsche oder von Ungeziefer – und nimmt seine Feinde rücksichtslos in die Mangel. Auf dem Titelblatt des Buches hängen mehrere von ihnen (Alfred Kerr ist deutlich erkennbar) wie zum Abtropfen leblos an der Wäscheleine. Dass sich bei Betrachtung dieser Zeichnung beim Leser der fatale Eindruck einstellt, mit einem Akt literarischer Lynchjustiz konfrontiert zu werden, war wohl vom Verfasser ebenso wie vom Illustrator beabsichtigt: „Der literarische Antisemitismus liefert nur die immateriellen Waffen zum Totschlag“, hatte Carl von Ossietzky  Stapels Positionen kommentiert. Von Scherz, Satire oder Ironie konnte da schon längst nicht mehr die Rede sein. 


Michael Pilz, 01.10.2014



Anmerkungen:

[1]  Vgl. Stefan Neuhaus: Literaturkritik. Eine Einführung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2004. (UTB 2482), S. 83 ff.

[2]  Gemeint ist die als „5.-8. Aufl.“ gekennzeichnete, erheblich erweiterte Ausgabe von 1924, die auch der 1995 vorgelegten Neuedition in der Europäischen Verlagsanstalt zugrundeliegt, vgl. Franz Blei: Das große Bestiarium der Literatur. Hrsg. und mit einem Nachwort versehen von Rolf-Peter Baacke. Hamburg: Europ. Verl.-Anst. 1995 (im Folgenden zitiert als GB). Zur Editions- und Publikationsgeschichte der Blei’schen Bestiarien vgl. ebd., S. 402 ff.

[3]  Martin Halter: Vom Prachtleierschwanz. Fritz J. Raddatz‘ possierlich-satirisches Tierleben: „Bestiarium der deutschen Literatur“. In: Frankfurter Rundschau, Nr. 302 vom 28.12.2012, S. 29. Der Artikel ist im IZA archiviert.

[4]  Im Folgenden zitiert als SB.

[5]  Otto Julius Bierbaum: [Rezension zu Martin Möbius: Steckbriefe]. In: Die Insel, 1 (1900), III. Quartal, zit. nach Klaus Peter Muschol: Auf den Spuren eines fast vergessenen Dichters. In: Steckbriefe. Erlassen hinter 30 literarischen Überlthätern gemeingefährlicher Natur von Martin Möbius. Faksimile-Druck. München: Heimeran 1960, S. 136.

[6]  Vgl. Helmut Lethen: Im Schallraum des 20. Jahrhunderts. Carl Schmitt liest Franz Kafka. In: Kulturphilosophen als Leser. Porträts literarischer Lektüren. Hrsg. von Heinz-Peter Preußer und Matthias Wilde. Göttingen: Wallstein 2006, S. 92-101, hier S. 94f.

[7]  Ebd., S. 94f.