Kafkas Gabel

Von Kafkas Gabel gestochen

Ein neuer Sammelband über das Ausstellen von Literatur. Von Marc Reichwein

Katerina Kroucheva, Barbara Schaff [Hrsg.]: Kafkas Gabel. Überlegungen zum Ausstellen von Literatur. Bielefeld: transcript, 2013. 328 S. (Edition Museum, Bd. 1). ISBN: 978-3-8376-2258-4. Preis [A]: 34,00 €.


„Überlegungen zum Ausstellen von Literatur“. Der Untertitel des Bandes, der eine Tagung an der Universität Göttingen aus dem Jahr 2011 abbildet, ist irreführend, denn es geht keineswegs nur um die Ausstellungspraxis von Dichterhäusern, literarischen Gedenkstätten oder Literaturmuseen. Vielmehr wird der Begriff im weitesten Sinne gedacht. ‚Ausgestellte Literatur’ ist demnach – ohne dass dies weiter systematisiert würde – alles, was Literatur vor einer Öffentlichkeit exponiert: Das kann eine Lesung genauso sein wie ein Literaturfestival, eine literarische Landschaft wie ein einzelnes Dichterhaus. Und ein Autoreninterview wie eine literaturwissenschaftlich untermauerte Infografik.

Im Grunde ist der Begriff der ‚Ausstellung’ von Literatur also fast synonym zu dem der Literaturvermittlung, wie ihn die angewandte Literaturwissenschaft seit einigen Jahren gebraucht. Auch die Paratext-Theorie, die man in diesem Zusammenhang für den kommunikativen Raum zwischen Autor, Text und Rezipient geltend machen kann, wabert an einigen Stellen durch den Band, etwa im Beitrag der Mitherausgeberin Barbara Schaff. Neues Grundlagenwissen zur Ausstellung von Literatur durch Festivals[1] bietet ihr Aufsatz zwar nicht. Doch lohnenswert ist ihr beispielhafter Blick auf Großbritannien allemal. Demnach sind es beim Literaturfestival im walisischen Hay-on-Wye mittlerweile „vor allem nicht-fiktionale Werke, Sachbücher und Biographien, die das Publikum anziehen“. Auch im deutschen Sprachraum manifestiert sich dieser Trend: So hat die „lit.Cologne“ mit der „phil.Cologne“ ein Schwesterfestival für explizit philosophische Themen gegründet.

Mit der Ausstellung von Literatur im Rahmen des Kulturtourismus beschäftigt sich Urte Stobbe. Sie konstatiert den Trend, Dichterwohnhäuser und Literaturschauplätze zunehmend „umfassend touristisch“ erlebbar zu machen – wobei sie dabei auch ein Stück weit banalisiert würden: So bedienten die Dresden-Rundgänge, bei denen man in der Original-Feinbäckerei aus Uwe Tellkamps Roman „Der Turm“ einkehren könne, wohl eher eine diffuse „Nostalgie mit Genießerattitüde“ als konkrete literarische Erkenntnisse.

Allgemein, so Stobbe, zeichne sich im Literaturtourismus eine Diversifizierung ab: Es wird nicht mehr nur die klassische Hochliteratur bedacht. Rundgänge auf den Spuren von Donna Leons Commissario Brunetti in Venedig gehören heute ebenso zum Repertoire touristisch ausgestellter Literatur wie der Teenager-Run auf Volterra, den Stephenie Meyers Vampir-„Biss“-Reihe ausgelöst hat. Am letzteren Beispiel zeigt sich, dass die paratextuelle Inszenierung von Literatur im städtischen oder ländlichen Raum keineswegs immer eine Veranstaltung für gealterte Bildungsbürger sein muss, die ihren Dietmar Grieser oder Dirk Heißerer gelesen haben.

Wünschenswert wäre in diesem Zusammenhang auch mehr typologische Forschung zur geografischen Literaturvermittlung, etwa zum raumgreifenden Konzept der Marbacher „Spuren“-Hefte, die literarische Orte ja bewusst gerade da definieren, wo sie nicht durch Gedenktafeln oder museale Stätten ‚ausgestellt’ sind.

Moderne kartografische und überhaupt visuelle Mittel, die literarische Topoi und ihre Protagonisten sichtbar machen, stehen überhaupt noch ganz am Anfang. Ausgehend von Barbara Piattis Literaturlandkarten und Franco Morettis Hamlet-Beziehungsgeflechten darf man aber vermuten, dass gerade die quantitative Literaturwissenschaft zukünftig wesentliche Anregungen für die populäre Literaturvermittlung liefern wird.

Originellster Beitrag des vorliegenden Bandes ist – nicht zuletzt vor diesem Hintergrund – der von Stefan Kutzenberger. Am Beispiel eines Ausstellungsprojekts zu Robert Musils „Mann ohne Eigenschaften“ fragt er, wie Literatur visualisiert werden kann. Seine These: Musils Romanpersonal – namentlich „General Stumms Bemühung, Ordnung in den Zivilverstand zu bringen“ – nimmt innerliterarisch schon Visualisierungsmodelle und Momente der Infografik vorweg, wie sie seit 1983 auch im „dtv-Atlas der deutschen Literatur“ umgesetzt werden.

Neben Musil laden die Beiträge zu Ernst Jüngers Heim in Wilflingen, zu Jane Austens Chawton Cottage und zum Konzept des begehbaren Romans im Lübecker Buddenbrookhaus ein, die Überlegungen zum Ausstellen von Literatur an konkreten Fallbeispielen nachzuvollziehen.

Eher enttäuschend sind die Analysen, die sich noch einmal theoretisierend mit dem Kerngebiet von Literaturausstellungen beschäftigen, also ihrer objektbezogenen Aufbereitung durch Archive, Museen und Gedenkstätten. Hier bietet „Kafkas Gabel“ keine messerscharfen Erkenntnisse – oder zumindest nur wenig, was nicht schon in vorangehenden einschlägigen Bänden zum Thema zu lesen gewesen wäre.[2] Vor allem die überproportionale Kommentierung des Marbacher Literaturmuseums der Moderne (LiMo) wird inzwischen redundant. Das Marbacher Konzept kann, bei aller Gelungenheit im Rahmen des DLA, nämlich nicht Role Model für alles sein.

Was ist denn mit den überregional attraktiven Literaturausstellungen im Strauhof Zürich? Oder im Literaturhaus München? Verwunder- bis bedauerlich, dass der Ausstellungsbetrieb gerade solcher Häuser, die strukturell zwischen den nationalen Literaturarchiven und den personalisierten Dichtergedenkstätten agieren, auch im vorliegenden Sammelband wieder einmal nicht abgebildet wird. Damit die Forschung zum Ausstellen von Literatur kein Regietheater wird, dessen Performanz vor allem sich selbst genügt, wäre jetzt mehr Feldforschung vonnöten. Das erfordert jedoch Studien, die sich konkretere Arbeit machen als allerlei Sekundärliteratur zur Semiotik von Literaturausstellungen zum xten Mal zu remixen.

 

Marc Reichwein, 14.4.2014

marc.reichwein@gmail.com

 


[1] Die Eventisierung von Literaturvermittlung beschäftigt die Forschung schon seit 15 Jahren und hat längst Handbuchreife, vgl. Thomas Wegmann (2005): Literaturfestival. In: Erhard Schütz u.a. (Hg.): Das BuchMarktBuch. Der Literaturbetrieb in Grundbegriffen. Reinbek: Rowohlt, 223-226.

[2] Vgl. Bettina Habsburg-Lothringen (Hg.) (2012): Dauerausstellungen. Schlaglichter auf ein Format. Bielefeld: transcript, 136-145 und 336-345; Anne Bohnenkamp und Sonja Vandenrath (Hg.) (2011): Wort-Räume, Zeichen-Wechsel, Augen-Poesie. Zur Theorie und Praxis von Literaturausstellungen. Göttingen: Wallstein; Burckhard Dücker und Thomas Schmidt (Hg.) (2011): Lernort Literaturmuseum. Beiträge zur kulturellen Bildung. Göttingen: Wallstein; Sabiene Autsch, Michael Grisko, Peter Seibert (Hg.) (2005): Atelier und Dichterzimmer in neuen Medienwelten. Zur aktuellen Situation von Künstler- und Literaturhäusern. Bielefeld: transcript.