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Medien der Autorschaft

Medien der Autorschaft. Formen literarischer (Selbst-)Inszenierung von Brief und Tagebuch bis Fotografie und Interview. Hrsg. von Lucas Maria Gisi, Urs Meyer und Reto Sorg. Paderborn: Fink, 2013. 300 S. ISBN: 978-3-7705-5518-5. Preis [A]: € 35,90. Rezensiert von Elisabeth Sporer


Auf welche Weise kann sich ein Autor medial inszenieren und welche Medien eignen sich dafür? Dies sind die Hauptfragen, die sich WissenschaftlerInnen von drei Schweizer Universitäten (Basel, Fribourg, Lausanne) bei einer Tagung zum Thema „Medien der Autorschaft“ stellten. Außer den Schweizer KollegInnen wurden namhafte Forscher aus dem übrigen deutschsprachigen Raum, wie Uwe Wirth oder Roberto Simanowski, eingeladen. Der nun vorliegende Tagungsband zeigt, wie sich verschiedene Aspekte der medialen (Selbst-)Inszenierung von Autorschaft in unterschiedlichen Medien manifestieren; von Privatbrief und Tagebuch über Foto und Vorwort bis hin zum modernen Medium Internet werden ausgewählte Beispiele analysiert. Die Beiträge sind in literaturwissenschaftlich-chronologischer Reihenfolge angeordnet, beginnend mit dem Vorwort als Medium der Inszenierung bei E. T. A. Hoffmann, abschließend mit einer Studie zur Stilisierung von Autorschaft im Internet. Der Band zeigt ein breites Spektrum an Mediengattungen auf, die hinsichtlich der Inszenierung von Autoren und Autorschaft von Interesse sind. Die Beiträge beschäftigen sich nicht nur mit Beispielen, die literaturwissenschaftlich gesehen auf der Hand liegen, sondern auch mit solchen, die bis vor Kurzem nicht ausreichend von der Literaturwissenschaft untersucht wurden, wie etwa dem Klatsch oder dem Privatbrief als Medien für Inszenierung.

Uwe Wirth beschäftigt sich in seinem Beitrag mit der Inszenierung von Autorschaft in Paratexten, speziell am Beispiel des Vorworts von E. T. A. Hoffmanns „Lebens-Ansichten des Katers Murr“. Hierbei stützt er sich vor allem auf den Performativitäts-Begriff von Erika Fischer-Lichte und Austins Speech-Act-Theory. Auch die Unterscheidung zwischen Schreiber und Schriftsteller nach Michel Foucault und Roland Barthes wird im Zusammenhang mit dem Phänomen der Herausgeberfiktion diskutiert. Wirth stellt die Frage, welche Funktionen ein Vorwort haben kann und ob dieses schon zur Fiktion gezählt werden muss oder nicht. Die „Lebens-Ansichten des Katers Murr“ ist ein Werk, das sich aufgrund der Autofiktion und Reflexivität des Vorwortes hervorragend für eine derartige Untersuchung eignet. Die Studie macht deutlich, dass das Vorwort hier primär als performatives Ritual fungiert, auch wenn es sich auf den ersten Blick als eine Art „Gebrauchsanleitung“ für das Buch tarnt. Die Herausgeberfiktion wird, wie die Analyse zeigt, dazu verwendet, eine vom Medium Druck abhängige Autorschaft zu zeichnen.  

Mit dem Thema Autofiktion beschäftigt sich auch Helene Elshout in ihrem Aufsatz „Der Nörgler in ‚Die Letzten Tage der Menschheit’. Karl Kraus’ Alter Ego als Erzählerfigur“. Sie zeigt, dass die Konstruktion der intradiegetischen, allwissenden Erzählerfigur markante Parallelen zu Kraus hat. Manche Szenen lassen erkennen, dass der Nörgler sich selbst mit dem Autor des Dramas gleichsetzt, indem er sich auf Paratexte bezieht, etwa auf Passagen aus dem Vorwort oder auch auf eine Abbildung neben dem Titelblatt des Dramas. In der ersten Szene, in der er auftritt, setzt er sich sogar mit dem „Fackelkraus“ gleich und wird so von vornherein als Alter-Ego-Figur eingeführt. Elshout analysiert das Drama auch unter narratologischen Gesichtspunkten, was sich anbietet, da Kraus mit den herkömmlichen Mitteln des Dramas spielt und im Text vielfach die Grenzen zur Prosa überschreitet.

Der Brief wird im vorliegenden Band gleich mehrmals als Medium der Inszenierung ins Spiel gebracht. Zunächst beschäftigt sich Nicole A. Sütterlin mit Brentanos Linder-Briefen, die eine Mischung aus Liebesbriefen und gesellschaftlichem Klatsch darstellen. Sütterlin zeigt auf, wie Brentano sein Schreiben als nicht-gewollt bzw. von selbst passierend inszeniert, sozusagen als Folge einer Nicht-Autorschaft. Dies tut er einerseits durch die vermehrte Verwendung von Apostrophen und Gedankenstrichen, andererseits durch Wortfluten bzw. brüchiges Stammeln. Nach einem solchen Ausbruch entschuldigt er sich meist dafür und erklärt, dass er nicht für die Ausbrüche verantwortlich sei, dass diese einfach von selbst kämen. Dies stellt Sütterlin als gekonnte Inszenierung einer Nicht-Autorschaft dar, die sich jedoch, sobald die Konstruktion aufgedeckt wird, als inszenierte Autorschaft Brentanos entpuppt, wozu auch die Art des Schreibens passt, die eher einem literarischen Text als einem Privatbrief entspricht.   

Auch Jochen Strobel beschäftigt sich mit dem Brief als Medium der Inszenierung von Autorschaft. Er erläutert in seinem Beitrag zum privaten Briefwechsel zwischen Franz Kafka und Felice Bauer wie diese Privatbriefe durch ihre Sprache und Hinweise auf Kafkas Autorschaft  als literarisch und zum Teil auch als fiktional gelten können. Franz Kafka und Felice Bauer werden in den Briefen zu literarischen Figuren, da Kafka, wie er selbst bemerkt, aus Literatur bestehe. Strobel bezeichnet die Briefe deshalb als „Grenzfälle von Fiktionalität und Grenzfälle von Autorschaft“ (S. 72). Bei Kafka gibt es wenig Unterschiede zwischen den Textsorten Brief, Tagebuch und Roman. Weiters vergleicht Strobel die Gattungen Brief und Briefroman und erläutert die Rolle des Herausgebers für die Rezeption von Briefen. Auch die Analysekategorien „Erzählsituation“, „Raum“ und „Zeit“ werden anhand von Kafkas Briefen in Bezug auf den Privatbrief im Allgemeinen analysiert.

Die Fotografie wird als Medium der Inszenierung mehrfach erwähnt und als wichtiger Paratext erkannt, der auch auf eine bestimmte Form der Autorschaft hinweisen kann. Fotos tendieren dazu, „als prägnante Marke metonymisch für den Autor und sein Werk zu stehen und in dieser Funktion ein gewisses Eigenleben zu entfalten.“ (S. 128) Reto Sorg legt in seinem Artikel über die Autorenporträts Robert Walsers dar, wie diese sich auf das Image eines Autors und seine Stellung im Literaturbetrieb, aber auch in der Literaturgeschichte auswirken können. Sorg geht davon aus, dass in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts das Fotoporträt im Literaturbetrieb eine große Rolle spielte und dass dem „Tod des Autors“ im Sinne Barthes‘ und Foucaults eine intensive Phase der physischen Inszenierung voranging. Als Beispiel dient Robert Walser, der sich zunächst jeglicher Abbildung verweigerte und sozusagen gesichtslos bleiben wollte, sich später aber doch durch eine längst nicht mehr aktuelle Fotografie, die immer wieder verwendet wurde, als „Jüngling“ inszenierte. Dies deckt sich mit seiner Inszenierung in seinem Werk, bei der er sich gerne als Knaben darstellte. Auf diese Weise beeinflusste er das Bild, das seine Leser sich von ihm machten. Er wusste also genau, wie er sich seinem Publikum präsentieren bzw. nicht präsentieren wollte.

Annemarie Schwarzenbach hingegen hat sich in einer anderen Weise über Fotos inszeniert. Simone Wichor und Kathrin Brühlhart setzen sich mit dem Nachlass der Autorin auseinander und beschäftigen sich nicht nur mit Schwarzenbachs Tagebüchern und Briefen, sondern auch mit Porträtfotos von ihr. Die Autorin entschied sich schon sehr früh dafür, sich durch Fotografien als eine melancholische Künstlerin in Szene zu setzen. Man erkennt sie auf den Fotos als androgynes Zwischenwesen, was zur damaligen Zeit verpönt war. Von  Thomas Manns ist die Aussage überliefert, dass Schwarzenbach als Jüngling als überaus hübsch gelten müsste. Die Autorin hatte sich bewusst dafür entschieden, sich durch diese Inszenierung als homosexuell darzustellen und sich den Konsequenzen, d. h. unter Umständen auch  Diffamierungen, auszusetzen. Sie ließ sich auf allen Fotos in einem melancholischen und leidenden Gestus ablichten. Diese Künstlerrolle korrespondiert auch mit der Selbststilisierung in ihren Tagebüchern und Briefen, die ebenfalls in den beiden Aufsätzen untersucht werden.

Peter Handkes öffentliche Auftritte, Interviews, Fotos und sein literarisches Werk werden von Andreas Freinschlag unter dem Gesichtspunkt des Simmel'schen Begriffs der Koketterie analysiert. Damit ist gemeint, dass es zu einem fortlaufenden Spiel zwischen ihm und seinem Publikum kommt, das nie enden darf, da an diesem Punkt die Koketterie beendet wäre und somit auch die Inszenierung. Nicht umsonst wird Handke oft als Provokateur bezeichnet. Anhand mehrerer Auftritte des Autors wird gezeigt, dass er sich einen Habitus zugelegt hat, der sehr stark von Gegensätzen und einer „Unterminierung von Kommunikationskonventionen“ (S. 225) geprägt ist, die wohl absichtlich zur Inszenierung und zur koketten Kommunikation mit Publikum und Journalisten eingesetzt werden. Er spielt ein doppeltes Spiel, das immer eine Hintertür offen lässt und so nie ganz abgeschlossen ist. Auch in seinem literarischen Werk ist zu bemerken, dass Handke oft mehrere Perspektiven einsetzt. Er spielt auch  mit der Illusion, dass manche Figuren mit ihm gleichzusetzen seien und andere wieder nicht, was er in öffentlichen Kommentaren als Verwirrspiel inszeniert. Auch hier kann man wieder zum Teil von Autofiktion sprechen. Handke spielt damit, sein Gegenüber zu verunsichern.

Wie Jens Herlth in seinem Beitrag zeigt, kann sogar Klatsch als Medium gesehen werden. Durch die Ausweitung des Begriffs „Medium“ in den letzten Jahren hat sich hier eine Erweiterung des Feldes ergeben, die neue und interessante Studien ermöglicht. Der Klatsch, genauer gesagt der „[i]nstitutionalisierte Klatsch“ in Russland vom 19. Jahrhundert bis heute, wird von Herlth  als besondere Form der Fremdinszenierung ins Spiel gebracht. Herlth meint, dass kommunikative Praktiken in Russland, die Autorenbilder konstituieren, unter dem Oberbegriff Klatsch zusammengefasst werden können. Außerdem spielt er „eine entscheidende Rolle in den Prozessen der kulturellen Tradierung, der Kanonisierung oder auch der Dekanonisierung von Autoren (und ihren Werken). Es handelt sich um ein Medium der Konstruktion und der Reproduktion von Literaturgeschichte in Russland.“ (S. 235) Als Material dienen ihm autobiographische Paratexte. Der Klatsch stellt eine Art der Kommunikation dar, die „die Grenze zwischen Öffentlichem und Privatem durchbricht“ (S. 236) und so Privates an die Öffentlichkeit bringt. Außerdem handelt es sich auch um eine ambivalente, weil nicht besonders angesehene Variante der Kommunikation. Ab den 1820er Jahren wurde in Russland der Autor als öffentliche Person wahrgenommen. Das rege Interesse an ihm führte beispielsweise dazu, dass Alexander Puškin erkannte, dass der Autor durch das sensationslüsterne Publikum nicht mehr über sein eigenes Leben verfügen könne. Auch im Werk russischer Autoren schlägt sich der Klatsch nieder. Nadežda Mandel’štam schrieb ein autobiographisches Buch über das Leben ihres Mannes in der Stalin-Zeit. In diesem Buch äußerte sie gegenüber Zeitgenossen Vorwürfe, die nur zum Teil der Realität entsprachen. Leider geht der Artikel über ein paar Beispiele, vor allem im Zusammenhang mit Puškin, nicht hinaus. Ein tieferer Einblick in das Feld wäre wünschenswert.

Schließlich untersucht Roberto Simanowski die Autorschaft im digitalen Zeitalter, das viele – teils gegensätzliche – Möglichkeiten der Autorschaft zulässt. Zunächst wird die Struktur des Hypertexts erläutert, die es möglich macht, dass im Internet oder bei digitalen Kunstprojekten der Leser im Mittelpunkt steht und nicht mehr der Autor. Der Leser kann selbst bestimmen, in welcher Reihenfolge er sich durch das Netz von Links klickt. Dies bewirkt, dass der Autor nur Textteile entwickeln kann, da er über die Reihenfolge, die der Leser wählt, keinen Einfluss hat. Somit liegt die Kohärenz der Geschichte nicht in der Hand des Autors. Links können auch zu Texten anderer Autoren führen. Es kann sich aber auch um sogenannte Mitschreibprojekte handeln, bei denen ohnehin kein einzelner Autor zu nennen ist. Somit ist dies eine ganz neue Form des ‚Todes‘ des Autors, die durch das Medium Internet möglich geworden ist. Doch muss der Autor im Internet nicht zwangsweise tot sein. So stellen etwa Blogs und andere Veröffentlichungsmöglichkeiten im Internet diesen sehr wohl in den Mittelpunkt. So meint Simanowski: „Das Internet [...] ist nicht der Tod des Autors, sondern des Lektors.“ (S. 252) In der Folge werden Kunstprojekte angeführt, die in der literarischen Avantgarde angesiedelt sind, etwa solche, bei denen Texte von einem Computer neu zusammengesetzt oder überhaupt erst  generiert werden. Hier ergeben sich Diskussionen über die Funktion und die Definition von Autorschaft. Kann ein von einem Computer erstellter Text einen Autor haben? Ist der Autor der Programmierer? Kann man einen derartigen Text überhaupt als Kunstwerk sehen oder spricht man ihm jeglichen Sinn ab und untersucht ihn höchstens auf Phänomene wie zum Beispiel Lautmalerei?

Die Inszenierung von Autorschaft erfährt in der Literaturwissenschaft seit einigen Jahren große Aufmerksamkeit. Tagungen und Sammelbände waren bereits verschiedenen Aspekten dieses Themas gewidmet, doch die Medien, durch welche die Inszenierung bewerkstelligt wird, wurden bisher noch nicht in gebührender Weise in den Mittelpunkt gestellt. Deshalb kann dem vorliegenden Band eine Vorreiterrolle eingeräumt werden. Allerdings geht es in den Beiträgen nicht unbedingt immer vorrangig um die Medien der Vermittlung, und die speziellen Eigenheiten dieser Medien im Zusammenhang mit der (Selbst-)Inszenierung werden nicht immer genügend hervorgehoben. Eine ausführlichere Einleitung, welche die Einzelanalysen des Bandes zusammenführt, einen Gesamtüberblick gibt und das Thema „Medien der Autorschaft“ umfassender beleuchtet oder vielleicht sogar kategorisiert, wäre dem Projekt dienlich gewesen. Auch eine kurze Erläuterung der Begriffe hätte sich angeboten, vor allem eine präzisere Definition des Medienbegriffs, da nicht alle im Band erwähnten Beispiele allgemein zu den Medien gezählt werden.

Trotz dieser kritischen Anmerkungen stellt dieser Sammelband eine Bereicherung dar und birgt neue Ideen, die in dieser Form noch nicht publiziert wurden und zu weiterer Forschung anregen. Neueste Entwicklungen im Bereich der Autorschaft in Medien wie E-Mail, Facebook oder Twitter, die hier noch keinen Eingang fanden, könnten in Zukunft auf ähnlich Weise untersucht werden.


Elisabeht Sporer, 22.12.2013
Elisabeth.Sporer@uibk.ac.at