Fuld_Cover

Von Remota bis Comstockery

Werner Fuld: Das Buch der verbotenen Bücher. Universalgeschichte des Verfolgten und Verfemten von der Antike bis heute. Berlin: Galiani, 2012. 525 S. ISBN: 978-3-86971-043-3. Preis [A]: € 23,70. Rezensiert von Irene Zanol


„Muss man sich nicht eher vor dem Verbot als vor schädlichen Büchern fürchten?“ fragte sich Joseph II. 1782 in einem Brief an den Kurfürsten von Trier, denn „das Erstere ist es, was zur Lektüre der Letzteren führt.“[1] Dass Buchverbote schon seit jeher von vielen LeserInnen vielmehr als Empfehlung denn als Warnung verstanden wurden und werden, beweist etwa die Tatsache, dass der Catalogus Librorum Prohibitorum wenige Jahre vor dem Brief des Kaisers, nämlich 1777, selbst auf den Index gesetzt wurde, da er die Nachfrage nach den indizierten Büchern deutlich verstärkte.

Die Erforschung dieser Form der unfreiwilligen Literaturvermittlung, der Zensur, ist mit der Rezeptionsästhetik stärker ins Interesse gerückt. In die Reihe der populärwissenschaftlichen Bücher zum Thema, deren bekanntestes in den letzten Jahren wohl Volker Weidermanns Buch der verbrannten Bücher[2] von 2008 ist, fügt sich Werner Fuld mit seinem – im Titel daran anklingenden – Buch der verbotenen Bücher ein.

Den Begriff „Verbot“ fasst Fuld dabei weit und setzt ihn mit jeglicher Form der Zensur gleich. Thematisiert werden – anders als durch den Titel suggeriert – nicht nur Werke, die durch ein verwaltungs- oder strafrechtliches Verfahren tatsächlich verboten wurden, sondern auch solche, die etwa einer Selbstzensur unterlagen oder die im literarischen Diskurs lange kaum eine Rolle spielten, sodass ihr Verbot für nicht notwendig erachtet wurde. Ein Beispiel dafür ist Aristophanes‘ Komödie Lysistrata, die nicht einmal auf dem vatikanischen Index auftauchte, da es Fuld zufolge ausreichte, dass die Frauen darin vernünftiger seien als ihre Männer, damit das Stück für Jahrhunderte fast in der Versenkung verschwand. Erst künstlerische Bearbeitungen des 19. und 20. Jahrhunderts wie Aubrey Beardsleys Lysistrata-Illustrationen (die der Künstler kurz vor seinem Tod 1898 lieber vernichtet als verlegt gesehen hätte) oder Fritz Kortners Bearbeitung des pazifistischen Stückes für das deutsche Fernsehen 1961 (die der Bayerische Rundfunk nach einer Intervention des damaligen Verteidigungsministers Franz Josef Strauß nicht ausstrahlte) fielen der Zensur – in den genannten Fällen einer informellen Zensur – zum Opfer.

Dass Fuld seinen Verbots- oder besser Zensurbegriff an keiner Stelle definiert und die exemplarischen Fälle, die er interessant und verständlich aufbereitet präsentiert, nicht mit einer  (zumindest kurzen)  theoretischen Grundlegung untermauert, ist bedauerlich. Dass er etwa auf die Verbrennung von Dan Browns Sakrileg im Jahr 2006 durch zwei italienische Lokalpolitiker (S. 118) oder auf jene von Harry Potter-Bänden in mehreren US-amerikanischen Städten durch christliche Fundamentalisten (S. 116) eingeht, deutet aber darauf hin, dass er mit seinem weiten Zensurbegriff Pierre Bourdieu folgt, der jede Form der versuchten Diskurskontrolle als Zensur verstanden wissen wollte.[3]

„Die Geschichte der Verbote ist […] vor allem eine Geschichte vom Überleben des in Büchern gespeicherten Gedächtnisses der Menschheit“ (S. 10), schreibt der Autor in seinem Vorwort. Daneben ist die Geschichte der Verbote (leider) auch eine, die sich immer und immer wiederholt. Wenngleich die politischen, religiösen und gesellschaftlichen Vorzeichen sich stetig wandeln, so hat sich das Buchverbot als solches seit der Antike kaum verändert und infolgedessen ähnelt sich die Rezeption verbotener Bücher oft bis ins Detail. Dass man Fulds Ausführungen dennoch über 300 Seiten lang gespannt folgt, ist ein Verdienst des Autors, der es versteht, jene bemerkenswerten, oft auch skurrilen Details oder Anekdoten hervorzukehren, die jeden einzelnen Fall zu einem besonderen machen.

Dabei geht Fuld weder chronologisch vor, noch gliedert er seine Kapitel stringent geographisch. Die Unübersichtlichkeit, die dadurch entsteht, wird durch ein Personenregister, das sich wie ein Kanon der Weltliteratur liest, leicht wettgemacht. Darüber hinaus hat die Sprunghaftigkeit und teilweise eigenwillige Abfolge den Effekt, dass Kontraste wie Zusammenhänge sichtbar und Parallelen deutlich werden, wo man zunächst keine vermutet hätte. Auf den Abschnitt über die nationalsozialistischen Bücherverbrennungen von 1933 folgt etwa eine Schilderung der Situation in den USA, dem damals vermeintlichen „Hort der Meinungsfreiheit“ (S. 115), in dem eine comstockery auch Jahrzehnte nach dem Tod ihres Initiators, Anthony Comstock (1844-1915), noch das „scheinbar endgültige Aus – nicht nur für das Buch, nicht selten auch für den Verleger oder den Autor“ (S. 105) bedeutete. Die politische Verfolgung von SchriftstellerInnen, wie sie in Deutschland ab 1933 systematisch stattfand, lehnte man in den USA zwar zunächst strikt ab (sie wurde aber wenig später, in der McCarthy-Ära, durchaus wieder betrieben), Verbote aufgrund moralischer Verstöße waren ab 1873 durch das „Comstock Law“, das die Zensurfreiheit in den USA faktisch abgeschafft hat, aber traurige Realität.

Für das Kapitel über Zensur in der DDR wurde Werner Fuld von einigen Rezensenten – teils zu Recht – gescholten. Jörg Magenau geht in seiner Besprechung sogar so weit zu behaupten, Fuld hätte im Kapitel über die Literatur der DDR „völlig die Beherrschung“ verloren. Und wenngleich man bedenken muss, dass manche Zuspitzung dem essayistischen Stil des Buches geschuldet ist – Fulds persönlicher Meinung, dass von der DDR-Literatur nichts weiter bleiben würde als „Werner Bräunigs verbotenes Buch [d. i. Rummelplatz] und die Erinnerung an gebrochene Lebensläufe“ (S. 280) ist auch die Verfasserin des vorliegenden Beitrags geneigt, heftig zu widersprechen.

Der Untertitel des Bandes, „Universalgeschichte des Verfolgten und Verfemten von der Antike bis heute“, der vielleicht weniger dem Autor als vielmehr der Vertrieb- und Marketingabteilung des Verlags anzulasten ist, klingt ambitioniert und verspricht zu viel. Werner Fuld gelingt es aber, Schlaglichter auf ausgewählte Schicksale einzelner Bücher zu werfen, an die zu erinnern eine wichtige Aufgabe ist, der Fuld kenntnisreich und unterhaltsam nachkommt.

 

Irene Zanol, 22.12.2013
irene.zanol@uibk.ac.at



[1] Zit. nach Werner Fuld: Das Buch der verbotenen Bücher. Universalgeschichte des Verfolgten und Verfemten von der Antike bis heute. Berlin: Galiani, 2012, S. 83.

[2] Volker Weidermann: Das Buch der verbrannten Bücher. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2008.

[3] Vgl. Pierre Bourdieu: Die Zensur. In: [Ders.]: Soziologische Fragen. Aus dem Französischen von Hella Beister und Bernd Schwibs. Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1993 (Edition Suhrkamp, 1872), S. 131-135.