Hanske_klein

Erfundene Laienkritik

5 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich. Von Veronika Schuchter


Paul-Philipp Hanske, Barbara Höfler, Klaus Raab, Jakob Schrenk: 5 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich. Die 100 bekanntesten Bücher im Urteil der Leser. Reinbek: Rowohlt, 2012, 265 S. ISBN: 978-3-499-62986-0. Preis [A]: € 9,30.

Selten hat der Verriss die üblicherweise milde gestimmte Rezensentin so sehr in den Fingern gejuckt, wie bei der Betrachtung dieses Buches – und das, ohne viel mehr als den Titel gelesen zu haben. Kommentarlos aneinandergereihte Kundenrezensionen zu den 100 bekanntesten Büchern? Aha. Was soll man mit so einem Buch anfangen? Die Seriosität verbietet es, ein ungelesenes Buch zu rezensieren (was auf die LaienkritikerInnen im Buch nicht immer zutrifft, Zitat: „Ich habe das Buch nicht gelesen“, S. 213), also Kampf dem Vorurteil oder zumindest Material suchen für einen richtig schönen Verriss und ran an den Text. Gesucht – gefunden. „Die 100 bekanntesten Bücher im Urteil der Leser“ verspricht der Titel, darunter finden sich so bahnbrechende Klassiker wie Krieg und Frieden, Die Blechtrommel, Moppel-Ich und Bushido. Natürlich darf auch das Microsoft Office Home and Student 2007-Handbuchnicht fehlen und schon gar nicht Adolf Hitlers Mein Kampf.

Die Herausgeber (4! an der Zahl) versprechen laut Klappentext immerhin nichts weniger als „überraschende Perspektiven auf Klassiker der Weltliteratur und aktuelle Bestseller“. Die Überraschung hält sich in Grenzen. Die zitierten LaienkritikerInnen wiederholen sich und sollen als Arsenal stereotyper Leserstandpunkte fungieren: MEDEA, die Feministin, sieht in den Buddenbrocks den „Verfall einer männlichen Genealogie“ (S. 171), während die Märchen aus 1001 Nacht „1001 Tage Unterdrückung“ darstellen (S. 166), die Gebrüder [sic!] Grimm „Zweierlei Frauenbild“ (S. 92) propagieren und Noah Gordons Der Medicus nur „Chauvinistische Doktorspiele“ (S. 89) bereithält (spätestens da fragt man sich, ob sich hinter dem Pseudonym die Redaktion der EMMA verbirgt, tut sie aber wohl doch nicht, sonst würde nicht als positive Alternative Die Wanderhure ins Feld geführt). Empörend ist auch Asterix: „34 Bände und gerade mal 2 davon gegendert!“ (S. 83). Für die sexistische Lesart ist DonAleXXX zuständig, der Helene Hegemanns Axolotl Roadkill „Genialst geil“ (S. 103) findet und ansonsten Vulgaritäten von sich gibt, die mit Sternen (nein, ausnahmsweise nicht die Wertungssterne) überdeckt werden müssen. Venus69 gibt den sexsüchtigen Vamp, der von zu kleinen Penissen abrät und in Büchern hauptsächlich nach Stellungstipps sucht. Die Fehlerfinderin bewertet Bücher nach der Fehlerquote und weist Günter Grass und seiner Blechtrommel nach, dass ein solcher Fall „in der gesamten Psychiatrie-Geschichte niemals beschrieben worden“ ist. „Ich habe das recherchiert. Herr Grass offenbar nicht“ (S. 97).

So weit so gut, der Inhalt sollte damit ausreichend umrissen sein. Der Leser dieser Rezension wird jetzt wahrscheinlich ob der stupiden Stereotype der zitierten Beispiele misstrauisch, und das zu Recht. Man muss allerdings schon sehr genau lesen, um die Information, die sowohl auf der Rückseite des Buches als auch im Werbetext fehlt, zu finden: alles erfunden. Ein solches Buch sollte entweder Sinn machen oder Spaß. Beides ist nicht der Fall. Hin und wieder kommt einem ein Schmunzeln über die Lippen und man fühlt sich tatsächlich an real existierende Personen erinnert, größtenteils ist der Humor aber zu platt, Klischees werden überstrapaziert („hach, warum müssen in Schwulenkreisen immer alle so sweet sein!“, S. 260) und die Idee, witzige Kundenrezensionen zu erfinden, trägt kein ganzes Buch. Interessant wäre das nur, handelte es sich um echte Texte. Wer für diese Art von Humor etwas übrig hat, der kann sich das Geld sparen und sich bei Amazon kostenlos amüsieren. Aber bitte nicht bei den Kundenrezensionen zum hier besprochenen Buch. Die kommen einem nämlich stilistisch verdächtig bekannt vor.

Fazit: MEDEA würde dieses Buch als sexistisch und die männliche Hegemonie fortschreibend direkt in den Mülleimer befördern, die Fehlersucherin den groben Schnitzer, Joanne K. Rowling zu einer Joan zu beschneiden, monieren, Karl Theodor die vulgäre Suada in eine Reihe mit Comedy-Programmen von Mario Barth stellen und einzig DonAleXXX, ein nach Paraguay ausgewanderter, echt krasser Macho, käme voll und ganz auf seine Kosten. Wer allerdings eine augenzwinkernde Parodie von Literaturkritik bzw. des Literaturbetriebs lesen möchte, die sich nicht einfach nur in plumper Imitation über LaienkritikerInnen lustig macht, sei auf Walter Moers Zamonien-Romane verwiesen.


Veronika Schuchter, 14.12.2012

Veronika.Schuchter@uibk.ac.at