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Zeitschriften und Presseschauen

Vom Beobachten der Beobachter – online wie offline.

 

Beginnen wir mit einer Äußerlichkeit: Volltext – nach wie vor eines der umtriebigsten und lesenswertesten Journale für Literaturinteressierte – hat sich klammheimlich mit Heft 4/2015 ein neues Outfit verpasst: Auch laut Untertitel ist damit aus einer „Zeitung für Literatur“ eine „Zeitschrift für Literatur“ geworden. Man mag das als traditionsverhafteter Leser bedauern (war der Druck auf Zeitungspapier doch ein schönes Alleinstellungsmerkmal und ließ sich zudem als implizite Reminiszenz an die alte Literarische Welt von Willy Haas interpretieren). Man kann die Neugestaltung, die bei einer bescheidenen Reduktion des Formats eine Verdoppelung der Gesamtseitenzahl gebracht hat, freilich auch programmatisch lesen: hier will ein Literaturblatt mehr sein als ein potentielles Wegwerfprodukt, indem es größere Haltbarkeit signalisiert (oder noch programmatischer: hier will man sich von der Zeitungskrise gleich gar nicht erst tangieren lassen, indem man Verwechslungen vermeidet). Wie dem auch sei – als Ort eines unaufgeregten Metadiskurses über die Literaturkritik bleibt Volltext ungeachtet aller Layout-Fragen ein schätzenswertes Medium, das dezidiert zur Reflexion nicht nur über die Literatur sondern auch über deren Vermittlung einlädt. So soll etwa der in Nr. 2/2015 aus Anlass des Bachmannpreises eingeführte Fragebogen Zum Geschäft der Literaturkritik heute fortgesetzt werden, indem man weitere KritikerInnen über ihre Profession befragt – beginnend in Nr. 3/2015 mit Insa Wilke, Alfred-Kerr-Preisträgerin des Jahres 2014.

Daneben hat Volltext auf seiner Website seit Oktober 2015 eine tagesaktuelle Presseschau installiert, die weniger als Konkurrenz denn als Komplement zum Angebot des perlentauchers daherkommt – indem sie etwa keine Annotationen, sondern lediglich Direktlinks auf eine Auswahl lesenswerter Feuilletonbeiträge liefert, dafür aber auch die österreichische Medienlandschaft in stärkerem Maße mit berücksichtigt. Verfolgt man beide Angebote täglich, stellt sich einmal mehr die Frage, wo denn nun eigentlich die Wüstenei sei, die sich laut diversen literaturkritischen Apokalyptikern im Feuilleton ausbreite wie das alles verzehrende Nichts in Michael Endes Phantásien. Denn wo das Nichts herrscht, bedarf es auch keines Überblicks mehr – gerade danach aber scheint ein zunehmender Bedarf zu bestehen, nicht nur vor dem proliferierenden Hintergrund der Webpublikationen, die der perlentaucher mit seinem neuen Angebot Lit 21 (als einem „fortlaufend aktualisierten Wegweiser durchs literarische Leben im Netz“) auf den Schirm nimmt, sondern auch mit Blick auf die Printlandschaft: Noch ist der Bewuchs im Feld der Literaturkritik offensichtlich dicht genug, um beim Publikum den Wunsch nach Sichtung und Sortierung wachzuhalten.

Wer diesen Wunsch befriedigt sehen will, kann seit Jänner dieses Jahres auch auf das neue Recherchetool für deutschsprachige Literaturzeitschriften zugreifen, das der LiteraturPort als Kombination aus einer laufend aktualisierten Übersicht über die Inhaltsverzeichnisse wichtiger Blätter einerseits und einer vierteljährlich bereitgestellten, kommentierten Zeitschriftenschau aus der Feder eines Literaturkritikers andererseits anbietet – und so neben der eigentlichen Datenbankrecherche auch einem journalistischen Genre im Netz eine Heimat bietet, das aus den Feuilletonspalten der Tageszeitungen nun tatsächlich weitestgehend verschwunden ist. Den Anfang für 2016 macht Gregor Dotzauer vom Tagesspiegel, der die aktuellen Ausgaben von Wespennest, Edit, Metamorphosen und Akzente bespricht und damit die gar nicht hoch genug zu schätzende, schon seit geraumer Zeit laufende Zeitschriftenlese des Leipziger Poetenladens wiederum weniger konkurrenziert als vielmehr flankiert und ergänzt. Seit runden dreizehn Jahren schon wechseln sich dort die beiden Lyrikexperten Michael Braun und Michael Buselmeier ab, um Monat für Monat das nach wie vor denkbar bunte Terrain der deutschsprachigen Literaturzeitschriften abzuschreiten und einer kritischen Sichtung zu unterziehen: Zeitschriften dienen eben nicht nur als Publikationsort für Literaturkritik, sondern sind es auch wert, als ihr Gegenstand beachtet zu werden.