Die ganz normale Verrücktheit in Organisationen

Prof. Burkard Sievers gab in seinem Vortrag „Die Psychotische Organisation - Einige sozioanalytische Überlegungen zur ’ganz normalen’ Verrücktheit in Organisationen“ Einblicke in das Unbewusste von Organisationen.
Prof.  Burkard Sievers
Prof. Burkard Sievers

Die Untersuchung der ganz normalen Verrücktheit in Organisationen, bzw. die Forschungsaktivitäten zum Unbewussten in Organisationen hat sich erst in den letzten 25 Jahren zu einer eigenständigen Wissenschaft entwickelt. Bei seinem Vortrag am Institut für Kommunikation im Berufsleben und Psychotherapie betonte Prof. Burkard Sievers, dass sein Ansatz erheblich von Melanie Klein geprägt ist. Die österreichisch-britische Psychoanalytikerin untersuchte die frühkindlichen Entwicklungen und die Eltern-Kind-Interaktion. „Ein Säugling durchläuft zuerst die paranoide Position, in der er seinen Todestrieb bekämpft“, erklärte Prof. Sievers. „Dieser Position folgt dann die depressive Position, in der sich der Säugling seiner Liebe, aber auch seines Hasses bewusst wird und Dankbarkeit und Einfühlung in seine „caring persons“ entwickelt. Er befindet sich in einer ambivalenten Situation“, erklärte er den Ansatz von Melanie Klein weiter. Kein Zustand hält aber ewig an. „Unsere früheren paranoide Ängste holen uns in belastenden Situationen immer wieder ein“, führte Prof. Sievers in der einführenden Darstellung seiner Theorie aus.

 

Verrücktheit in Organisationen

Die Arbeit von Burkard Sievers auf dem Gebiet der psychotischen Organisation fand seinen Ursprung auf Tavistock-Konferenzen, die er seit Jahrzehnten mitorganisiert. Die Konferenzen lassen organisationale Dynamiken quasi durch ein Mikroskop studieren und sind oft von zwei Aspekten geprägt. Einmal durch die Dynamik der Angst verrückt zu werden und zum anderen durch den Wunsch, andere verrückt zu machen.

Des Weiteren erläuterte er, dass soziale Organisationen - und hier vor allem gewinnorientierte Unternehmen - ihre Psychosen nach außen hin verbergen. Ihm entstehe hier oft der Eindruck, erklärte Burkard Sievers, dass diese Organisationen in dem Versuch gefangen sind, den Druck oder die Bedrohung durch MitbewerberInnen abzuwehren, gleichzeitig aber den Markt zu beherrschen. Die äußere Welt von Organisationen wird souverän gestaltet und nach innen treten psychotische Phänomene wie Hass, Entwertung, Destruktion und Realitätsverleugnung auf. Die Psychose erklärte er als einen Prozess, durch den Menschen den Sinn und die Bedeutung von Realität verstehen.

 

Psychotische Organisationen

Seine Ausführungen erläuterte Burkard Sievers auch an zwei konkreten Beispielen: Zum einen am Unternehmen Volkswagen in Wolfsburg und zum anderen an der SPÖ.

„Vor einigen Jahren kam ich im Rahmen von Gesprächen zur Volkswagen-Zentrale nach Wolfsburg“, erzählte er. Am Eingangstor fiel ihm als erstes auf, wie unfreundlich das Wachpersonal war. Das Gespräch führte Prof. Sievers in einem Büro, in dem auf dem Schreibtisch des VW-Mitarbeiters ein Gartenzwerg stand, der ein Messer im Rücken hatte. Sowohl in der Unfreundlichkeit des Wachpersonals, als auch im Gartenzwerg sah er deutliche Indizien, dass sich die Geschichte des Unternehmens auf den Mikrokosmos und die Aktivitäten von VW auswirkt. „Die Geschichte von VW ist aufs engste mit dem Nationalsozialismus verknüpft“, erklärte Burkard Sievers. Die Kriegsmetapher in diesem Unternehmen habe dadurch einen konkreten Hintergrund und bezieht sich nicht nur auf den Kampf auf dem internationalen Automarkt. Aus seinen Erfahrungen in der Konzernzentrale zieht er die Annahme, dass „ähnliche Kriegsdynamiken in den Strategien vieler Unternehmen zu finden sind, nicht nur bei VW. "Sie entstehen aus dem Druck, ihre Rolle als Global Player aufrechterhalten zu wollen.“

Als zweites Beispiel nahm Prof. Sievers seine Zusammenarbeit mit einem SPÖ-Ortsverein. Hierbei ging es um die soziale Bedeutung von Träumen. In einer Traummatrix erzählen sich die TeilnehmerInnen gegenseitig ihre Träume und assoziieren. Bei den Assoziationen kann geklärt werden, welche Beziehungen und Verknüpfungen zwischen Träumen und Träumern bestehen und auf welche Organisationsdynamiken diese soziale Träume verweisen.

Ein Teilnehmer erzählte von seinem Traum, der sich um eine Parteiveranstaltung drehte. „Er erzählte, dass es dort eine Tombola gab. Der Hauptgewinn war ein aufblasbares Auto“, berichtete Prof. Sievers. "In der Diskussion über den Traum, merkte der Teilnehmer dann, dass er die Parteiveranstaltung als aufgeblasen betrachtete und seine eigene Rolle in der Partei als sehr unbedeutend ansah."

Das Ergebnis der Traummatrix war, dass sich die TeilnehmerInnen einig waren, wie schwierig die neue inhaltliche Ausrichtung der SPÖ für viele Mitglieder ist und wie sie für ihre verlorenen Ideale kämpfen können.

 

Zugang zum Unbewussten

Zum Abschluss seines Vortrages erläuterte Burkard Sievers, dass der Versuch, Organisationen aus sozio-analytischer Sicht zu betrachten, einen wichtigen Zugang zum Unbewussten in Organisationen verschaffen kann. Außerdem können so ein neues Denken und wichtige Beiträge zur Theorie und Politik von Organisationen eröffnet werden.

„Der psychotische Teil einer Organisation besteht neben dem nicht psychotischen. Ebenso können Dynamiken einer Organisation psychotisch sein oder nicht“, erklärte er. Das Management eines Unternehmens muss in der Lage sein, den psychotischen Teil anzuerkennen. Auch muss die Fähigkeit vorhanden sein," führte er abschließend aus, „den nicht psychotischen Teil der RollenteilnehmerInnen zu mobilisieren, die Anteil am Erfolg der Organisation haben.“