Kunsthistorikerin will Gombrich eine Stimme geben

Sir Ernst H. Gombrich, einer der bedeutendsten Kunsthistoriker des 20. Jahrhunderts, steht im Zentrum des Forschungsinteresses der Kunsthistorikerin, Prof. Sybille-Karin Moser-Ernst. Neben einer Tagung, die sie anlässlich seines 100. Geburtstages organisiert hat, will sie in ihrem Forschungsprojekt „Warum Gombrich: Jetzt?“ eine intellektuelle Biographie über ihren Lehrer erstellen.
Das Poträt Gombrichs auf dem Plakat zur Tagung in Greifswald stammt aus der Feder von …
Das Poträt Gombrichs auf dem Plakat zur Tagung in Greifswald stammt aus der Feder von Sybille-Karin Moser-Ernst.

Sybille-Karin Moser-Ernst, Professorin am Innsbrucker Institut für Kunstgeschichte, hat lange Zeit am Warburg Institute bei E.H.Gombrich studiert. „Da ich Gombrich selbst erlebt habe und in Gesprächen gemerkt habe, dass ihn seine Nichtbeachtung in Österreich sehr wohl kränkte, auch wenn er es so nicht gesagt hat, möchte ich die Bedeutung seines Werkes im deutschsprachigen Raum wieder sichtbar machen“, erklärt die Kunsthistorikerin.

 

Nichtbeachtung im deutschen Sprachraum

Zwar zitiert man Sir E.H.Gombrich in nahezu jeder Neuerscheinung zur Kunstwissenschaft, dennoch weicht man „dem Kunsthistoriker mit Bodenhaftung“ in Österreich und Deutschland an vielen kunsthistorischen Instituten aus. „Man stellt Gombrich in den Hintergrund, weil er den im vergangenen Jahrhundert so modisch gewordenen Kulturwissenschaften mit seiner grundlegenden Kritik an der Hegelschen Geschichtsphilosophie (`Zeitgeist´-Theorie) den Boden entzogen hat“, beschreibt Prof. Moser-Ernst. Ganz anders werde mit Gombrichs Wissen in Italien, Spanien und besonders im englischsprachigen Raum umgegangen. „Dort gehört Gombrich zur Standardlektüre für jeden Studierenden der Kunstgeschichte“, so Moser-Ernst.

 

Aktuelle Theorien

Gombrich war ein Kritiker von Geschichtsphilosophien. Er vertrat die Meinung, dass die Bedeutung eines Bildes nicht in Anbetracht einer maßgebenden Weltanschauung in einer bestimmten Zeit, sondern in den Ansichten des Künstlers einerseits und des Betrachters andererseits liegt. Bilder sind nicht Fenster in die vergangenen Zeiten, die durch Bilder wissenschaftlich gelesen werden könnten. Gombrich beschäftigte sich auch intensiv mit Karikaturen.  Ein Thema, das, so Moser-Ernst, aktueller denn je ist. „Beim Karikaturenstreit 2006 haben sich die Kunsthistoriker sehr zurückgehalten. Ein Fehler, wurde doch ein Bild zu einer politischen Waffe. Nach Gombrich tragen der Betrachter und dessen Wahrnehmungsfähigkeit dazu bei, welche Erinnerungen ein Bild hervorruft; das Bild an sich ist weder gut noch böse“, erklärt die Kunsthistorikerin und zitiert ihren Lehrer: „Lasst die armen Karikaturisten. Wenn euch die Welt nicht gefällt wie sie ist, müsst ihr schon selbst Ordnung schaffen.“

 

Gombrich als Vorbild

Moser-Ernst will Sir Ernst H. Gombrich wieder ins Bewusstsein der Menschen bringen, da sie davon überzeugt ist, dass er ein Vorbild sein könnte. „Gerade in der heutigen Zeit, in der Theorien aus dem Poststrukturalismus in der deutschen Perzeption zu einer Art Orientierungslosigkeit führen könnten, brauchen wir Vorbilder, die Wege gezeigt haben, wie man mit der Geschichte umgehen kann“, ist Moser-Ernst überzeugt und weiter:  „Gombrich – der wegen seiner zeitlos richtigen Fragen von einem Kollegen als aufragender Pfeiler bezeichnet wurde, der nicht von der fortschreitenden Forschung davongeschwemmt werden kann -  kann auch ein Leuchtturm sein, der den Orientierungslosen Signale gibt.“

 

Ein erster Schritt in diesem Prozess des Sichtbarmachens von Gombrichs Ideen war die Organisation und wissenschaftliche Leitung eines internationalen Symposiums anlässlich seines 100. Geburtstages am Alfried Krupp Wissenschaftskolleg in Greifswald im März 2009. „Nachdem im August 2008 noch keine Pläne – weder in Wien noch in London – bekannt waren, Gombrich anlässlich seines 100. Geburtstages am 30. März zu gedenken, entschloss ich mich, ein Konzept für ein Symposium bei der Alfried Krupp – Stiftung einzureichen“, erklärt die Kunsthistorikerin Moser-Ernst.

 

In einem weiteren Schritt will sie nun in ihrem Forschungsprojekt „Warum Gombrich: Jetzt!“ eine intellektuelle Biographie Gombrichs erstellen. Der Fokus soll dabei in einem ersten großen Baustein besonders auf seine Schriften von 1934 bis 1959 gelegt werden, die bis dato noch relativ unbekannt sind. „Ich möchte meinem Lehrer Gombrich besonders in Österreich wieder eine starke Stimme geben“, so Moser-Ernst; „die auf der Wiener Tagung 2002 ins Auge gefaßte Zukunft der Kunstgeschichte, für welche ‚Vielfalt statt Einfalt“ als Motto gefunden wurde, könnte durch den Wiener Schüler E.H.Gombrich wertvolle Hinweise zur Orientierung erfahren.“

 

Zur Person

Sybille-Karin Moser-Ernst studierte Mathematik und Französische Literatur sowie Kunstgeschichte, Geschichte und Philosophie und promovierte 1984 sub auspiciis praesidentis an der Universität Innsbruck. Von 1986 bis 1992 war sie anläßlich jährlich mehrwöchiger Forschungsaufenthalte am Warburg Institute, University of London, Schülerin Gombrichs. Seit 1980 ist Moser-Ernst am Institut für Kunstgeschichte der Universität Innsbruck beschäftigt, erst als wissenschaftliche Mitarbeiterin,  seit 2001 als außerordentliche Universitätsprofessorin. Ihre Erfahrungen in der Lehre in Ontario/Kanada machte sie durch das Zustandebringen eines Austauschprogramms zwischen den Universitäten Guelph/Ontario und Innsbruck fruchtbar. 

Moser-Ernst ist nicht nur Forscherin und Lehrerin, sondern auch Mutter von Zwillingen. Die Kunsthistorikerin trat auch als Porträt- Malerin hervor, unter anderem stammt das Porträt des Alt-Rektors Wolfram Krömer im Senatssitzungssaal der Universität Innsbruck von ihr; ein Gemälde, das kürzlich von der Autorin Elia Barceló in ihrem Buch „Die Stimmen der Vergangenheit“  als Schlüssel in eine längst vergessene Zeit benützt wurde.

 

 

(sr)