Wissenschaft auf Sinnsuche

Nach dem Sinn des Lebens fragen viele Menschen, aber nur wenige gehen dabei so radikal empirisch vor wie die Psychologin Tatjana Schnell. Sie beschäftigt sich seit acht Jahren wissenschaftlich mit dem Thema Lebenssinn und stellt ihre Ergebnisse allen Interessierten und Sinnsuchenden auf der Website www.sinnforschung.org zur Verfügung.
Auf der Website www.sinnforschung.org stellt die Psychologin Tatjana Schnell ihre For …
Auf der Website www.sinnforschung.org stellt die Psychologin Tatjana Schnell ihre Forschungsergebnisse zur Verfügung. (Foto: Peter Becker)

Fast jeder Mensch stellt sie sich mehrmals im Laufe seines Daseins: Die Frage nach dem Sinn des Lebens. Antworten bieten anerkannte Kirchen ebenso wie andere Glaubensgemeinschaften oder Ratgeber-Literatur. Die Wissenschaft meldete sich bisher selten zu Wort, und die Sinnforschung – deren Pionier Viktor Frankl aus Österreich kam - ist derzeit noch ein weitgehend weißer Fleck in der europäischen Forschungslandschaft.  „Das wird sich künftig ändern. Insbesondere die Nachwuchswissenschaft ist dem Thema gegenüber sehr offen“, meint Dr. Tatjana Schnell vom Innsbrucker Institut für Psychologie. Sie selbst betreibt seit acht Jahren Sinnforschung und hat mit dem Fragebogen zu Lebensbedeutungen und Lebenssinn (LeBe) ein objektiv auswertbares Verfahren zur Erfassung von Lebensbedeutungen, Sinnerfüllung und Sinnkrise entwickelt.

 

Fußball als Religion

„Von den Medien bis hin zu den Kirchen, die über Mitgliederverluste klagen, orteten alle eine Sinnkrise“, erklärt Schnell den Ausgangspunkt ihrer Beschäftigung mit dem Thema Lebenssinn. „Im persönlichen Leben von Menschen konnte diese aber nicht manifest gemacht werden.“ Aus diesem Grund wollte die Wissenschaftlerin „ganz radikal empirisch“ danach fragen, woran Menschen glauben, wenn sie nicht mehr an Gott glauben. Das hat sie gemeinsam mit einem Projektteam an der Universität Trier in mehrstündigen Interviews mit Menschen aus den unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten getan. „Die Menschen füllten religiöse Strukturen mit einer unglaublichen Vielfalt an Inhalten.“ Zu diesen zählten beispielsweise Liebe, Familie, Arbeit, Liebe, soziales Engagement – oder auch Fußball.

Die Transkriptionen der Interviews bildeten die Grundlage des  LeBe-Fragebogens, der nicht nur an der Universität Innsbruck, sondern auch in den USA, Kanada, Australien und verschiedenen europäischen Ländern in wissenschaftlichen Untersuchungen und in der psychotherapeutischen Praxis eingesetzt wird. „Aktuell ist er zum Beispiel in Zusammenarbeit mit einer Onlineplattform zu Arbeitsvermittlung im Einsatz. Dabei geht es darum, zu schauen, welche Lebensbedeutungen bringen Arbeitssuchende mit und welche davon können sie im Beruf ausleben.“ Die Idee dahinter: Wenn Menschen das, was ihnen wichtig ist, in ihrem Beruf verwirklichen können, sind sie engagierter und zufriedener.

 

Irrtümer aufgedeckt

„Der LeBe liefert ein differenzierteres Bild als andere Verfahren und kommt deshalb zum Teil auch zu ganz anderen Ergebnissen“, hebt Schnell hervor. Zum Beispiel konnte sie belegen, dass Menschen, die psychisch labil oder krank sind, durchaus ein sinnerfülltes Leben haben können. Bisherige Untersuchungen gingen davon aus,

dass Sinnerfüllung prinzipiell mit Wohlbefinden und seelischer Gesundheit einhergehen müsse. Umgekehrt konnte Schnell aufzeigen, dass Menschen mit geringer Sinnerfüllung nicht zwingend ein Problem haben: „In einer repräsentativen Stichprobe in Deutschland haben wir herausgefunden, dass ein Drittel der Deutschen keine Sinnerfüllung erleben, darunter aber auch nicht leiden“, berichtet die Psychologin. Diese ‚existentiell Indifferenten‘ zeigen insgesamt wenig Leidenschaft und Engagement, ob für sich selbst oder für andere. Ihr Leben verbleibt mehr auf der Oberfläche; besonders unterdurchschnittlich ist bei ihnen ein Bedürfnis nach Selbsterkenntnis ausgeprägt.

 

Website für Sinnsuchende

„Das Thema ist in der Gesellschaft sehr aktuell, aber die meisten Menschen haben keinen Zugang zu Fach-Journalen“, so Schnell.  Aus diesem Grund hat sie die Homepage www.sinnforschung.org ins Leben gerufen, auf der Neuigkeiten aus der Sinnforschung allgemein verständlich dargestellt werden. „Wenn ich schon die Möglichkeit habe, auf diesem Gebiet zu arbeiten, dann habe ich auch die Verantwortung, meine Ergebnisse den Leuten zur Verfügung zu stellen, die wirklich Interesse daran haben“, erklärt Schnell ihre Intention.  „Natürlich möchten wir auch Menschen dazu anregen, den eigenen Lebenssinn zu erforschen.“

 

Zur Person

Dr. Tatjana Schnell ist seit 2005 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Psychologie und dort zuständig für das Fach Persönlichkeits- und Differenzielle Psychologie. Sie studierte Psychologie und Theologie in Göttingen, London, Heidelberg und Cambridge. An der Universität Trier war sie bis 2005 als Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Persönlichkeitspsychologie und Diagnostik tätig und erwarb ihr Doktorat in Psychologie.

 (ef)