Internationale Experten diskutierten zum Thema "Governance and Religion"

Für ein besseres Verständnis der Herausforderungen und Lösungsansätze für die Integration von Muslimen in Europa bedarf es einer vergleichenden Forschungsagenda. Dies war der Tenor einer Tagung über die Herausforderungen der Integration religiöser Minderheiten in europäischen Gesellschaften vom 20.-22.11. im Universitätszentrum Obergurgl.
Internationale Experten diskutierten zum Thema "Governance and Religion"
Internationale Experten diskutierten in Obergurgl zum Thema "Governance and Religion"

 Die Tagung "Governance and Religion", veranstaltet von der Forschungsplattform "Weltordnung – Religion – Gewalt", dem Forschungsschwerpunkt "European Governance" und dem Arbeitskreis für Wissenschaft und Verantwortlichkeit, widmete sich der Analyse eines Problemfeldes, das erst in den letzten zwei Jahrzehnten verstärkt ins Blickfeld der Politik- und Sozialwissenschaften gerückt ist: Der Wandel in der Politik weg von zentralen Machtinstitutionen hin zu einem Regieren auf mehreren – lokalen, regionalen, nationalen und internationalen – Ebenen ("governance") gepaart mit der Rückkehr von religiösen Themen und Forderungen in vielen säkularen europäischen Gesellschaften.

 

Diese "Rückkehr der Religion" wird oft mit der Präsenz muslimischer Immigrantinnen und Immigranten in Verbindung gebracht, und in der Tat kristallisieren sich Fragen von "Governance" und "Religion" im öffentlichen Bewusstsein und in den Medien um den Umgang mit dem Islam: Wie steht der liberale und säkulare Staat zum Tragen des Kopftuchs? Wie vermittelt er zwischen dem Recht auf freie Religionsausübung und, zum Beispiel, den Bedenken der einheimischen Bevölkerung gegen die Errichtung einer Moschee mit Minarett? Wie nimmt er seine Pflicht wahr, allen Bürgern individuelle Freiheiten zu garantieren ohne in die religiöse und kulturelle Selbstorganisation von bestimmten Gruppen in ungerechtfertiger Weise einzugreifen? Diese und andere Fragen standen im Mittelpunkt der Diskussion über "Governance, religion and integration".

 

Religiöse Identität und Kontroversen

Es äußerten sich dazu Integrationsforscher, Politik- und Sozialwissenschaftler aus Canada, England, Israel und Österreich, sowie politisch Involvierte und Betroffene. Alexander Osman, Vorsitzender der Muslimischen Jugend Österreichs diskutierte mit Philip Lewis, Sozialwissenschafter und Integrationsbeauftragter der anglikanischen Kirche in Bradford (Großbritannien) über die Frage, wie junge Muslime in einer Umwelt, die mit dem Islam wenig anfangen kann, ihre religiöse Identität behaupten können, ohne in Parallelgesellschaften gefangen zu bleiben. Reinhold Gärtner (Universität Innsbruck) und Johann Gstir (Integrationssprecher des Landes Tirol) informierten die internationalen Besucher über die Situation der Muslime in Tirol und insbesondere über die Lage in der Stadtgemeinde Telfs, in der die Errichtung einer Moschee mit Minarett Kontroversen ausgelöst hat. Valerie Amiraux (Universität Montreal) gab in ihrem Eröffnungsvortrag  einen Überblick über die Entwicklung und gegenwärtige Lage der Integrationsforschung in Hinblick auf Muslime in Europa. Ihr Fazit lautete, dass die Sozial- und Politikwissenschaften, unter dem Einfluss von Islamwissenschaften und Ethnologie, zu lange davon ausgegangen seien, bei der Integration von Muslimen in Europa handle es sich um einen 'Sonderfall'. Gerade so, stellte Amiraux fest, als hätte die Integration von Muslimen mit der Geschichte des Umgangs mit religiösen Minderheiten in Europa nichts zu tun. Doch gerade die Lehren aus dieser Geschichte böten angesichts der Rückschläge und dunklen Kapitel der Intoleranz gegenüber anderen Religionen auch die Gelegenheit zu einem neuen konstruktiven Umgang miteinander. Gefordert sei eine klare legale Perspektive auf die Rechte und Pflichten von religiösen Minderheiten. Der legale Kontext des Umgangs mit religiösen Minderheiten erschließe sich am besten aus vergleichenden Studien, die einerseits die verschiedenen Rechtssysteme Europas und der Europäischen Union, andererseits die verschiedenen Rechtsmitteln und -forderungen der religiösen Minderheiten in den Blick nehmen.

 
Politik und Integration

Erste Schritte in diese Richtung, nämlich hin zu einer vergleichenden Perspektive, machten die Beiträge von Kristina Stöckl (Universität Innsbruck), die über Muslime und Orthodoxe Christen in der österreichischen Integrationspolitik sprach, und von David Lehmann (Universität Cambridge) und Batia Siebzehner (Hebrew University Jerusalem), die über das Verhältnis von Staat und Religion anhand des Beispiels von ultra-orthodoxen jüdischen Gemeinden referierten.

 

Weitere Themenschwerpunkte der Tagung, die von Vizerektor Tilman Märk eröffnet wurde, waren die Frage nach den religiösen und moralischen Voraussetzungen moderner Politik, mit Beiträgen von Tine Stein (Universität Bremen und Hamburg) und Allan Janik (Universität Innsbruck); der Umgang mit Religion in China im Vortrag von Alan Hunter (Universität Coventry); die Untersuchung des Zusammenhangs von Politik, Religion und Gewalt in Hinblick auf Terrorismus im Vortrag von Harald Wydra (Universität Cambridge) sowie aus philosophischer und anthropologischer Perspektive in den Vorträgen von Arpad Szakolczai (Universität Cork) und Roberto Farneti (Universität Bozen); weiters die Rolle von religiösen Institutionen in der Beseitigung oder aber Festschreibung von Ungleichbehandlung und Ausbeutung mit Vorträgen von Jürgen Nautz (Universität Wien) und Emanuel Gutmann (Hebrew University Jerusalem). Karin Bischof und Karin Stögner (Institut für Konfliktforschung Wien) widmeten sich in ihrem Vortrag der Frage nach der Art und Weise der Auseinandersetzung mit dem EU-Beitritt der Türkei in den französischen und österreichischen Medien.

 

Die Tagung, die mit über vierzig internationalen Teilnehmerinnen und Teilnehmern als Erfolg zu werten ist, bot eine gelungene Mischung aus Theorie und Praxisbezug und aus lokaler Expertise und internationalem Reflexionsrahmen.  Die Organisatoren danken den Sponsoren, dem Vizerektorat für Forschung, der Forschungsplattform Alpiner Raum, dem Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung, der Österreichischen Forschungsgemeinschaft, dem Kanada-Zentrum, dem Italien-Zentrum sowie dem  Frankreich-Schwerpunkt.

(ip)