Ionische Flüssigkeiten: Chemie mit viel Potenzial

Ionische Flüssigkeiten gelten als einer der Hoffnungsträger der materialwissenschaftlichen Chemie. Die flüssigen Salze haben verblüffende Eigenschaften und kommen in immer mehr technischen Bereichen zum Einsatz. Eine interdisziplinäre Forschungsgruppe der Universität Innsbruck hat nun etwas Licht in die Frage gebracht, warum diese Substanzen nicht wie andere Salze kristallisieren.
Das Titelbild zur Innsbrucker Forschungsarbeit in der Fachzeitschrift CrystEngComm
Das Titelbild zur Innsbrucker Forschungsarbeit in der Fachzeitschrift CrystEngComm

„Früher hat es geheißen, wenn Salze bei Raumtemperatur nicht kristallisieren, dann ist bei der Synthese oder Reinigung etwas schief gelaufen“, erzählt Ao. Prof. Herwig Schottenberger vom Institut für Allgemeine, Anorganische und Theoretische Chemie. Inzwischen hat man das Potenzial flüssiger Salze allerdings erkannt. „In den vergangenen Jahren ist das Interesse von Forschung und Industrie an diesen Substanzen enorm angewachsen“, sagt Schottenberger, der gemeinsam mit seinem Kollegen Dr. Gerhard Laus die geheimnisvollen Stoffe seit Jahren erforscht. Zusammen mit Ao. Prof. Ulrich Griesser vom Institut für Pharmazie und Prof. Volker Kahlenberg vom Institut für Mineralogie und Petrographie haben sie drei neue Derivate verglichen, die trotz ihrer äußerst engen strukturellen Verwandtschaft ein völlig unterschiedliches Kristallisations- und Schmelzverhalten zeigen. Darüber berichtete vor kurzem die renommierte Fachzeitschrift CrystEngComm auf ihrer Titelseite. Die Kunst besteht darin, die Moleküle so zu designen, dass sie sich möglichst schlecht aneinander fügen. Das ist wie mit einem Stapel Holz; wenn die Holzscheite krumm und unförmig sind, lassen sie sich nur schlecht schlichten. Darum zerfallen diese Salze schon unter 100 Grad Celsius zu Flüssigkeiten. Um die Eigenschaften der Stoffe besser zu verstehen, mussten die Forscher die Flüssigkeiten durch geschicktes Abkühlen zum Kristallisieren bringen. „Wir wollten wissen, warum die Salze sich so hartnäckig weigern, Kristalle auszubilden“, erklären die Naturwissenschaftler. Mit Röntgenstrukturanalysen hat Volker Kahlenberg deren Kristallstruktur aufgeklärt, Ulrich Griesser untersuchte mittels mikroskopischer und thermoanalytischer Methoden das Phasen- und Umwandlungsverhalten der Salze. Ein und dieselbe Substanz kann sich nämlich in einem geordneten Verband ganz unterschiedlich formieren, was man wissenschaftlich als Polymorphie bezeichnet.

 

„Grüne“ Lösungsmittel
 

Mit Polymorphie und Fehlordnungen verbunden sind auch unterschiedliche physikalische Eigenschaften. Und eben diese besonderen Eigenschaften ionischer Flüssigkeiten sind von großer Bedeutung für die Anwendung. So kann man in diesen Substanzen sehr viele Stoffe auflösen, zum Beispiel auch Holz und Papier. Während die Zellstoffindustrie heute rund ein Drittel ihres Rohstoffes ins Abwasser leitet, lösen ionische Flüssigkeiten die Cellulose sehr viel effektiver und umweltschonender und erlauben sogar Fraktionierungen, also die Trennung in verschiedene Komponenten. Deshalb haben die Salze auch den Übernamen „grüne Lösungsmittel“ erhalten. Freilich sei das eine zweischneidige Sache, erklärt Schottenberger, denn der Herstellungsprozess von ionischen Flüssigkeiten sei chemisch zumeist aufwändig und teuer. Auch als Kühlmittel, als Schmierstoff, in der galvanischen Metallabscheidung und für die Absorption von Gasen eignen sich die Salze. Die aktuellen Untersuchungen der interdisziplinären Forschungsgruppe aus Chemie, Pharmazie und Mineralogie der Universität Innsbruck geben Hinweise, wie die Eigenschaften der einzelnen Substanzen noch weiter verbessert werden können.

 

Gemeinsam mit dem Pharmaunternehmen Sandoz hat die Gruppe um Herwig Schottenberger und Gerhard Laus übrigens unlängst ein neues Analyseverfahren entwickelt, mit dessen Hilfe Lösungsmittelreste in Medikamenten aufgespürt werden können. Die auf ionischen Flüssigkeiten basierende Methode erlaubt es ohne extraktive Probenvorbereitung ganze Tabletten mit allen Hilfsstoffen direkt aufzulösen, ist extrem genau und setzt bei der Begrenzung von Lösungsmittelspuren in Medikamenten auch für den Gesetzgeber neue Standards.

(cf)