Dr. Hobmayer vom Institut für Zoologie und Limnologie erforscht die Evolutionsgeschichte der Tiere

Bisher galt die Meinung unter Evolutionsbiologen, dass höher entwickelte Lebewesen auf genetischer Ebene deutlich komplexer sind, als einfach organisierte Lebewesen. Diese Theorie wird nun von Dr. Bert Hobmayer, vom Institut für Zoologie und Limnologie der Universität Innsbruck, und seinen KollegInnen mit neuesten Forschungsergebnissen, die die Titelgeschichte der Ausgabe von NATURE vom 13. Januar darstellen, in Frage gestellt.
Dr. Bert Hobmayer vom Institut für Zoologie und Limnologie
Dr. Bert Hobmayer vom Institut für Zoologie und Limnologie
Dr. Hobmayer und seine Dissertantin Mag. Martina Hrouda entdeckten in Zusammenarbeit mit deutschen und amerikanischen KollegInnen eine höchst erstaunliche Vielfalt von Wnt-Genen (spezielle Entwicklungs- und Signalgene) in der Seeanemone Nematostella vectensis. Die Ergebnisse weisen auf ein evolutives Paradoxon hin: genetische Vielfalt in einfach organisierten Tieren kann deutlich größer sein als in höher entwickelten Lebensformen.

Bisher dachten Biologen, dass höher entwickelte Organismen auch die größere Vielfalt an Wnt-Genen haben müssten. Diese Theorie basierte auf den bisherigen Erkenntnissen, dass Wirbeltiere zwölf Unterfamilien der Wnt-Gene besitzen, während niedere Tiere wie die Fruchtfliege und der Fadenwurm nur sechs bzw. fünf Unterfamilien aufweisen. Der Mensch verfügt über 19 derartige Gene. Bert Hobmayer jedoch suchte mit seinem Team noch weit tiefer in der ursprünglichen Seeanemone Nematostella vectensis nach Wnt-Genen und sie fanden mehr als ein Dutzend. Weitere Analysen zeigten, dass einige Wnt-Gene in von der Seeanemone abgeleiteten höheren tierischen Gruppen verschwanden.

Seeanemonen gelten aus Sicht der Evolutionsforschung als lebende Fossilien. Sie sind sehr einfach aufgebaut und haben sich seit der Entstehung der vielzelligen Tiere vor mehr als 600 Millionen Jahren kaum verändert. Umso erstaunlicher war es, dass die ForscherInnen fast alle Familien an Wnt-Genen, über die der Mensch verfügt, auch bei der Anemone gefunden haben. Der Mechanismus der Zellverständigung scheint deshalb ein sehr alter zu sein.

Wnt-Gene wurden ursprünglich als Tumorgene in Wirbeltieren entdeckt und werden mittlerweile in Familien und Unterfamilien kategorisiert. Sie erledigen wichtige Signalaufgaben im Organismus: „Wnt-Gene codieren für Signalmoleküle, die von einer Zelle ausgeschieden werden, um das Schicksal anderer Zellen zu beeinflussen“, erklärt Dr. Hobmayer. Dabei binden sich die Moleküle an benachbarte Zellen und lösen dort unterschiedliche Reaktionen aus. Wnt-Gene spielen bereits in der sehr frühen Entwicklung eines Organismus eine entscheidende Rolle. Sie sorgen beispielsweise dafür, dass die Körperachsen im Embryo gebildet werden. Außerdem sind Wnt-Gene auch an der Entwicklung nahezu aller Organe beteiligt. Ist im erwachsenen Organismus die Signalfunktion, die Wnt-Gene ausüben, gestört, so entsteht häufig Krebs. (mer)