Die Schirmherren des Waldes

In Österreich gibt es rund 5.000 höhere Pilzarten. Etwa fünf Prozent davon - 200 Sorten - sind essbar. Unter den restlichen 95 Prozent oder 4.800 Arten sind 20 für den Menschen sehr gefährlich. Zärtling, Samthäubchen, Ziegenlippe, Klumpfuss, Mistkahlkopf, Säufernase - Pilze haben häufig poetische Namen. Zum Schwammerlgulasch als „Gedicht“ eignen sich aber die wenigsten.
Pilze
Pilze
„Der Großteil dieser 20 Giftpilze ist tödlich giftig, wie etwa die Knollenblätterpilze, der Ziegelrote Risspilz, der Orangefuchsige Hautkopf oder der Gifthäubling“, so Dr. Ursula Peintner. Die Wissenschaftlerin vom Institut für Mikrobiologie der Universität Innsbruck ist eine international anerkannte Pilzexpertin. Sie hat unter anderem ein Standardwerk über Pilze in den Alpen publiziert. Derzeit erforscht sie verschiedene Pilzthemen, zum Beispiel die Rolle von Pilzen für die Schwermetallaufnahme von Bäumen oder die Funktion von Pilzen der alpinen Zone.

Sichere Schwammerljagd
„Beim Schwammerlsuchen kein Risiko eingehen und nur jene Speisepilze pflücken, die man kennt“ - dies ist nach Ansicht der Wissenschaftlerin eine einfache Grundregel, um tödliche Irrtümer zu vermeiden. „Wer sein Wissen erweitern und auch neue Schwammerl kennenlernen möchte, soll den ganzen Pilz mit der gesamten Stilbasis in einem eigenen Behälter mitnehmen und sich beraten lassen“, so Peintner. Folgende drei Tipps hat sie für die sichere Schwammerljagd parat: Feste Sammelbehälter – zum Beispiel Körbe - verwenden, in denen die weichen, meist zerbrechlichen Pilze nicht zerdrückt werden; Pilze vorsichtig mit der ganzen Stielbasis aus dem Untergrund herauslösen; verdächtige oder unbekannte Exemplare getrennt aufsammeln, und zur Pilzberatungsstelle bringen.

In der Bevölkerung sei leider immer noch eine ganze Reihe von Irrtümern rund um Speisepilze verbreitet. So gäbe es die Fehlmeinung, wonach Pilze, die sich beim Abschneiden blau verfärben, giftig seien. „Der Maronenröhrling oder der flockenstielige Hexenröhrling verfärben sich ebenso blau. Beide sind trotzdem sehr gute Speisepilze“, erklärt die Wissenschaftlerin. Dass von Rehen oder Schnecken angebissene Schwammerl genießbar sind, gehört ebenso ins Reich der Legenden. Zitat Peintner: „Schnecken und Rehe vertragen mehr als der Mensch. Es gibt zum Beispiel den Hirschtrüffel. Diesen Pilz fressen Hirsche sehr gerne. Für uns Menschen ist er unbekömmlich“. Eine weitere verbreitete Fehlmeinung ist, dass ein Speisepilz bei Berührung mit einem Giftpilz ebenso toxisch wird. Dies ist nach Angaben der Expertin nur bei jenen Giftpilzen der Fall, die eine hohe Menge an Kontaktgiften enthalten, zum Beispiel bei den Knollenblätterpilzen.

Faszinierendes Forschungsreich
Im Reich der Pilze gibt es für die Wissenschaft noch eine ganze Reihe von Rätseln zu lösen. Erster Grund dafür: Der eigentliche Pilz als Forschungsgegenstand wächst im Boden oder im Holz und ist damit schwer beobachtbar. Was Schwammerljäger pflücken und was in unseren Kochtöpfen landet, ist nur der Fruchtkörper. In ihm reifen die winzigen Sporen der Pilze heran. Sind sie reif, fallen sie aus den Lamellen oder Poren - je nachdem um welche Pilzart es sich handelt - und werden dann zum Beispiel vom Wind verfrachtet. Der eigentliche Organismus ist das Myzel. Dieses Geflecht aus feinen Pilzfäden verbreitet sich unter anderem im Boden über große Flächen. Ein Beispiel ist der Hallimasch. Das Myzel dieser Art verbreitet sich über ganze Wälder. In Oregon in den USA gibt es ein Exemplar, das sich über 890 Hektar erstreckt. Forstexperten bereitet dieser Pilz keine Freude. Der Hallimasch bildet dicke Stränge unter der Erde, „infiziert“ Bäume über die Wurzeln und verursacht Wurzel- und Kernfäule. Die Folge: Der Baum wird ausgehöhlt. „Hier sind besonders Monokulturen anfällig – Wälder, in denen nur eine bestimmte Baumart kultiviert wird“, betont Peintner. Hinzu komme, dass sich das Myzel bis zu tausenden von Jahren im Boden halten und immer wieder seine schädliche Wirkung auf die Bäume entfalten kann. Wie Myzelien wachsen, welche Enzyme sie ausscheiden und wie ihr Stoffwechsel genau funktioniert, dies sind Fragen, die die Wissenschaft intensiv erforscht. „Auch ist bisher über die Wechselwirkungen zwischen Pilzen, Bakterien, Tieren noch sehr wenig bekannt“, erklärt die Expertin.

Von der bisher geschätzten Artenzahl von weltweit 1,5 Millionen Pilzen dürften erst etwa fünf Prozent wissenschaftlich erfasst sein. „Auch in den Alpen werden immer wieder neue Pilzarten entdeckt“, so Peintner. Bei Pilzen in unseren Breiten gibt es eine ganze Palette an Besonderheiten. So wachsen spezielle Arten oberhalb der Waldgrenze dort, wo es Zwergweiden oder grüne Matten gibt. Sie haben dies mit bestimmten Arten in der Arktis gemeinsam. Eine ganze Reihe von Pilzarten ist mit alpinen Pflanzen vergesellschaftet. Fast alle Bäume benötigen Pilze zum Überleben. Die Forscher sprechen hier von der so genannten Mykorrhiza Lebensgemeinschaft. Das Myzel der Mykorrhiza Pilze hüllt die Wurzeln der Pflanzen ein. Einfach erklärt, transportiert das weit verzweigte und über weite Strecken reichende Pilzmyzel Mineralstoffe und Wasser zu den Wurzeln, wodurch die Bäume lebensnotwendige Stoffe erhalten, die ihnen sonst nicht zugänglich wären. Der Pilz wird dafür vom Baum mit Kohlenhydraten, also Nährstoffen, belohnt. Prominente Beispiele dieser Mykorrhiza sind Eierschwammerl oder Steinpilze. Eine europaweite Rarität gibt es im Tiroler Lechtal zu bestaunen – die Merbelen oder Wurzeltrüffel. Das Myzel hilft den dortigen Kiefern, die auf sehr sandigen Böden im einzigartigen Naturschutzgebiet Lechauen wachsen, beim Überleben. Der schmackhafte Fruchtkörper dieses in ganz Europa sonst sehr seltenen Pilzes landet um diese Jahreszeit bei den Lechtalern im Kochtopf.

Das Organismenreich der Pilze ist zwischen Tier und Pflanze angesiedelt. Allein durch diese Sonderrolle bergen Schwammerl eine Reihe von Mysterien. Einig sind sich die meisten Forscher bezüglich der Unterscheidung von Niederen Pilzen - etwa Schimmelpilzen - und Höheren Pilzen - darunter unsere Schwammerl. Weit verbreitet ist die so genannte saprophytische Lebensweise. Einfach erklärt bedeutet dies, dass diese Pilze von vermoderndem Material leben - sei es tierisch oder pflanzlich. Das Mycel spezialisierter Pilzarten – zum Beispiel von bestimmten Schlauchpilzen - kann sogar Knochen Geweihe, Hörner, oder Federkiele verdauen. Holz ist eine beliebte Lebensgrundlage von Pilzen, nicht zuletzt deshalb, weil sie als einzige Lebewesen in der Lage sind, dieses zu verdauen. Verrottendes Material - etwa Laub oder Altholz - wird verdaut, indem der Pilz Enzyme ausschüttet und anschließend die zerlegten, verwertbaren Moleküle aufnimmt.

Pilz und Mensch
Schwammerl und der Mensch sind seit dem Anbeginn der Kulturgeschichte miteinander verknüpft. Seit jeher nützt der Mensch die Schirmherren des Waldes: Als Nahrung, Gebrauchsgegenstand oder zu medizinischen bzw. spirituellen Zwecken. Prominentes Beispiel: Ötzi. Der Mann vom Hauslabjoch hatte vor über fünftausend Jahren sowohl einen prall gefüllten Lederbeutel mit bearbeiteten Zunderschwämmen zum Feuermachen als auch getrocknete Birkenpohrlinge, wahrscheinlich zu medizinischen Zwecken, dabei. Bearbeitete Pohrlinge als Zunderschwämme zum Feuermachen wurden auch bei Ausgrabungen von Pfahlbauten in unseren Breiten gefunden. Heute noch werden zum Beispiel in entlegenen Südtiroler Tälern Baumschwämme zum Transportieren von Feuer verwendet. (SciNews, Mag. Gabriele Rampl)