Lautloses Artensterben

Der Inn und seine Nebenflüsse sind in ökologisch bedenklichem Zustand: Die Hälfte der ursprünglichen Fischarten ist bereits ausgestorben, die restlichen 17 Arten oft bis auf Einzelexemplare dezimiert. Dies zeigte die Innstudie 2000, die von Mitarbeitern des Instituts für Zoologie und Limnologie in Zusammenarbeit mit dem technischen Büro Thomas Spindler in dreijähriger Arbeit erstellt wurde.
Lautloses Artensterben
Lautloses Artensterben
Die gesamte Innstrecke durch Tirol (200 km) und 116 Nebenflüsse wurden in der vom Fischereiverband initiierten Studie unter Leitung des technischen Büros Thomas Spindler und in Zusammenarbeit mit Wolfgang Mark auf ihre ökologische Funktionsfähigkeit untersucht. Die Ergebnisse sind niederschmetternd: 90% der naturnahen und für die Fische absolut überlebenswichtigen Strukturen wie Aufweitungen, Inseln oder Schotterbänke sind durch harte Verbauungsmaßnahmen verschwunden. Nur der Abschnitt zwischen Landeck und dem Rückgabekraftwerk Imst ist in einem ökologisch gutem Zustand. Der Verlust von naturnahen Strukturen führte unter anderem dazu, dass das ursprüngliche Artenspektrum von 30 Fischarten im Tiroler Bereich des Inns auf 17 Arten geschrumpft ist. Von diesen 17 noch vorhandenen Fischarten waren aber lediglich drei (Äsche, Bachforelle und Regenbogenforelle) an allen 34 Probestellen im Inn zu finden. Die meisten anderen Arten wie Koppen, Strömer oder Schmerlen kamen nur noch in geringen Mengen vor.

Ab Innsbruck bricht der Fischbestand zusammen

Während im Oberlauf die einheimischen Arten Bachforelle und Äsche noch relativ häufig vorkommen, bricht ab Innsbruck der Fischbestand im Inn beinahe zusammen: Einzig die eigentlich nicht heimische Regenbogenforelle, die von den Fischern wegen ihrer Schnellwüchsigkeit und ökologischen Unempfindlichkeit seit Jahrzehnten gerne eingesetzt wird, kommt im Unterlauf in größeren Mengen vor. In den letzten 10 Jahren ist der Fischbestand im Inn um mehr als 10% gesunken, und das trotz massiven Besatz mit Jungfischen durch die Fischer. Mit durchschnittlich 54 kg Biomasse pro ha ist auch die Fischdichte für einen Fluss dieser Größe sehr gering. Unterhalb Innsbruck sinkt die Biomasse abschnittsweise auf nur noch 10 kg pro ha! Ohne Besatz wäre die Fischdichte noch wesentlich geringer, denn auch die Reproduktionsraten der Fische ist nach Aussagen der Experten extrem niedrig.

Fehlende Reproduktion

Die fehlende Reproduktionsmöglichkeit hängt mit dem Schwallwasserbetrieb der Kraftwerke der TIWAG zusammen: Durch das Abarbeiten des Wassers in den Kraftwerken kommt es zu plötzlichen, starken Wasserstandsschwankungen (Schwall). Der empfindliche Fischlaich wird entweder weggeschwemmt oder fällt trocken. Weiters kommt es bei Stauraumspülungen zu einer starken Sedimentbelastung des Inns. Die Folge ist ein Verkleben des für den Laich und die Fischbrut überlebenswichtigen Lückenraumes in der Bachsohle (Kolmatierung). Aber auch der wegen der Geschiebesperren in den Nebenbächen fehlende Schotter trägt zu einer Verödung der Flusssohle bei.

Auch Nebenflüsse in schlechtem Zustand

Nur rund 5% der Nebengewässer sind noch in einem natürlichen bzw. naturnahen Zustand! Die Nebengewässer des Inns wie Gebirgsflüsse und Wiesenbäche könnten als "Kinderstube" des Inns eine wichtige Rolle spielen. Aber die 116 untersuchten Nebengewässer sind ebenfalls ökologisch in einem schlechten Zustand: Nur 5% sind als natürlich zu bewerten, über 51% sind in ihrer Gesamtheit verbaut und als naturfremd zu bezeichnen. 36% aller Mündungsbereiche sind für die Fische nicht passierbar und damit nicht als Laichgewässer zu nützen. Am häufigsten kommen in den Nebenflüssen Regenbogen- und Bachforelle vor, die Äschen machen nur mehr 3% der Gesamtbiomasse der Nebenflüsse aus. Und auch Elritzen, typische Fische kleiner Bäche und eigentlich Schwarmfische, gibt es oft nur mehr in Einzelexemplaren. Die Wiesenbäche besitzen rund die Hälfte der gesamten gefangenen Biomasse. Sie sind daher als Aufzuchtgewässer von großer Bedeutung.

Die Ursachen: Harte Verbauung und der Schwallwasserbetrieb der Kraftwerke

Die Hauptgründe für den Rückgang der Fischarten im Inn und seinen Nebengewässern sind die harten, kanalartigen Verbauungen, die Schwallwasserbeeinflussung, das fehlende Geschiebe und die Unterbrechung des Flusskontinuums durch Kraftwerke. Die Experten haben in der Studie auch einen umfassenden Maßnahmenkatalog ausgearbeitet, um den ökologischen Zustand der Gewässer wieder zu verbessern. Als wichtigste Maßnahmen gelten die Wiederherstellung naturnaher Strukturen durch Renaturierung der Gewässer und eine Reduktion der Schwallwasserbeeinflussung durch den Bau großer Ausgleichsbecken. Weiters wurde auch ein ökologisches Fischereimanagement vorgeschlagen. Die Fischer sollten im Besatz auf die Regenbogenforelle verzichten und wieder mehr einheimische Arten einsetzen. Ziel einer ökologischen Bewirtschaftung wäre es, den Inn und seine Nebengewässer soweit zu renaturieren, dass auch ursprünglich heimische Arten wie Nasen und Barben eine Lebensgrundlage vorfinden.