Überlebt durch Musik

Die Musik rettete Frauen im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau das Leben – nicht nur physisch, sondern auch psychisch. Milijana Pavlovicuntersucht das einzige KZ-Frauenorchester und die Bedeutung von Musik in Auschwitz.
Auschwitz_Pixabay
Alma Rosé verdanken mindestens 40 Frauen ihr Leben. Die Geigenvirtuosin leitete das KZ-Frauenorchester in Auschwitz.

Der Block 12 war für die Frauen der Kapelle reserviert, nur 150 Meter von der Gaskammer entfernt. Ihre Leitung übernahm im Jahr 1943 Alma Rosé, eine jener wenigen Frauen, die von den Nationalsozialisten respektiert und von allen „Frau Alma“ genannt wurde. Der Nichte von Gustav Mahler verdanken mindestens 40 Frauen ihr Leben. „Jeder Mensch, der etwas mit Musik zu tun hat, weiß, dass dadurch ein Ort geschaffen wird, in dem man sich vor den schrecklichen Dingen verstecken kann. So konnten die Frauen auch psychisch überleben“, erzählt die Musikwissenschaftlerin Milijana Pavlovic. Unter den tausenden Gefangenen im Holocaust befanden sich viele Musikerinnen und Musiker und dementsprechend groß war die Sammlung an unterschiedlichsten Instrumenten in den Lagern: „Wenn man sich auf eine Reise mit ungewissem Ausgang begibt, dann nimmt man alles mit, was einem wichtig ist – Musikerinnen und Musiker ihre Instrumente.“ Da so viele Menschen ein Instrument spielen konnten, wurde die Idee einer Lagerkapelle geboren. Erst als reine Männerkapelle im Stammlager gegründet, wollte auch Maria Mandl, Oberaufseherin des Frauenlagers, eine Kapelle für sich, die in der Früh und am Abend den Rhythmus für die zur Arbeit gehenden Gefangenen angeben sollte. „Im Dreck und in der Todesstimmung Märsche für die Gefangenen oder Beethoven und Schumann für die Offiziere zu spielen und so den sadistischen Befehlen zu gehorchen, war für alle grausam.“

Für uns und nicht für die

Alma Rosé, eine bekannte Geigenvirtuosin, wurde auf ihrer Flucht in Dijon verhaftet und nach Auschwitz deportiert. Als Tochter von Arnold Rosé, Konzertmeister der Wiener Philharmoniker und Justine Mahler, Schwester von Gustav Mahler, wurde Alma 1943 im Konzentrationslager mit der Häftlingsnummer 50381 dem Block 10, jenem grauenhaften Ort, an dem gynäkologische Experimente von Lagerarzt Carl Clauberg durchgeführt wurden, zugewiesen. „Durch Zufall wurde sie von einer Mitgefangenen aus Holland, einer Pianistin, die sie bei einem Konzert am Flügel begleitet hatte, erkannt. Da Alma Rosé auch in Wien, vor allem durch ihren Vater, bekannt war, sprach sich ihre Identität bis zu Maria Mandl herum, die sie dann als Dirigentin einsetzte“, so Pavlovic. Das Außergewöhnliche an dieser Frau war ihr Stolz und die Tatsache, dass sie zu jenen wenigen Jüdinnen gehörte, die von den Nationalsozialisten respektiert wurde. Dank ihres Auftretens und ihrer besonderen Stellung im Konzentrationslager konnte Alma Rosé einiges für ihre Frauen, unter dem Deckmantel des Schutzes der Instrumente, erreichen: Eine Mittagspause von einer Stunde, die Möglichkeit, bei Regen und Kälte in der Baracke zu bleiben und ein kleiner Elektroofen erleichterte den Musikerinnen das Leben im Lager. „Frau Alma nahm in ihrer Kapelle nicht nur Musikerinnen auf. Wohl wissend, dass die Mitglieder des Orchesters eine bessere Stellung hatten als die restlichen Gefangenen, integrierte Alma Rosé auch Frauen, die sie zum Kopieren der Noten oder für anfallende Arbeiten einteilte. Keine dieser Frauen wurde in die Gaskammer geschickt“, so Pavlovic. Die Musikerinnen wurden von den anderen Gefangenen gehasst: „Dabei hatten sie gleich wenig zum Essen und waren gleich krank wie alle anderen.“ Die Wissenschaftlerin erinnert sich an ein Gespräch mit Anita Lasker-Wallfisch, eine überlebende Cellistin der Kapelle: „Was hat man davon, wenn man in der Früh und am Abend Märsche für jene, die entweder zur Arbeit oder in die Gaskammer gehen, spielt, wenn es dreckig ist und regnet. Es stank vom Rauch und menschlichen Körpern, die verbrannt wurden – es gab kein Gras und keine Vögel, es war alles endlos traurig."

Spielen gegen den Rauch

„Wir spielen diese verdammten Stücke so gut wir können, während die Menschen in die Gaskammer gehen – aber wenn wir immer an den Rauch denken, werden wir das psychisch nicht überleben“, zitiert Pavlovic die Gedanken von Anita Lasker-Wallfisch, die in Gesprächen und in ihrem Buch „Ihr sollt die Wahrheit erben“ von ihren Eindrücken und Erlebnissen im KZ und mit Alma Rosé berichtet. „Wir haben Alma gehasst, denn sie zwang uns zu üben, zu üben und zu üben. Erst später verstanden wir, dass wir dadurch diese grausame Zeit auch mental überstehen konnten. Das war ihre Methode, unsere Aufmerksamkeit auf die Musik und weg vom Rauch zu lenken.“ Alma Rosé war es als Virtuosin gewohnt, immer Höchstleistungen zu erbringen – und das verlangte sie auch von ihren Musikerinnen. „Sie konnte und wollte einfach nicht schlecht spielen“, erinnert sich Pavlovic an Erzählungen von Lasker-Wallfisch, die berichtet, Alma wäre es egal gewesen, wie viel die Nazis von Musik verstanden. Für sie war es immer wichtig, ihr Bestes zu geben, denn sie fühlte sich nicht ihren Peinigern, sondern den Komponisten verpflichtet. „Man muss hier zwei Dinge unterscheiden. Alma Rosé und die Frauenkapelle spielten nicht für die Nazis – sie haben nur vor ihnen gespielt“, erklärt die Wissenschaftlerin nachdenklich. 

Durch das Cello überlebt

Nackt und ohne Haare kam Anita Lasker-Wallfisch, eine deutsche Jüdin aus Breslau, als junge Frau nach Auschwitz-Birkenau. Bei der Tätowierung wurde sie von der Zuständigen nach ihrem Beruf gefragt: „Ich spiele das Cello“, so soll Lasker-Wallfisch geantwortet haben und sie erinnert sich: „Ich weiß bis heute nicht, warum ich das angegeben habe.“ Die Aufseherin war begeistert und nahm sie beiseite: „Warte hier – du wirst gerettet.“ Da Alma Rosé die Bass-Instrumente in ihrem Orchester fehlten, war sie immer auf der Suche nach Musikerinnen dieser Register. Pavlovic erinnert sich an das Gespräch mit Lasker-Wallfisch: „Sie hat mir erzählt, dass bereits alle Frauen weg waren und sie nackt und allein zurückgeblieben ist. Sie dachte, das sei das Ende.“ Kurz darauf kam die Frau mit Alma Rosé zurück, die sie genau über ihre Ausbildung befragte. Schlussendlich wurde sie in das Orchester aufgenommen und überlebte. Durch das Cello überlebte Lasker-Wallfisch nicht nur das Konzentrationslager. In dieser grauenhaften Zeit wurde sie von einer Nummer, einem Niemand zu einer Cellistin und erhielt so ihre Identität zurück. Milijana Pavlovic erklärt ihre Arbeit: „Das ist eine schreckliche wissenschaftliche Reise, auf die ich mich da begebe. Ich bin davon überzeugt, dass die Geschichten erzählt werden müssen.“ Die Wissenschaftlerin interessiert sich besonders für die psychologischen Aspekte, wie Musik in solchen Extremsituationen wirken kann. Die gefangenen Frauen überlebten die Zeit im Konzentrationslager durch das Glück, Musikerinnen im Orchester der Lagerkapelle zu sein. „Die Musik rettete ihnen das Leben“, ist Pavlovic überzeugt. Alma Rosé starb 1944 im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau an den Folgen einer ungeklärten Erkrankung.

Zur Person

Milijana Pavlovic studierte an der Universität von Banja Luka Englische Sprache und Literatur, das sie 2004 beendete. Ihre Dissertation in Musikwissenschaft schrieb sie über Gustav Mahler an der Universität Ferrara und kam 2013 mit einem Lise-Meitner Stipendium an die Uni Innsbruck. Seitdem ist sie am Institut für Musikwissenschaft als Lehrbeauftragte tätig.

Dieser Artikel ist in der Oktober-Ausgabe des Magazins „wissenswert“ erschienen. Eine digitale Version ist hier zu finden (PDF).