Startschuss für eine neue Ära der Präzisionsastronomie

Am 6.10. fiel bei einer Konferenz in Wien der Startschuss zur Entwicklung der MICADO-Kamera: Als erste Kamera für das European Extremely Large Telescopewird MICADO beugungsbegrenzte Abbildungen bei Nah-Infrarot-Wellenlängen ermöglichen. In Kürze wird der Vertrag für ein zweites Instrument mit österreichischer Beteiligung unterzeichnet.
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Diese künstlerische Darstellung zeigt das European Extremely Large Telescope (E-ELT) in seiner Kuppel auf dem Cerro Armazones, einem 3060 Meter hohen Berg in der chilenischen Atacamawüste. (Nachweis:ESO/L. Calçada)

MICADO ist die Multi-AO Imaging Camera for Deep Observations und wurde konzipiert, um mit dem European Extremely Large Telescope (E-ELT), einem Teleskop der 40-Meter-Klasse, zu arbeiten. Gebaut werden soll das revolutionäre Teleskop von der Europäischen Südsternwarte (ESO) und die Kamera in Kooperation mit einem europäischen Konsortium mit Partnern in Deutschland, Frankreich, den Niederlanden, Italien und Österreich. Von österreichischer Seite beteiligen sich die Universität Wien, die Universität Innsbruck, die Universität Graz, die Universität Linz und das RICAM der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Linz an dem Projekt.

Projekt der Superlative

Das E-ELT wird das größte optische bzw. Nah-Infrarot-Teleskop der Welt sein und etwa 15 Mal mehr Licht sammeln als die bereits heute existierenden größten optischen Teleskope. Die Kamera MICADO wird beugungsbegrenzte Abbildungen bei Nah-Infrarot-Wellenlängen ermöglichen. Um die Verzerrungen durch die Atmosphäre der Erde zu korrigieren, wird MICADO Systeme der adaptiven Optik nutzen: einen einfachen AO-Modus (SCAO), um einzelne Zielobjekte korrigieren zu können und das leistungsfähige Instrument MAORY, um auch bei einem großen Sichtfeld scharfe Bilder machen zu können. „Das Leistungsvermögen von MICADO wird genau auf die einzigartigen Eigenschaften des neuen Teleskops abgestimmt, wodurch neue, unbekannte astrophysikalische Phänomene entdeckt werden könnten“, erklärt Norbert Przybilla, der Koordinator des Innsbrucker Beitrags am Institut für Astro- und Teilchenphysik. „Die hohe Empfindlichkeit wird es ermöglichen, sehr leuchtschwache Sterne und die am weitesten entfernten Galaxien nachzuweisen.“ Die beispiellose räumliche Auflösung wird Strukturen und Details in Nebeln und Galaxien aufzeigen, die weit über das hinausgehen, was derzeit möglich ist. So kann zum Beispiel durch die Auflösung der Sternpopulationen in entfernten Galaxien deren Sternentstehungsgeschichte und -entwicklung untersucht werden. „Ein weiterer Vorteil ist, dass dank der hervorragenden astrometrischen Präzision von MICADO viele astronomische Objekte nicht mehr stationär sein werden – sie werden dynamisch“, so Przybilla. Die Messungen der winzigen Bewegungen von Sternen werden verraten, wo sich sonst verborgene schwarze Löcher in Sternhaufen befinden: Verfolgt man die Bewegungen der Sternhaufen, so erhält man neue Erkenntnisse darüber, wie sich unsere Milchstraße gebildet hat. Darüber hinaus wird MICADO auch einen speziellen Modus enthalten, mit dem extrasolare Planeten direkt beobachtet und charakterisiert werden können, sowie einen weiteren Modus, um Spektren von kompakten Objekten aufzuzeichnen. „Diese Kamera und dieses Riesenteleskop werden Messungen möglich machen, von denen Generationen von Astronomen nur träumen konnten”, erklärt Norbert Przybilla. „Das Projekt baut auf innovativer Technologie, wir werden unsere Expertise in der Datenreduktion und Modellierung des Nachthimmels beitragen.”

METIS

Das zweite Instrument, der Mid-Infrared ELT Imager and Spectrograph METIS, wird das Zugpferd für den mittleren Infrarotbereich am European Extremely Large Telescope (E-ELT) werden. Es wird hochaufgelöste Bilder und Spektren bei längeren Wellenlängen als MICADO liefern; die beiden Instrumente werden sich dadurch ideal ergänzen. Kombiniert mit dem riesigen E-ELT wird METIS einzigartige Beobachtungen von kühlen Objekten im Universum liefern, so zum Beispiel Bilder von protoplanetaren Scheiben und den sich darin bildenden Planeten, Spektren von Exoplaneten, und völlig neue Informationen über die Sternentstehung in sehr jungen Galaxien. METIS wird offiziell am 14. Oktober in den Start geschickt. Ein drittes Instrument mit österreichischer Beteiligung, ein Multi-Objekt Spektrograph als Instrument der zweiten Generation, befindet sich in der Designphase.

Europäische Südsternwarte

ESO ist die führende internationale Organisation für astronomische Forschung und das wissenschaftlich produktivste Observatorium der Welt. Mitte des nächsten Jahrzehnts wird ESO das E-ELT in Betrieb nehmen, ein Großteleskop, das unsere Weltsicht in ähnlicher Weise revolutionieren könnte wie vor 400 Jahren das Fernrohr Galileo Galileis. Ein Team von Astrophysikern und Mathematikern an den Universitäten Graz (Koordinator: Dr. Thorsten Ratzka), Innsbruck (Koordinator: Univ.-Prof. Norbert Przybilla), Linz (Koordinator: Univ.-Prof. Ronny Ramlau) und Wien (nationales Projektmanagement: ao. Univ.-Prof. Werner Zeilinger) sowie dem Johann Radon Institute for Computational and Applied Mathematics der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (RICAM; Univ.-Prof. Ronny Ramlau) sind an der Entwicklung von Zusatzinstrumenten für das E-ELT beteiligt. Im Bereich der Astrophysik entwickelt der österreichische Team Komponenten für die Datenreduktionspipeline der Instrumente, Software zur Modellierung der Nachthimmels im infraroten Wellenlängenbereich sowie ein Programm zu Simulation astronomischer Beobachtungen mit dem E-ELT. Mathematiker der Universität Linz und RICAM entwickeln Algorithmen zur Simulation von Bildverzerrungen, die durch Luftturbulenzen in der Erdatmosphäre hervorgerufen werden und durch adaptive Spiegel korrigiert werden sollen. Die österreichischen Beiträge zum E-ELT werden gegenwärtig vom Österreichischen Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft (bmwfw) über ein Hochschulraumstrukturmittelprojekt sowie durch interne Mittel der beteiligten Hochschulen und Forschungsinstitute finanziell unterstützt.

 Die Instrumente werden von Konsortien aus europäischen Instituten in Zusammenarbeit mit der ESO entwickelt und gebaut. Alle Partner können auf eine lange Tradition zurückblicken, in der sie gemeinsam optische und Infrarot-Instrumentierung der Weltklasse entworfen und gebaut haben. Das Projekt wird voraussichtlich fast 10 Jahre dauern, vom Beginn der aktuellen Designphase bis zur endgültigen Inbetriebnahme; die erste Beobachtung (das „first light“) E-ELT und MICADO ist für 2024 geplant, für METIS kurz danach.

(SR/red)