Schulisches Lernen und Arbeitswelt verbinden

Wie berufliche Bildung organisiert ist, unterscheidet sich von Land zu Land. Ein zentraler Punkt ist dabei die Verbindung von Arbeits- und Schulwelt:Lernen im Betrieb und an berufsbildenden Schulen wird sehr unterschiedlich verbunden – in der fast nur im deutschsprachigen Raum vorzufindenden Lehrlingsausbildung, aber auch an beruflichen Vollzeitschulen.
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Wie jemand zum Beispiel Mechaniker wird, ist in der EU ganz unterschiedlich geregelt.

„Die Berufsausbildung ist ein wesentlicher Faktor für den Wohlstand und die Wirtschaftsleistung eines Landes“, sagt Prof. Annette Ostendorf. Sie ist Leiterin des Instituts für Organisation und Lernen der Universität Innsbruck, ihre Forschungsinteressen als Wirtschaftspädagogin richten sich auf Fragen der beruflichen Bildung. Sie hat mit einem kleinen Team aus Innsbruck unter anderem im EU-Projekt „ConVET“ mitgearbeitet; Ziel dieses Projekts war, verschiedene Ansätze der Berufsbildung in mehreren EU-Ländern zu vergleichen und kennenzulernen (siehe Box). Die Verbindung zwischen Arbeitswelt und Schulwelt ist Thema zahlreicher wissenschaftlicher Arbeiten und internationaler Vergleiche – so ist die duale Ausbildung von Lehrlingen etwa ein Phänomen, das genau auf dieser Verbindung aufbaut, aber außerhalb des deutschen Sprachraums kaum etabliert ist. „Das Schlagwort in diesem Zusammenhang lautet ‚Konnektivität’: Wie bringe ich praxisbezogenes und schulisches Lernen erfolgreich unter einen Hut? Hier gibt es europaweit ganz unterschiedliche Ansätze und Ideen“, erklärt die Wirtschaftspädagogin.

Konnektivität

Diese Zusammenarbeit zwischen „Schulwelt“ und „Arbeitswelt“ kann dabei auf ganz unterschiedlichen Ebenen organisiert sein: Zum einen im Unterricht bzw. in der Unterweisung direkt, aber auch in den Lehrplänen oder bezogen auf das Berufsbildungssystem. ConVET setzte dabei vorwiegend auf der Mesoebene der Curricula an. „Wir haben in einem Schritt in einer Dokumentenanalyse die Lehrpläne in den Partnerländern verglichen, gesucht haben wir dabei insbesondere nach Merkmalen und Strukturen, die Konnektivität fördern können. Die Systeme der beteiligten Länder weisen dabei erhebliche Unterschiede auf.“ Für Österreich wurden die Curricula für das Tourismuskolleg, die Handelsschule und die Lehrberufe in den Berufsfeldern Einzelhandel, Industrie und Gastronomie untersucht. „Österreich und Deutschland haben ähnliche Systeme, was die duale Ausbildung betrifft. Ein berufsbildendes Parallelsystem der BMHS existiert jedoch in Deutschland nicht. Auch die Lehrpläne unterscheiden sich fundamental, sogar bezogen auf die doch sehr ähnlich organisierte Lehrlingsausbildung“, sagt Annette Ostendorf. Österreichische Rahmenlehrpläne sind anders aufgebaut als etwa die deutschen lernfeldstrukturierten Curricula der dualen Ausbildung. „Diese Lehrpläne leiten von Handlungsfeldern der Berufspraxis Lernfelder ab, die wiederum im Unterricht in Lernsituationen konkretisiert werden. Ein Mitdenken der Konnektivität ist somit auch auf curricularer Ebene angelegt. In Österreich sind entsprechende Rahmenlehrpläne eher im Hinblick auf fachtheoretische Inhalte gestaltet.“

Auch auf der Ebene des Bildungssystems können bestimmte Elemente der Konnektivität angelegt sein – in Österreich, Deutschland und der Schweiz etwa durch die Festschreibung des dualen Systems in der Lehrlingsausbildung mit Berufsschulen und einer Ausbildung direkt am Arbeitsplatz. „Die Schweiz fügt bei der Lehrlingsausbildung noch einen weiteren Schritt dazu, dort ist explizit noch ein dritter Lernort neben der Berufsschule und dem Arbeitsplatz festgeschrieben. Diese überbetrieblichen Ausbildungsstätten ergänzen die Praxisausbildung, die am Arbeitsplatz passiert und fördern den Lerntransfer zwischen Berufsschule und Betrieb“, schildert Annette Ostendorf. Der Unterschied zu Österreich und Deutschland ist, dass diese überbetrieblichen Unterweisungsstätten in der Schweiz Teil des Systems sind, also auch der Erfüllung des Lehrplans zu dienen haben. In den anderen beiden Ländern gibt es zwar Angebote bei den Kammern, die sind aber nicht systematisch in den Bildungsauftrag eingebunden.

Berufsbildende Schulen

Neben der dualen Ausbildung kennt Österreich noch ein zweites Modell der Berufsbildung: Jenes der Berufsbildenden Mittleren und Höheren Schulen (BMHS). „Auch in diesen Schulen gibt es unterschiedliche Grade der Verzahnung, oft werden Praxissituationen simuliert: An Handelsschulen zum Beispiel in Übungsfirmen, an der HTL in Werkstätten – es gibt aber auch verpflichtende Betriebspraktika.“ Die BHS bieten allerdings einen weiteren Vorteil: Neben einer qualifizierten Berufsausbildung bieten sie bei Abschluss auch die volle Studienberechtigung. In ConVET zeigte sich auch, dass im Hinblick auf die Förderung der Konnektivität die Art der Ausbildung der beruflichen Lehrkräfte ein kritischer Erfolgsfaktor ist. „Wirtschaftspädagoginnen und -pädagogen in Österreich müssen nach dem Studium zum Beispiel zwei Jahre in einem Betrieb arbeiten, bevor sie an den BMHS unterrichten dürfen – das wäre ein Beispiel für schon im Lehrerbildungssystem angelegte Konnektivität. Dass das ein Vorteil ist, zeigen auch empirische Forschungsbefunde für Österreich.“

Immer wieder wird eine Übertragung des dualen Systems auf Länder diskutiert, die es derzeit nicht kennen – allerdings sei das wesentlich schwieriger umzusetzen, als es im ersten Moment klingt: „Die Lehrlingsausbildung ist im deutschen Sprachraum schon seit dem Mittelalter ähnlich gestaltet, in ihrer Tradition weniger gebrochen und entsprechend im öffentlichen und betrieblichen Bewusstsein noch immer stark verankert – diese Selbstverständlichkeit gibt es zum Beispiel in vielen südeuropäischen Ländern nicht. Zum anderen besteht die Wirtschaft in Österreich, Deutschland und der Schweiz aus vielen Klein- und Mittelbetrieben, die zugleich das Rückgrat der Lehrlingsausbildung bilden. Die Übertragung von Systemelementen der Berufsbildung ist aufgrund der tiefen kulturellen und ökonomischen Verankerung ein sehr komplexes Problem und wird oft unterschätzt“, sagt Annette Ostendorf.

ConVET

Das Projekt ConVET („Connectivity in Vocational Education and Training“, 2012–2014) hatte die Untersuchung der Verbindung von berufstheoretischen und berufspraktischen Anteilen beruflicher Bildungsgänge in mehreren EU-Ländern im Fokus. Die Frage nach der Herstellung von Konnektivität zwischen Arbeitswelt und Schulwelt ist eine Kernfrage beruflicher Bildung und wird in den europäischen Berufsbildungssystemen sehr unterschiedlich beantwortet. In den Partnerländern Österreich, Deutschland, Schweiz, Finnland und Italien existieren sowohl auf der Mesoebene des Bildungssystems (Organisationsstrukturen, Curricula etc.) als auch auf der Mikroebene der beruflichen Bildung (Unterricht und Unterweisung) und auch auf der Makroebene (des Berufsbildungssystems) interessante Ansätze der Verbindung von Theorie und Praxis, die in diesem Projekt im Detail analysiert und diskutiert wurden. ConVET bot dabei die Möglichkeit, über Austausch voneinander zu lernen und die berufspädagogische Theorieentwicklung voranzutreiben. Die Leitung des Projektes lag in den Händen des Eidgenössischen Hochschulinstitut für Berufsbildung in Lugano, CH. Beteiligt waren daneben vier Universitäten, eine Schule und Kammern bzw. Verbände. Das Projekt wurde im Rahmen des Leonardo-Partnership-Programms der EU gefördert, den österreichischen Teil übernahmen dabei Innsbrucker Wirtschaftspädagoginnen und -pädagogen um Prof. Annette Ostendorf.

Dieser Artikel ist in der April-Ausgabe des Magazins „wissenswert“ erschienen. Eine digitale Version ist hier zu finden (PDF).