Mehr als nur eine Kachel

Ein Kachelofen hat nicht nur die Funktion, zu wärmen, sondern bietet den Expertinnen und Experten Einblicke in Politik, soziale Strukturen und Bautechnikenfrüherer Zeiten. Analyse und Erhaltung historischer Öfen stehen im Fokus eines fachkundigen Teams aus Wissenschaft, Handwerk und Museum.
Historische Öfen
Sogenannter Reiterofen aus dem 18. Jh. mit der Darstellung der Türkenbelagerung, ausgestellt im Volkskunstmuseum in Innsbruck. (Bild: Tiroler Volkskunstmuseum)

Harald Stadler, Professor am Institut für Archäologien, Erich Moser, Landesinnungsmeister der Hafner sowie Karl Berger, Leiter des Tiroler Volkskunstmuseums, bilden die zentrale Arbeitsgemeinschaft zur Erforschung, zum Erhalt und zur Bewahrung historischer Kachelöfen. Alle drei Interessensgruppen verbindet die Liebe zum Detail dieser Öfen und der Wunsch, herauszufinden, was die Kacheln erzählen. „Kachelöfen sind schon sehr lange ein zentraler Platz im Haushalt von Menschen. Je nach Region, Zeit und sozialem Status variieren die Formen, Kacheln und Ausführungen der Öfen. Bisher ist ein Vorkommen von Kachelöfen in Tirol bis ins 13. Jahrhundert gesichert, jedoch stellen wir gerade fest, dass Kachelöfen bis heute nicht an Bedeutung verloren haben. Im Gegenteil, sie erfahren gerade wieder eine Boom-Phase“, erzählt Karl Berger, der des weiteren die Wichtigkeit der emotionalen Elemente, wie die besondere Wärme und Gemütlichkeit von Kachelöfen, betont. „Die Kachel kann viel mehr sein als nur ein Objekt“, so Harald Stadler, der mit seinem Fachgebiet der Archäologien einen besonderen Blick auf historische Zusammenhänge wirft. Im Tiroler Volkskunstmuseum sind in unterschiedlichen original nachgebauten Stuben verschiedene Öfen aufgebaut. „Wir versuchen in den Ausstellungen auch Geschichten zu vermitteln. Der Kachelofen hat maßgeblich die Wohnkultur verändert. So war die Stube beispielsweise ein Raum mit unglaublichem Luxus. Die Küche war verraucht und im Winter kalt, während die Stube warm und rauchfrei war. Auch war der Ofen der Ort, an dem sich die Familie versammelt hat und die familiäre Hierarchie sichtbar wird. Wer am Ofen sitzen darf und wer weiter weg Platz nehmen muss, ist genau geregelt“, erklärt Berger.

Versteckte Botschaft

Der Ofen hat nicht nur die Funktion, Wärme zu spenden, sondern diente insbesondere auch dazu, Inhalte zu vermitteln und mit Form und Stil gesellschaftliche Stellungen zu betonen. Erich Moser und Harald Stadler, die bereits unzählige Öfen analysiert haben, erklären Details am Ofen, der in der bürgerlichen Trentiner Stube im Volkskunstmuseum ausgestellt ist: „Am Ofen spielen auch politische Elemente eine bedeutende Rolle. Hier ist beispielsweise die Türkenbelagerung dargestellt und man sieht die kämpfenden Reiterfiguren, die den Verlauf des Krieges darstellen. Man erkennt ganz unten die gefesselten Osmanen, in der Mitte Szenen des Kampfes und oben die Sieger. Die vertikale Hierarchie wird hier deutlich sichtbar.“ Die Darstellung dieser speziellen Szenerie lässt sich häufig in Südtirol finden und die Kachelöfen dieser Art werden als Reiteröfen bezeichnet. Die Experten sind sich einig, dass man aus der Formen- und Bildsprache von Kachelöfen die Sozialstrukturen erkennen kann. „Genau das macht den Kachelofen als Denkmal besonders interessant“, so Berger. Auf Kachelöfen lassen sich aber nicht nur politische oder heroische Anschauungen finden. Auch religiöse Inhalte wurden mit Kacheln transportiert, sei es, um die eigene Überzeugung zu unterstreichen, oder ein Zeichen dagegen zu setzen. Eine besondere Ofenkachel, die mehr ist und vermittelt als nur die Hülle eines wärmespendenden Ofens, ist die sogenannte Luther-Kachel. Harald Stadler veranschaulicht: „Diese bestimmte Kachel wird man in einem katholischen Haushalt kaum finden, denn mit ihr wird das Gedankengut der Reformation transportiert.“ Als keramische Kachel und Bildträger zugleich vermittelt diese Kachel auf einen Blick Motive und Symbole aus der Luther-Zeit. Die Experten sind sich einig, dass diese Kachel aus den Bergbaugebieten unter dem Einfluss des süddeutschen Raumes nach Tirol gekommen ist und sich so das Lutherische Gedankengut in der Kachelsprache etabliert hat. „Diese lassen sich vor allem im Raum Schwaz, Kufstein und Brixlegg finden. Vielleicht wurden diese Kacheln auch als Protest angebracht. Wir wissen noch nicht, ob die Leute so selbstbewusst sein konnten, die Luther-Kachel auf der Stirnseite anzubringen, oder ob sie auf der Hafnerseite, der Rückseite des Kachelofens zu finden war“, präzisiert Stadler. Der Leiter des Volkskunstmuseums betont, dass diese Botschaften auch für den Bestand des Museums essenziell sind: „Früher hat sich das Museum darauf konzentriert, die Oberflächen zu analysieren. Heute beginnen wir uns aber auch mehr mit den technischen Details, wie die Entwicklung des Zuges, und den Materialoberflächen zu beschäftigen. Im Museum finden wir Beispiele aus jeder Epoche aus den letzten 500 Jahren, mit denen wir neue Funde vergleichen können.“ 

Keiner gleicht dem andern

Unterschiedliche Bauarten, andere Materialoberflächen, Stile und Öfen aus verschiedenen Regionen und Werkstätten – so divers sind die Kacheln, die sich in den Stuben verbergen. Regionale Unterschiede sehen die Experten auch innerhalb von Tirol: „Im Tiroler Oberland sind vor allem die bäuerlichen, einfachen Öfen, mit einer Ofenbank und dem typischen Aufsatz zum Trocknen von Kleidung vorherrschend, während sich im Tiroler Unterland gehäuft bürgerliche, großzügigere Öfen finden lassen. Hier ist der Ofen nicht mehr nur Wärmequelle, sondern auch das Zentrum eines repräsentativen Raums. Häufig findet sich im Tiroler Unterland auch das Jagdmotiv auf den Öfen.“ Doch nicht nur das oberflächlich Sichtbare ist für die Experten interessant. Bestimmte Hafnerfamilien und deren Können sowie Werkstätten beeinflussten die Entwicklung der Kachelöfen. Die drei Experten erinnern sich an den neuesten Fund, der sie besonders fasziniert hat: „Das Besondere an diesem Ofen ist, dass er eigentlich nichts Besonderes ist.“ Kaiser Maximilian III. ließ sich eine Einsiedelei im Kapuzinerkloster in Innsbruck, die sogenannte Eremitage, erbauen. „Er war kein armer Knabe, aber er hat sehr zurückgezogen als religiöser Mensch gelebt. In der Eremitage haben wir einen Ofen gefunden, der in seiner Formensprache ganz einfach, schlicht und fast bäuerlich gehalten ist“, so Moser. Gebaut wurde dieser Ofen von einer der bekanntesten Hafnerfamilien dieser Zeit. Hans Gantner war Hofhafner und über die Grenzen Tirols bekannt. Die Öfen der Familie Gantner wurden in Padua, Mailand, Prag und am Hof der Habsburger als Attraktion gehandelt und sind auch heute noch in der Kunstkammer im Kunsthistorischen Museum in Wien mit den repräsentativsten Keramiken des 17. Jahrhunderts vertreten. „Der Ofen in der Eremitage ist deswegen ein Juwel, weil genau diese handwerkliche Fähigkeit von Hans Gantner, aufgrund des Wunsches des Auftragsgebers, dort nicht zum Tragen gekommen ist. Eine räumliche und architektonische Bescheidenheit zu zeigen – in diesem Moment liegt die Größe und Faszination dieses Ofens. Es ist nicht der spektakulärste handwerkliche Ofen, den wir kennen, sondern der innerlich schönste“, schwärmt Erich Moser. Das Zusammenspiel von Wissenschaft, Handwerk und dem Tiroler Volkskunstmuseum ist für die Analyse der Öfen besonders wertvoll.

Restaurierung historischer Öfen

Öfen sind mehr als nur eine Wärmequelle und deswegen auch besonders schützenswert. Die Erhaltung der historischen Bausubstanz und die Pflege der materiellen Werte ist das Ziel des Universitätskurses „Restaurierung historischer Öfen“, der am Institut für Archäologien angeboten wird. Der Kurs richtet sich an Meister der Berufsgruppe der Hafner, Platten- und Fliesenleger und Keramiker sowie an Studierende und Absolventinnen und Absolventen der Fächer Archäologien, Kunstgeschichte und Europäische Ethnologie. Die Aus- und Weiterbildung in einem Universitätskurs ist in dieser Weise einzigartig in Österreich und bietet besonders durch die Vernetzung mit unterschiedlichen Fachdisziplinen der Universität Innsbruck, dem Bundesdenkmalamt und der Landesinnung der Hafner, Platten- und Fliesenleger und Keramiker für Tirol einen besonders nachhaltigen Aspekt. Gleichzeitig wird durch die teilnehmenden Institutionen ein hoher Ausbildungsstandard geboten, der auch internationalen Ansprüchen entspricht.

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