Seekriege führten zu Know-how-Transfer

Im deutschsprachigen Raum sind die Englisch-Niederländischen Seekriege des 17. Jahrhunderts wenig beachtet. Der Innsbrucker Historiker Robert Rebitschbeschreibt nun erstmals umfassend deren Verlauf und historische Bedeutung. Es waren im Wesentlichen Wirtschaftskriege, in denen auch erste Weichen für den Aufstieg Englands zum Empire gestellt wurden.
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wikipedia / Ad van der Zee

Kriege haben meist auch ökonomische Ursachen, für die ersten beiden Englisch-Niederländischen Seekriege von 1652 bis 1654 und 1665 bis 1667 trifft dies aber besonders zu. Im englischen Sprachraum werden sie deshalb auch „trade wars“ genannt. Diese Handelskriege waren vom Kampf zweier Wirtschaftsmächte geprägt, die nach dem Niedergang Spaniens und Portugals um die Vormachtstellung im Welthandel kämpften. Die Niederlande waren hier im Vorteil, weil ihr Handelssystem auf überaus innovativen Strukturen beruhte. „Die Niederländer hatten die besten Schiffe, moderne Hafenanlagen, ausgeklügelte Handelssysteme, die Amsterdamer Wechselbank, die dem Handel Kapital zur Verfügung stellte und eine Börse, an der ein reger Informationsaustausch stattfand. Auch waren die niederländischen Handelskompanien bereits als Aktiengesellschaften organisiert“, erzählt Priv.-Doz. Dr. Robert Rebitsch vom Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie. Die Niederländer nutzen Wind und Torf sehr effizient zur Energiegewinnung, und sie hatten ein sehr fortschrittliches Versicherungssystem. „Die Vereinigten Niederlande waren damals die innovativste Kraft in Europa“, fasst Rebitsch zusammen.

Kampf um den Welthandel

Nach dem Bürgerkrieg im eigenen Land wollte England den Niederländern ihre Vormachtstellung streitig machen. Erstaunlicherweise kämpfte dabei eine protestantische Republik gegen eine andere protestantische Republik. „Es war kein ideologischer oder konfessioneller Konflikt, sondern ein Kampf um wirtschaftliche Macht, und zu allererst um die Vormachtstellung auf hoher See“, erklärt Robert Rebitsch. Denn beide Nationen betrieben weltweiten Handel von Europa über die Westküste Afrikas und Indien bis zu den Gewürzinseln Südostasiens und in die Karibik. „Insofern war es fast eine globale Auseinandersetzung“, sagt der Historiker, „wenn sich auch die Kampfhandlungen vor allem auf den Ärmelkanal konzentrierten.“ Hier trafen große Flotten von bis zu 100 Schiffen aufeinander und führten verlustreiche Seeschlachten. Dabei entwickelten sich auch erste Ansätze für eine moderne Kriegsführung. Die Schiffe stürzten sich nicht einfach ins Schlachtgetümmel, sie versuchten vielmehr in einer Linie zu segeln und so dem Gegner mit konzentrierter Kraft entgegenzufahren.

Kaum direkte Konsequenzen

Der zweite Seekrieg wurde von einer Handelskompanie ausgelöst, die großes Interesse am westafrikanischen Sklavenhandel hatte und die niederländische Konkurrenz ausschalten wollte. Pikanterweise waren große Teile der englischen Staatselite an dieser Gesellschaft finanziell beteiligt. So wurde 1665 ein erneuter Krieg vom Zaun gebrochen. Der dritte Seekrieg von 1672 bis 1674 war im Wesentlichen ein Machtspiel zweier Könige, nämlich Ludwig XIV. und Karl II., die die „Krämerrepublik“ Niederlande loswerden wollten. Die Friedensschlüsse nach den kriegerischen Auseinandersetzungen beließen im Wesentlichen alles beim Alten, mit einer Ausnahme: Im zweiten Seekrieg eroberten die Engländer das niederländische Nieuw Amsterdam an der nordamerikanischen Ostküste, das in der Folge den Namen New York erhielt.

Innovationszentrum Niederlande

„Die Seekriege haben England noch nicht zum Empire aufsteigen lassen“, resümiert Historiker Rebitsch. „Aber das Land hat in dieser Zeit viel von den Niederländern gelernt, sie haben deren Regierungstechniken übernommen und ihre Wirtschafts- und Steuerpolitik kopiert.“ Seine Fortsetzung fand dieser Know-how-Transfer nach der Glorreichen Revolution 1688/89. Damals bestieg der niederländische Statthalter Wilhelm III. von Oranien den englischen Thron, und mit ihm kamen viele niederländische Experten über den Ärmelkanal. „Diese Entwicklungen haben wesentlich dazu beigetragen, dass England und später Großbritannien zu einer Weltmacht aufsteigen konnten, die im 19. Jahrhundert ein Viertel des Erdballs beherrschte“, sagt Robert Rebitsch. „Die Rolle, die die Niederlande als bedeutendes Innovationszentrum dabei gespielt haben, wird in der Geschichtsschreibung noch viel zu wenig gewürdigt.“ Sein eigenes Interesse an den Seekriegen entsprang übrigens früheren Arbeiten zu Ruprecht von der Pfalz, einer schillernden Figur jener Zeit, die als Lord High Admiral die englische Flotte anführte. Seine Monografie zu den Englisch-Niederländischen Seekriegen ist vor kurzem erschienen.