Arbeit in der digitalen Welt

Digitale Hilfsmittel prägen immer stärker unsere Arbeit, Grenzen zum Privatleben verschwimmen zugleich immer öfter. Mit den Auswirkungen beschäftigt sich Ulrich Remuswissenschaftlich. Er untersucht, wie neue Unternehmenssoftware in Firmen erfolgreich eingeführt werden kann und welche Auswirkungen die Digitalisierung auf die Arbeitswelt hat.
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Ulrich Remus forscht unter anderem zu den Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeitswelt.

Ständige Erreichbarkeit, größere Flexibilität, verschwimmende Grenzen zwischen Beruf und Privatleben: Die Informationstechnologie prägt auch zunehmend unser Arbeitsleben. Damit und mit dem Einsatz von IT-Systemen und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft allgemein beschäftigt sich Prof. Ulrich Remus vom Institut für Wirtschaftsinformatik, Produktionswirtschaft und Logistik. „Ich habe direkt nach dem Studium drei Jahre in der Unternehmensberatung gearbeitet, da ging es auch um die Koordination von IT-Projekten und die Effizienzsteigerung durch den Einsatz von IT. Dieser Bereich interessiert mich nach wie vor“, sagt er. In vielen Unternehmen kommen sogenannte ERP-Systeme („Enterprise Resource Planning“) zum Einsatz: Software-Pakete, die von der Buchhaltung über Lager- und Personalmanagement bis hin zur Zusammenarbeit einzelner Arbeitsgruppen im Betrieb Softwarelösungen für praktisch alle Bereiche eines Unternehmens bieten können. „Was unsere Untersuchungen gezeigt haben: Wenn ein ERP-System neu eingeführt wird und viele bisher nicht oder nur in Teilen digital durchgeführte Prozesse plötzlich digitalisiert werden, ist die Unternehmenskultur für den Erfolg dieser Umstellung mitentscheidend“, erklärt Ulrich Remus. „Und zwar anders, als man zunächst vermuten würde: Nicht das System wird der Firmenkultur angepasst, sondern die Firmenkultur ändert sich mit Einführung eines ERP-Systems, weil diese Systeme Arbeitsprozesse neu strukturieren. Durch die Digitalisierung werden außerdem viele Prozesse transparenter, weil mehr Personen nachvollziehen können, was andere machen. Allein diese Transparenz ändert die Arbeitsprozesse und das Klima im Unternehmen.“

Grade der Vernetzung

In einem aktuellen Forschungsprojekt untersucht Ulrich Remus mit seinem Team die Auswirkungen einer ständigen Erreichbarkeit auf die Arbeits- und Privatwelt. „Inzwischen sind Handys und Smartphones so selbstverständlich geworden, dass viele ohne ihr Smartphone etwas vermissen. Viele Menschen brauchen dieses Gefühl des Verbunden-Seins“, erklärt der Wirtschaftsinformatiker. Insgesamt machen die Forscher dabei drei Verbindungs-Typen fest: Einmal jene Menschen, die ständig erreichbar sind, teilweise unter Informationsüberlastung, zu häufigen Kontakten und Unterbrechungen leiden, also „hyper-connected“ sind; jene, die das nicht sind, aber auch bewusst nicht wollen und oft nicht einmal ein Handy besitzen („hypo-connected“); und letztlich eine Gruppe, die zwischen diesen beiden Polen je nach Situation wechseln und mit beidem gut umgehen kann. Welcher Gruppe man zugehört, hat auch Auswirkungen darauf, mit welchen Personen die Zusammenarbeit klappt: „Gerade bei digitaler Kommunikation werden Erwartungen informell immer neu verhandelt – wie schnell bekommen Sie Antwort auf die Mail eines Kollegen? Wann können Sie anrufen? Diese Dinge sind gerade in Teams sehr wichtig.“ Menschen aus der „Hyper-connected“-Gruppe sind zum Beispiel selbst dauernd erreichbar und erwarten das auch von ihren Teampartnern – wird eine E-Mail erst nach ein paar Tagen beantwortet, sorgt das für Irritationen. „Wir haben auch festgestellt, dass sich Menschen ungern zwangsverbinden lassen – Zusammenarbeit mit Menschen, die andere Connectivity-Präferenzen haben, funktioniert nicht sonderlich gut und sorgt letztlich auch für Einbußen in der Produktivität eines Teams“, erläutert Ulrich Remus. Bei seinen Untersuchungen macht er außerdem einen weiteren Typ aus, der eine Mischung aus „hyper-connected“ und dem Zwischentyp darstellt: „Es gibt auch Menschen, die zwar dauernd online und erreichbar sind, aber gelernt haben, Input zu ordnen. Diese Menschen wollen dauernd erreichbar sein und bekommen auch alle Infos zu jeder Zeit, ignorieren aber Anrufe und E-Mails zum Beispiel am Wochenende gezielt, obwohl sie sie grundsätzlich wahrnehmen.“

Junge Entwicklung

Auswirkungen der Digitalisierung, vor allem durch Smartphones, auf das Verhältnis zwischen Beruf und Privatleben kann erst seit wenigen Jahren umfassend untersucht werden – insbesondere deshalb, weil gerade Smartphones erst seit knapp fünf Jahren weit genug verbreitet sind. „Im Umgang mit Smartphones im Berufsleben entwickeln sich erst langsam Regeln und Normen, da ist Vieles noch relativ neu“, sagt Ulrich Remus. „In Unternehmen lässt sich ein grobes Muster beobachten: Zunächst überwiegen die positiven Effekte aufgrund der größeren Mobilität, Flexibilität und der besseren Erreichbarkeit. Die damit verbundene intensivere Nutzung verstärkt aber auch die Erwartungen an die Kommunikationspartner in Richtung einer ständigen Erreichbarkeit. Allmählich werden Anforderungen, dauernd ansprechbar zu sein, verbindliche Regeln und die daraus resultierenden Verhaltensmuster werden internalisiert. Letztlich wird die ständige Nutzung sogar schön geredet:‚Ich bin so ein Typ Mensch, der immer erreichbar sein muss, das ist einfach so.’ Wichtig ist, sich dessen bewusst zu sein und mögliche Absprungpunkte aus diesem potenziellen Teufelskreis nicht zu verpassen, mit dem Ziel, dem dann entgegenzusteuern.“

Diskussionen zur Flexibilisierung der Arbeitszeiten sieht Remus dabei grundsätzlich nicht negativ: „Nicht jeder ist zu den fixierten Arbeitszeiten voll einsatzfähig und am kreativsten. Es gibt aber die Gefahr, dass Mitarbeiter dann erst recht mehr arbeiten und die Grenzen zwischen Freizeit und Arbeit noch mehr verschwimmen. Wenn es keine fixen Arbeitszeiten mehr gibt, rückt das Selbstmanagement verstärkt in den Vordergrund – mit Connectivity umzugehen wird dann zu einer wichtigen sozialen Fähigkeit, man muss lernen, ab und zu abzuschalten, Informationen zu filtern, zu entschleunigen und sein eigenes Connectivity-Verhalten kritisch zu überdenken, damit es nicht zu typischen Bumerang-Effekten kommt: Wer am Wochenende eine E-Mail an einen Kollegen versendet, muss mittlerweile damit rechnen, auch umgehend eine Antwort-E-Mail zu bekommen.“

Zur Person

Ulrich Remus studierte Wirtschaftsinformatik in Bamberg. Nach dem Studium arbeitete er für knapp drei Jahre als Unternehmensberater, vor allem in Projekten im Bereich Prozessmanagement und Datawarehousing. 1998 nahm er eine Assistentenstelle an der Universität Regensburg an. Dort promovierte er zur Integration von Prozess- und Wissensmanagement 2002 und wechselte dann an die Universität Erlangen-Nürnberg, an der er später auch die Habilitation zum Thema IT-Management abschloss. Nach einem einjährigen Forschungsaufenthalt an der Victoria University of Wellington bekam er 2006 einen Ruf auf eine Assistenzprofessur an der University of Canterbury in Neuseeland. Seit Herbst 2012 ist Ulrich Remus Professor für Wirtschaftsinformatik an der Universität Innsbruck.

Dieser Artikel ist in der Juni-Ausgabe des Magazins „wissenswert“ erschienen. Eine digitale Version ist hier zu finden (PDF).