Sozialismus und Apokalyptik: Der „kleine“ Otto Bauer

Eine Forschungsgruppe der Innsbrucker Theologie beschäftigt sich mit dem Nachlass des „kleinen“ Otto Bauer – nicht zu verwechseln mit seinemberühmten Namensvetter. Otto Bauer war religiöser Sozialist und Mitbegründer des „Bundes Religiöser Sozialisten“ in Österreich.
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Die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki (im Bild) waren nicht nur für Otto Bauer eine bedeutende Zäsur. (Bild: US National Archives image 208-N-43888, Public Domain)

Otto Bauer – nicht zu verwechseln mit dem berühmten Austromarxisten und Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) in Österreich gleichen Namens – war bekennender Christ und Sozialist. Wie sein berühmter Namensvetter fühlte sich auch der 1897 geborene Otto Bauer zur Sozialdemokratie hingezogen, engagierte sich dort für das Proletariat und um die Diskrepanz zwischen Sozialismus und Religion. Innsbrucker Theologen arbeiten nun sein Werk und seine persönliche Geschichte auf. „Der ‚kleine’ Otto Bauer, wie er auch in zeitgenössischen Dokumenten in Abgrenzung zu seinem Namensvetter genannt wurde, ist auf mehreren Ebenen interessant. Zum einen, weil er als einfacher Metallarbeiter tiefgründige Texte über Religion und Politik verfasste, andererseits vor allem hinsichtlich seines Spätwerkes, in dem er, nennen wir es einmal so, die ‚apokalyptische Dimension seiner Zeit‘ reflektiert“, erklärt Mag. Marco Russo, der in einem Team um Prof. Wolfgang Palaver vom Institut für Systematische Theologie an diesem Projekt arbeitet.

Bund religiöser Sozialisten

Bauer gründet 1926 den „Bund religiöser Sozialisten“ (BRS), der bereits ein Jahr später seine Arbeit als Kulturorganisation innerhalb der SDAP aufnehmen konnte. „Die religiösen Sozialisten verstanden sich als interkonfessionell und interreligiös, ihr Hauptanliegen galt der Befreiung des Proletariats im Geiste der Reich-Gottes-Botschaft“, erläutert Marco Russo. Die meisten Schriften von Otto Bauer aus der Zwischenkriegszeit sind im „Menschheitskämpfer“, dem Organ des BRS, überliefert. Der BRS versuchte auch, zwischen der katholischen Kirche und der SDAP zu vermitteln. „Das politische Klima in der Zwischenkriegszeit war durchgehend aufgeheizt, die katholische Kirche hat selbst auch direkt in die Politik eingegriffen“, sagt der Innsbrucker Philosoph. Sichtbarstes Beispiel dafür ist Ignaz Seipel, der als Vorsitzender der Christlichsozialen Partei (CS) zwei Mal Bundeskanzler der Ersten Republik (1920-23 und 1926-29) und zugleich als Prälat hochrangiger Funktionär der katholischen Kirche war. Nach Verbot der SDAP 1934 engagierte sich Otto Bauer bei den „Revolutionären Sozialisten“; nach dem Einmarsch der Nationalsozialisten war er gezwungen, das Land zu verlassen und flüchtete im April 1938 mit seiner Familie zuerst in die Schweiz, 1940 schließlich in die USA.

Apokalyptik

„In seiner Zeit im Exil setzt bei Otto Bauer auch eine weltanschauliche Vertiefung ein“, sagt Marco Russo. „Er beginnt, den Sozialismus immer stärker zu hinterfragen, vor allem, weil er als Weltanschauung nicht in der Lage war, Nationalsozialismus und Faschismus abzuwehren.“ Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde er gebeten, nach Österreich zurückzukehren und den BRS wieder aufzubauen – er lehnte ab, stand der Sozialdemokratie inzwischen sehr kritisch gegenüber. Eine Zäsur für ihn war auch der Atombombenabwurf auf Hiroshima und Nagasaki 1945: „In diesem Zusammenhang sind Bauers Texte hinsichtlich Arbeiten anderer Denker interessant, wie etwa Günther Anders, der sich intensiv gegen den Ausbau nuklearer Waffen engagierte. Für Anders gilt: Seit den Atombombenabwürfen 1945 lebt die Menschheit im ständigen Bewusstsein, dass die endgültige Zerstörung der Welt nun technisch möglich ist. Anhand dieser Ereignisse hat der Mensch seine Selbstzerstörung erprobt.“ Auch Otto Bauer wendet sich verstärkt einem „apokalyptischen Denken“ zu, ohne jedoch einem Pessimismus zu verfallen. „Hinter einem jeden ‚Golgotha-Wege’ – diese Metapher übernahm bereits Rosa von Luxemburg, als sie über den Klassenkampf sprach – des Einzelnen und der Menschheit verbirgt sich das österliche Geheimnis“, sagt Marco Russo. In diesem Licht interpretierte Bauer die Zeichen seiner Zeit: die atomare Aufrüstung, den Kalten Krieg, auch den Israel-Palästina-Konflikt. „Bildhaft gesprochen sah Bauer den Gang der Geschichte vor einem großen Entweder-Oder. Der Mensch hat sich zu entscheiden: entweder geht er den Weg des Untergangs, oder den Weg der Hoffnung. Und dieser Weg der Hoffnung ist für Bauer das Engagement für die Sache Christi, denn für ihn war das Reich Gottes kein radikales Jenseitselement, sondern bereits im Hier und Jetzt wirksam.“

FWF-Förderung

Das vom Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) geförderte Projekt „Otto Bauer: Vom religiösen Sozialismus zum apokalyptischen Denken“ hat das Ziel, die Schriften Otto Bauers systematisch zusammenzuführen und zu erforschen. Geplant sind Open-Source-Veröffentlichungen sowie die Publikation einiger seiner Schriften in Buchform. „Neben der historisch-kritischen Aufarbeitung der Schriften geht es uns auch um die Verortung und Diskussion dieses noch teils unbekannten Denkers im Hinblick auf gegenwärtigen Fragen aus den Bereichen der Religionspolitologie und eben dieses ominöse apokalyptische Denken“, erläutert Projektmitarbeiter Marco Russo.