„Im Wettbewerb um die besten Lösungen“

Die Verfassungsjuristin Prof. Anna Gamper koordiniert das neue Forschungszentrum für Föderalismus. Im Interview spricht sie über denBundesstaat Österreich und die Kompetenzen der neun Bundesländern und erklärt, warum einheitliche Regelungen nicht immer die besten sein müssen.
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Anna Gamper ist Professorin für Verfassungsrecht an der Universität Innsbruck.

wissenswert: Diese Woche ist Landtagswahl. Was genau wählen wir da eigentlich?

Anna Gamper: Wir wählen eines von mehreren gesetzgebenden Organen in Österreich. Die Landtage verkörpern etwas ganz Wichtiges für jedes föderale System, nämlich die Möglichkeit eines Gliedstaats zu eigener Gesetzgebung. Das ist das wichtigste Merkmal föderaler Systeme: Dass diese Gliedstaaten, in Österreich die Bundesländer, nicht nur administrative – und ab 2014 auch judikative – Aufgaben haben, sondern auch eine politische Gestaltungsmöglichkeit.

In der öffentlichen Wahrnehmung steht dennoch häufig der Nationalrat im Vordergrund, die Landtage relativ wenig.

Gamper: Das ist in erster Linie der stark bundeslastigen Kompetenzverteilung in der Bundesverfassung geschuldet. Dadurch, dass die wichtigsten und meisten Kompetenzen als Bundeskompetenzen aufgezählt sind, bleibt nicht viel für die Länder übrig. Landeskompetenzen sind etwa die allgemeine Raumordnung, der Naturschutz, das Baurecht, das Gemeinderecht und einige mehr.

Es gibt auch einen Trend, Kompetenzen auf Bundesebene zu verlagern. Der Jugendschutz taucht hier immer wieder auf, er ist in allen neun Bundesländen unterschiedlich geregelt.

Gamper: In Österreich setzt man die Einheitlichkeit einer bundesweiten Regelung gerne automatisch mit höherer Qualität einer Regelung gleich. Das ist so allerdings nicht richtig: Ob etwas aus Sicht der Jugend, der Eltern oder der Gesellschaft gut oder schlecht ist, hat per se nichts mit Einheitlichkeit oder Vielfalt zu tun, sondern damit, wie die konkrete Regelung aussieht. Angenommen, es gäbe ein einheitliches Bundes-Jugendschutzgesetz: Das hieße noch lange nicht, dass die Regelungen liberal oder weniger liberal sind, sondern zunächst einmal nur, dass sie bundesweit einheitlich sind.

Es gäbe aber auch noch die Möglichkeit, dass sich Länder untereinander auf einheitliche Standards einigen.

Gamper: Das tun sie sowieso immer wieder, und das ist an sich im Jugendschutz geschehen, allerdings sind an dieser Einigung nicht mehr alle Bundesländer beteiligt. Ein freiwilliges, gemeinsames Vorgehen und die Verpflichtung, das Vereinbarte in den Landesgesetzen umzusetzen, ist eine bewährte Vorgehensweise des kooperativen Föderalismus. Das ist überhaupt der positivste Aspekt des österreichischen Föderalismus, nämlich sehr stark auf Kooperation ausgerichtet zu sein. Jedoch: Nicht immer soll Einheitlichkeit das Ziel sein. In der Vorlesung bringe ich immer ein Beispiel dafür: Aus Sicht eines Murmeltiers ist ein strengerer Schutz in auch nur einem Bundesland günstiger als eine nach unten nivellierte bundesweite Regelung. Abgesehen davon, dass es nicht in allen Bundesländern Murmeltiere gibt. Das zeigt: Es gibt schon allein auf Grund der Vielfalt der Lebensräume in Österreich große Unterschiede, wo unterschiedliche Regelungen auch Sinn haben.

Zurück zum Jugendschutz: Die Jugendlichen sind trotzdem in ganz Österreich die gleichen.

Gamper: Das ist richtig. Prinzipiell wäre es aber auch hier möglich, dass die Gliedstaaten in Wettbewerb um die besten rechtlichen Lösungen treten. Die Möglichkeit, dass ein Bundesland mit einer guten Regelung Vorreiter ist oder Bundesländer in einen Wettbewerb guter Lösungen treten, ist in einem Einheitsstaat nicht gegeben. Diese Innovationskraft des Wettbewerbsföderalismus ist ein ganz wichtiger Aspekt. Ich gebe allerdings zu, dass dieser Aspekt in der politischen Wirklichkeit nicht immer herauskommt.

Als positiven Aspekt haben Sie die Kooperation im österreichischen Föderalismus angesprochen. Ist das in anderen Ländern anders?

Gamper: Durchaus. Dass der österreichische Föderalismus besonders stark kooperativ ausgerichtet ist, wird auch in der internationalen Literatur immer lobend hervorgehoben. In anderen Staaten ist Kooperation überhaupt ein Überlebensfaktor. Dazu ist Belgien ein interessantes Beispiel: Der Föderalismus dort ist sehr asymmetrisch ausgerichtet, und die Spannungen zwischen Flamen und Wallonen sind sehr groß. Dort wird versucht, diesen sehr fragilen Bundesstaat durch den Ausbau von kooperativen Mechanismen zu retten.

Der Finanzskandal in Salzburg hat zuletzt Forderungen nach einem Spekulationsverbot und einer Aufsicht des Bundes über die Länderfinanzen gebracht. Bringen Selbstverpflichtungen der Länder etwas?

Gamper: Dass ein solcher Skandal den Ruf nach mehr Kontrolle auslöst, ist aus der konkreten Situation heraus verständlich. Dahinter steht allerdings eine Kernkompetenz der Länder, nämlich ihre eigenständige Finanzgebarung. Daran sind letztlich auch wichtige politische Gestaltungsmöglichkeiten der Länder geknüpft, die aus Landessicht nicht einseitig durch den Bund beschränkt werden sollen. Auf der anderen Seite stimmt natürlich auch, dass Österreich als Mitgliedstaat der Europäischen Union Vorgaben zu beachten hat, die von der EU kommen und die Mitgliedstaaten zu Stabilität und geordneten Haushalten mit niedrigem Schuldenstand verpflichten. Und das kann auch einen Bundesstaat nicht unberührt lassen.

 

Forschungszentrum Föderalismus

Das neue interdisziplinäre Forschungszentrum „Föderalismus“ bündelt und intensiviert die Kompetenzen der Universität im Bereich der rechts- und politikwissenschaftlichen Föderalismusforschung. Externe Partner sind das Institut für Föderalismus in Innsbruck und das Institut für Föderalismus- und Regionalismusforschung der EURAC Bozen. Die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gehen dabei Fragen nach der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern, des Finanzausgleichs, der Rolle des Bundesrats, der Stellung der Länder und Gemeinden im europäischen Mehrebenensystem und der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zwischen Regionen nach.

Dieser Artikel ist in der April-Ausgabe des Magazins „wissenswert“ erschienen. Eine digitale Version ist hier zu finden (PDF).