Grundlagen des Handelns gemeinsam erforschen

Natur- und Geisteswissenschaften blicken aus sehr unterschiedlichen Perspektiven auf die Welt. Nun untersuchen Philosophen und Physiker aus Innsbruck undKonstanz gemeinsam die Grundlagen menschlichen Handelns und wollen dabei auch neue Ansätze für künstliche Intelligenz entwickeln. Unterstützt werden sie dabei von der Templeton-Stiftung mit über einer Million Euro.
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Hans Briegel hat in den vergangenen Jahren wegweisende Vorschläge in der Quanteninformation gemacht und beschäftigt sich heute unter anderem mit der Frage, wo ganz allgemein die Möglichkeiten und Grenzen von Computern liegen. Der Innsbrucker Physiker versteht darunter auch lernfähige und intelligente Maschinen. So erforscht er zum Beispiel, was die Quantenphysik zum Problem der künstlichen Intelligenz zu sagen hat und berührt damit auch eine sehr grundsätzliche Frage: Wie kann es in einer Welt, die auf allen Ebenen den Gesetzen der Physik folgt, überhaupt einen Spielraum für kreatives Denken und Handeln geben, wenn doch alles schon durch eben diese physikalischen Gesetze vorherbestimmt zu sein scheint?
Die Frage, inwiefern man innerhalb unseres modernen naturwissenschaftlichen Weltbildes überhaupt einen vernünftigen Handlungsbegriff begründen kann, ist auch ein zentrales Problem der Philosophie. „Dort kennt man diese Frage unter dem Begriff Agency – was als Handlungsvermögen bzw. als die Bedeutung von Handlung überhaupt übersetzt werden könnte“, sagt Hans Briegel. „Dieser Begriff beinhaltet die Möglichkeit eines Akteurs, in die Verhältnisse einzugreifen und diese auch zu lenken.“ Die Frage nach den Grundlagen menschlichen Handelns beschäftigt die Philosophie seit ihren Anfängen und stellt eines ihrer zentralen Probleme dar. „Diese Frage berührt in gewisser Weise aber auch die Konsistenz unseres modernen wissenschaftlichen Weltbildes.“

Physik und Philosophie

Es war für Hans Briegel daher naheliegend, die Zusammenarbeit mit der Philosophie zu suchen. Nun soll die Frage nach der Möglichkeit von Handlung in einem einzigartigen Projekt von Physikern und Philosophen näher erforscht werden. Hans Briegel vom Institut für Theoretische Physik der Universität Innsbruck und dem Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) sowie die Philosophen Edmund Runggaldier vom Innsbrucker Institut für Christliche Philosophie und Thomas Müller, Professor für Theoretische Philosophie an der Universität Konstanz, werden in den kommenden drei Jahren eng zusammenarbeiten. „Wir wollen eine Art Methodenwerkstatt entwickeln, in der Methoden der analytischen Philosophie mit modernen Konzepten der theoretischen Physik und der Quantentheorie zusammentreffen. Philosophische Ansätze zum Problem von Agency können dabei anhand konkreter Modelle getestet und weiterentwickelt werden, und umgekehrt“, sagt Briegel. Einen ersten Testfall hat der Physiker vor kurzem selbst vorgestellt. Mit der projektiven Simulation hat Briegel ein neues, stochastisches Modell für lernfähige Agenten entwickelt, das unser Verständnis der Naturgesetze mit der Idee von freiem und kreativem Verhalten versöhnen will. Das Modell soll keine Erklärung von Bewusstsein oder eine Theorie über die Funktionsweise des Gehirns sein. „Es zeigt vielmehr, wie in Systemen, die auf allen Ebenen den Gesetzen der Physik unterworfen sind, dennoch ein Spielraum entstehen und ausgenutzt werden kann.“

Neue Modelle und Konzepte

Aus ihren Disziplinen heraus wollen die Philosophen und Physiker die Frage nach der Möglichkeit von Handlung in einer von Naturgesetzen regierten Welt gemeinsam stellen. So wird Hans Briegel mit seinem Team die Rolle der Physik und insbesondere der Quantenphysik als fundamentale Beschreibung physikalischer Objekte für eine angemessene Theorie von Agency erkunden. Auch werden die Forscher fragen, inwiefern Konzepte der Quanteninformationsverarbeitung für neue Modelle künstlicher Intelligenz ausgenutzt werden können. Gleichzeitig suchen die Wissenschaftler nach einem theoretischen Rahmen, um künstliche und natürliche Agenten, ihre Vermögen und ihre Identität begrifflich zu fassen. Schlussendlich soll auch untersucht werden, wie die gewonnenen Erkenntnisse sich mit der Idee von Verursachung und Kausalität zusammenführen lassen.
„Unser Anspruch bei diesem Vorhaben ist, dass wir mit fundierten Konzepten und Methoden unserer jeweiligen Disziplinen arbeiten und diese in bisher nicht dagewesener Art und Weise zusammenführen“, freut sich Hans Briegel über diese in unserer Zeit außergewöhnlich enge Kooperation zwischen Geistes- und Naturwissenschaften.

Es ist dies bereits das zweite von der amerikanischen Templeton-Stiftung geförderte Großprojekt an der Universität Innsbruck. Seit knapp drei Jahren versuchen Theologen und analytische Religionsphilosophen, ihre bisher weitgehend getrennten Forschungstraditionen zu vereinen und Konzepte einer analytischen Theologie zu entwickeln.