Wie kooperativ ist der Homo oeconomicus?

In spieltheoretischen Experimenten untersuchte Matthias Sutter die Kooperationsbereitschaft der Menschen. Das Ergebnis war, dass diese nichtnach dem theoretischen Konzept eines Homo oeconomicus agierten, sondern sich konditional kooperativ zeigten.
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Den Egoismus des menschlichen Verhaltens hat Adam Smith, der Begründer der Nationalökonomie, bereits früh erkannt, als er sagte: „Es ist nicht die Wohltätigkeit des Metzgers, des Brauers oder des Bäckers, die uns unser Abendessen erwarten lässt, sondern dass sie nach ihrem eigenen Vorteil trachten.“ Demnach können sich Menschen in ökonomischen Beziehungen nicht darauf verlassen, dass sich ihre Verhandlungspartner aus Altruismus fair und kooperativ verhalten. Vielmehr handeln sie aus Egoismus, der sie dazu treibt, alles daran zu setzen, die Kooperation für sich selbst erfolgreich zu beenden. Dies deckt sich mit dem wirtschaftswissenschaftlichen Utilitarismus, der besagt, dass Menschen immer den größtmöglichen Nutzen aus einer Situation ziehen wollen. Sie verhalten sich wie der, von Adam Smith geprägte, rationale und egoistische Homo oeconomicus, der als Grundannahme vieler wirtschaftswissenschaftlicher, aber auch anderer wissenschaftlicher, Modelle gilt. Der Homo oeconomicus kennt nur ökonomische Ziele und ist auf seinen Eigennutzen bedacht. In der öffentlichen Diskussion wird dieser Eigennutzen häufig automatisch mit Gewinn- und Profitmaximierung gleichgesetzt. „Das mag in manchen Fällen zutreffen, der Eigennutzen ist aber ein viel breiteres Konzept. Zum Beispiel kann es jemanden dabei gut gehen, Geld zu spenden. Wenn man aber davon ausgeht, dass der Homo oeconomicus ein reiner Gewinn- und Profitmaximierer ist, dann beschreibt diese These menschliches Verhalten zum Teil ganz gut, aber nicht komplett“, so Prof. Matthias Sutter vom Institut für Finanzwissenschaft. Evident ist, dass der Homo oeconomicus im Grunde lediglich ein Konstrukt der volkswirtschaftlichen Theorie ist, welches dazu dient, menschliches Verhalten so einfach wie möglich abzubilden.

Konditionale Kooperation

In den letzten zehn Jahren gibt es ein breites Forschungsthema in der volkswirtschaftlichen experimentell motivierten Forschung, welches die Veranlassung der Menschen zur Kooperation untersucht. Eine der wesentlichen Erkenntnisse aus dieser Forschung ist, dass Vertrauenswürdigkeit und Kooperationsbereitschaft zu einem großen Teil auf einer generalisierten Reziprozität beruhen. Sie bewirkt eine sogenannte konditionale Kooperation, damit ist gemeint, dass Individuen mehr zu einem Gemeinschaftsgut beitragen, wenn sie erwarten oder sehen, dass sich andere auch daran beteiligen. Wenn sie hingegen sehen, dass andere nicht kooperieren, kooperieren sie auch nicht. Das heißt im selben Menschen stecken unterschiedliche Verhaltensmuster, um in einer Gruppe zu agieren. Dies ist abhängig davon, wie man die anderen Gruppenmitglieder wahrnimmt und was man vom Verhalten der Anderen erwartet. Viele Studien zeigen, dass 60 bis 70 Prozent der Menschen derartige Verhaltensmuster aufweisen. So spielt es ökonomisch gesehen eine zentrale Rolle, wie Entscheidungen in Gruppen getroffen werden. Durch die Entwicklung experimenteller Methoden ist es möglich, die Annahmen der konditionalen Kooperation unter kontrollierten Laborbedingungen mit dem tatsächlichen Handeln von Individuen zu vergleichen. Prof. Matthias Sutter konnte gemeinsam mit M. Fernanda Rivas in einem spieltheoretischen Experiment zeigen, dass sich die Theorie der konditionalen Kooperation in die Praxis transformieren lässt.

Spieltheoretisches Experiment

Das Experiment setzte eine Gruppe von vier Personen voraus. Davon wurde eine Person bestimmt, die als Gruppenleader agierte und vor allen anderen einen Beitrag in der Größenordnung von 0 bis 25 Geldeinheiten für die Gruppe in einen Gemeinschaftstopf leisten sollte. Sobald diese Person ihre Entscheidung getroffen hatte, wurde die Beitragsgröße den drei anderen Personen mitgeteilt und sie durften beschließen, welche Summe sie beitragen möchten. In allen Fällen war es so, dass die beste Entscheidung eines Homo oeconomicus ein Nullbeitrag gewesen wäre. „Wenn aber alle vier Personen das Maximum beitragen, geht es allen zusammen am besten. Die Entscheidung der ersten Person ist autoritativ für die Entscheidungen der anderen. Wenn der Gruppenleader viel beiträgt, folgen die anderen; wenn der Leader wenig beiträgt, tragen die anderen auch wenig bei. Das Kooperationsniveau hängt ganz evident von der Handlungsweise des Gruppenleaders ab“, erklärt Prof. Sutter. Wenn ein Leader in einer Gruppe eine Vorbildrolle einnimmt und die anderen Mitglieder sehen, dass er im Sinne des Gruppenwohls handelt, ist das sowohl für das Gruppenklima als auch die Gruppenleistung relevant. Interessant ist jedoch der Aspekt, dass Kooperation nur dann funktioniert, wenn der Leader mit seinem Entschluss eine Richtlinie in der Gruppe setzt. Die Kooperationsbereitschaft bricht in der Situation zusammen, wenn der Leader den anderen drei Personen den Vortritt zur Erstentscheidung lässt. Die Ergebnisse dieses Experiments lassen schlussfolgern, dass bei zwischenmenschlichen ökonomischen Aktivitäten das Prinzip der Reziprozität gilt. Menschen agieren nicht nur nach dem theoretischen Konzept eines Homo oeconomicus, der rein egoistisch motiviert ist und handelt, sondern eben auch nach dem Prinzip „Wie du mir, so ich dir“. Sie achten auf Fairness und Status in einer Gruppe.

Zur Person

Matthias Sutter (* 1968 in  Hard, Vorarlberg) ist Professor am Institut für Finanzwissenschaft an der Universität Innsbruck und Gastprofessor an der Universität Göteborg. Sein Forschungsinteresse bezieht sich vor allem auf die Bereiche Experimentelle Wirtschaftsforschung, Spieltheorie und Teamentscheidungen. Aktuell forscht Prof. Sutter in dem Gebiet der Entwicklung ökonomischen Entscheidungsverhaltens von Kindern und Jugendlichen. Er erreichte im Jahr 2011 beim Handelsblatt Ökonomen-Ranking Platz 5 (unter 2400 Forscherinnen und Forschern im deutschsprachigen Raum) und erhielt 2009 den Tiroler Wissenschaftspreis.

Dieser Artikel ist in der aktuellen Ausgabe von "zukunft forschung" erschienen. Eine Online-Version des Forschungsmagazins ist unter folgendem Link verfügbar: zukunft 02/11