Passt die Geometrie, stimmt die Chemie

Mit seinem Team hat der Physiker Roland Wester durch die direkte Beobachtung von „Geometrieeffekten“ einen Beitrag zur Entschlüsselungchemischer Austauschreaktionen vorgelegt. Die Fachzeitschrift Nature Chemistry berichtet darüber in ihrer aktuellen Online-Ausgabe.
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Innsbrucker Physiker entschlüsseln chemische Austauschreaktionen.

Die Arbeitsgruppe um Roland Wester vom Institut für Ionenphysik und Angewandte Physik der Universität Innsbruck, vormals an der Universität Freiburg in Deutschland, hat experimentell gezeigt, dass bei chemischen Austauschreaktionen nicht alleine die Energie die tragende Rolle spielt. „Bei Reaktionen in Anwesenheit von Wasser dürfte dies vielmehr auch die Geometrie sein, und damit die Frage, wo bestimmte Moleküle sitzen. Sehr vereinfachend könnte man daher sagen, passt die Geometrie, stimmt auch die Chemie“, so Wester. Die Physiker untersuchten in ihrem jüngsten Experiment einzelne Wassermoleküle und deren Einfluss auf die Reaktionsdynamik von Austauschreaktionen bei der Entstehung von Methanol.

Unerwartete Effekte

Das Team ließ dabei in einer eigens entwickelten Apparatur im Vakuum einzelne, negativ geladene Hydroxyl-Ionen mit Iodmethan-Molekülen (CH3I) kollidieren. Bei dieser Reaktion entstehen Methanol (CH3OH) und ein negativ geladenes Jod-Atom. An die Hydroxyl-Ionen hängten die Forscher dann kontrolliert genau ein oder zwei Wassermoleküle an. Dieses Experiment „förderte verschiedene unerwartete Effekte zutage. Entgegen der einfachen Vorstellung verlangsamt und verwischt ein Wassermolekül nicht einfach diese Reaktion, sondern steuert sie vielmehr durch die geometrische Anordnung der Moleküle. So läuft die Reaktion überhaupt erst durch die Anwesenheit eines Wassermoleküls in der Weise ab, wie dies in Chemie-Lehrbüchern beschrieben ist. Dabei nähert sich das Ion dem CH3I–Molekül von einer Seite und das Jod-Atom fliegt nach der Umordnung des molekularen Komplexes in entgegengesetzter Richtung davon. Ohne den Einfluss des Wassers finden wir dagegen ganz andere Reaktionsmechanismen.“, sagt Rico Otto, der mit diesen Experimenten seine Dissertation abschloss. Mit diesen Grundlagenforschungen wollen er und seine Kollegen einen Beitrag zum verbesserten Verständnis dieser komplexen Abläufe liefern. „Letztlich und dies ist ein sehr langfristiges Ziel, könnte dies auch ein Beitrag dazu sein, industrielle Prozesse effizienter ablaufen zu lassen“, sind Wester und Otto überzeugt.

Die in diesen Forschungen untersuchten „Nukleophilen Substitutionsreaktionen“ sind eine der wichtigsten Reaktionsklassen in der Organischen Chemie. Solche chemischen Austauschprozesse, bei denen eine funktionale Gruppe gegen eine andere ausgewechselt wird, laufen z.B. bei der Adrenalin-Synthese in unserem Körper ab. Dort, wie auch in vielen technischen Anwendungen, finden sie normalerweise in Flüssigkeiten statt. Was auf der Ebene der einzelnen beteiligten Teilchen und Moleküle dabei wirklich im Detail passiert, ist bisher kaum erforscht. Warum? Chemische Formeln fassen Reaktionen in einfacher Weise zusammen, sie können aber die komplexe Dynamik der verschiedenen Reaktionsschritte und deren Wechselwirkungen nur sehr schlecht beschreiben. Außerdem kann die Wissenschaft erst seit wenigen Jahren mit ausgeklügelten Laborexperimenten einen Blick auf diese Austauschprozesse werfen und im Grenzgebiet zwischen Chemie und Physik deren Dynamiken besser erfassen. Wie gefragt diese Fähigkeiten sind, konnte Rico Otto bereits persönlich erfahren, er bekam schon vor seiner Dissertation mehrere Angebote auf Forscherstellen weltweit und ist inzwischen an der University of California in San Diego aktiv. Wester wurde für seine Forschungen im Feld der Ion-Molekül-Reaktionen 2009 mit dem Gustav-Hertz-Preis ausgezeichnet. Der Physiker forscht und lehrt seit Oktober 2010 als Professor am Institut für Ionenphysik und Angewandte Physik der Universität Innsbruck. Im Vorjahr erhielt er einen „Starting Grant“ des European Research Council (ERC).