Ein Bürger-Idealtyp

Joseph Hundegger war Advokat und mit seiner Biografie ein nahezu idealtypischer Vertreter des Bürgertums: Anhand des Nachlasses des 1896verstorbenen Tirolers lassen sich die historischen Einschnitte des 19. Jahrhunderts besonders gut verfolgen. Ein Innsbrucker Historiker macht nun genau das in Form eines Buches.
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Joseph Hundeggers (*1823, †1896) Nachlass diente als wertvolle Quellensammlung. Hier ein Porträtbild von Joseph Hundegger um 1870. (Foto: Matthias Egger/Nachlass Joseph Hundegger)

Der typische Vertreter des Bürgertums aus dem 19. Jahrhundert reiste viel, war Arzt, Beamter, Wissenschaftler, Unternehmer, Anwalt oder ging einem ähnlichen Beruf nach, betätigte sich aktiv in Vereinen und hegte ein auf persönliche Liebe und Zuneigung bauendes Familien-Ideal abseits der Ehe als Mittel bloßer Existenzsicherung. Ein Kopfgeld auf den preußischen Ministerpräsidenten Graf Bismarck auszusetzen ist als Merkmal nicht zwingend gefordert – im Fall Joseph Hundeggers zeigt diese Episode aber einen interessanten Aspekt seiner Persönlichkeit. „1866, während des Krieges mit Preußen, setzte Hundegger in der Tageszeitung ‚Presse‘ 100 Gulden auf Bismarck aus“, erzählt Mag. Matthias Egger. Er ist der Ur-Ur-Urenkel von Joseph Hundegger und arbeitet in einem aus seiner Diplomarbeit entstandenen Buch die Biografie seines Vorfahren auf. „Hundegger fühlte sich zwar selbst der ‚Deutschen Nation‘ zugehörig, lehnte aber – wie diese Anzeige deutlich zeigt – die so genannte Kleindeutsche Lösung strikt ab. Diese Haltung lässt sich auf seinen tiefen katholischen Glauben und die damit einhergehende Anhänglichkeit an das Haus Habsburg zurückführen.“

Bewegte Zeiten

Joseph Hundegger erlebte ausgesprochen bewegte Zeiten – darunter auch die Revolution 1848 (siehe Kasten). Diese Zeit verbrachte der 1823 in Grießbruck bei Klausen geborene Sohn eines Landarztes als Jus-Doktorand in Innsbruck. „Das Jahr 1848 und besonders die Revolutionszeit zwischen März und Juni nimmt einen bedeutenden Platz in Joseph Hundeggers Nachlass ein“, sagt Matthias Egger. Der bürgerlich-liberal motivierte Aufstand gegen das „System Metternich“ zielte auf breitere demokratische Mitbestimmung im Rahmen einer konstitutionellen Monarchie und wurde besonders vom Bürgertum und der liberalen Studentenschaft getragen. Auch erste national motivierte Unabhängigkeitsbestrebungen vom Habsburgerreich machten sich 1848 bemerkbar. „Metternichs Regierung kennzeichnete sich durch eine außerordentlich unflexible Haltung und einen Reformstillstand. Das Hauptaugenmerk lag dabei auf der Bekämpfung liberaler und demokratischer Ideen“, erklärt Matthias Egger.

Hundegger selbst war von ersten Ergebnissen der Revolution begeistert, etwa der Aufhebung der Zensur und die Errichtung der Nationalgarden. So schreibt er in einem Brief an seine Familie am 19. März 1848: „Den Jubel sollten Sie sehen, der hier allgemein herrscht, allüberall Vivat, allüberall Bänder und allüberall ungetrübte Freude. […] Die Pressfreiheit ist eine sehr gefürchtete Sache, allein gewiß mit Unrecht schädlicher erachtet, als eine schlechte Censur […]. Eine Nacht habe ich vor Freude u[nd] Aufregung ganz Schlaflos zugebracht, 2 Tage fast nicht essen mögen und bin vor Freude und Berührung fast krank.  […] Was man 30 Jahre gehofft, aber nicht so vollendet zu hoffen gewagt, das hat der 15. März gebracht.“ Als Mitte März in der Lombardei und in Venetien Aufstände gegen die Habsburgerherrschaft ausbrachen und erste Forderungen nach einer Loslösung der italienischsprachigen Gebiete Tirols von der Innsbrucker Regierung laut wurden, schwand Hundeggers Begeisterung für die Revolution. Als Mitglied einer Studentenkompanie zog er zur Niederschlagung der Aufstände nach Südtirol.

Sozialer Aufstieg

Am Beispiel Hundeggers lässt sich auch ein sozialer Aufstiegsprozess festmachen, der sich über drei Generationen erstreckte. „Während sein Großvater wohl noch der städtischen Unterschicht zuzurechnen war, schafften es sein Vater, und insbesondere Joseph Hundegger selbst, durch den Erwerb von Bildungsdiplomen, berufliche Kompetenz und persönlichen Ehrgeiz, die Familie im Bürgertum zu etablieren“, erklärt Matthias Egger. Ein weiteres Merkmal für diesen Aufstiegsprozess sind auch die erweiterten Heiratskreise. Hundegger selbst heiratete 1857 die Tochter des Bürgermeisters von Murau, die er seiner Mutter in einem Brief wie folgt beschreibt: „Zwanzig Jahre, niedlich, gesund, etliche tausende als Nothpfennig und reiche Verwandte, Tochter unseres Bürgermeisters und Handelsmanns, bedeutenden Güterbesitzers, etc. Mama ich bin ganz glücklich!“

 

Info: Revolutionsjahre 1848/49

1848/49 fanden in Mitteleuropa hauptsächlich vom liberalen Bürgertum – aber auch von der Arbeiterschaft – getragene Aufstände gegen die zu dieser Zeit herrschenden politischen und sozialen Strukturen statt. Bedeutende Zentren der Revolution waren Frankreich, die Staaten des Deutschen Bundes, die italienische Halbinsel, das dreigeteilte Polen und das nach Unabhängigkeit von habsburgischer Herrschaft strebende Ungarn. Im Deutschen Bund strebten die Revolutionäre hauptsächlich politische Freiheiten im Sinne demokratischer Reformen und die nationale Einigung der verschiedenen Fürstentümer an. In einzelnen Regionen kam es in Folge der Aufstände sogar zu kriegerischen Auseinandersetzungen, so auch in Norditalien, wo der erste italienische Unabhängigkeitskrieg ausgefochten wurde.

In Wien nahm das Geschehen ab dem Ausbruch der Aufstände im März 1848 bürgerkriegsähnliche Ausmaße an: Kaiser Ferdinand I. floh im Mai 1848 mit seiner Familie nach Innsbruck, die Tiroler Hauptstadt war so für knapp zwei Monate auch provisorische Hauptstadt der Monarchie. „Initialzündung“ für die Aufstände war wesentlich die französische Februarrevolution von 1848 und die damit verbundene Ausrufung der Zweiten Französischen Republik. Die Erhebungen dauerten in den jeweiligen Staaten und Regionen unterschiedlich lange, im Oktober 1849 endeten die letzten Kämpfe mit der Kapitulation der ungarischen Unabhängigkeitsbewegung. Trotz ihres vordergründigen Scheiterns prägten die Revolutionen von 1848/49 die politische Kultur und das Demokratieverständnis der meisten mitteleuropäischen Staaten langfristig und nachhaltig.

Das Buch „‚Für Gott, Kaiser und Vaterland zu Stehen oder zu Fallen …‘. Die Aufzeichnungen Joseph Hundeggers aus dem Revolutionsjahr 1848“ von Matthias Egger wird am 22. März 2012 um 19:30 Uhr im Universitätshauptgebäude im University-of-New-Orleans-Saal vorgestellt.

Dieser Artikel ist in der Februar -Ausgabe des Magazins „wissenswert“ erschienen. Eine digitale Version steht unter folgendem Link zur Verfügung: wissenswert 1/2012