Das Leiden in der Welt verstehen

Ende Mai war Eleonore Stump von der St. Louis University (USA) zu Gast am Institut für Christliche Philosophie, um ihr neues Buch „Wandering in Darkness“mit einer Arbeitsgruppe des „Analytic Theology“-Projekts unter der Leitung von Georg Gasser kritisch zu diskutieren. Stump gibt darin Antwort-Versuche, wie das Leiden in der Welt angesichts des Glaubens an Gott zu verstehen sei.
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Für die amerikanische Philosophin ist Leiden ein wesentlicher Bestandteil unseres menschlichen Lebens und ein Gedanke, den man in allen Religionen findet. (Fotonachweis: flickr.com/murdelta)

„Wie kann ein gütiger Gott zulassen, dass es so viel Übel in der Welt gibt? – Das war meine Ausgangsfrage zu dem Buch“, sagt die amerikanische Philosophin Eleonore Stump. Das sogenannte Theodizee-Problem ist eines der stärksten Argumente in der Moderne gegen die Existenz Gottes. Eine Arbeitsgruppe des „Analytic Theology“-Projekts der Universität Innsbruck unter der Leitung von Georg Gasser hat sich eingehend mit den verschiedenen Varianten dieses Problems beschäftigt. Konkret setzte sich die Gruppe kritisch mit dem kürzlich erschienenen Hauptwerk „Wandering in Darkness“ der Philosophin Eleonore Stump auseinander, die darin ihre Deutung des Theodizee-Problems vorlegt. Stumps Verteidigung ist vom Theodizee-Ansatz des scholastischen Philosophen und Theologen Thomas von Aquin inspiriert, sie erweitert diesen Ansatz aber methodisch mithilfe literaturkritischer Überlegungen und inhaltlich mit aktuellen Befunden aus der Kognitionsforschung und der empirischen Psychologie.

Leiden, um zu wachsen

„Es gibt viele große Philosophen, die für die Geschichte der christlichen Philosophie sehr wichtig sind, wie Augustinus und Thomas von Aquin. Beide haben sich mit dem Theodizee-Problem beschäftigt. Wir sind heute aber so weit von der Welt dieser Denker entfernt, dass es uns schwer fällt, sie zu verstehen“, erklärt die Philosophin. Stump versucht daher in ihrem Buch die Welt des Thomas von Aquin zu veranschaulichen, und zugleich mit unserer modernen Welt zusammenzubringen, indem sie zum Beispiel aktuelle Befunde aus Psychologie und den Neurowissenschaft in ihre Argumentation einbaut. Stump zufolge sind gewisse Formen des Leidens für die menschliche Entwicklung notwendig, wie etwa das Phänomen des Posttraumatischen Wachstums andeute.

Keine Philosophie ohne Geschichten

Nach Thomas von Aquin besteht das höchste Gut des Menschen in einer aufrichtigen Liebesbeziehung zu Gott und zu unseren Mitmenschen. Für die Erlangung dieses Ziels kann Leiden manchmal das einzige Mittel sein. Daher ist für Thomas von Aquin Gott auch moralisch gerechtfertigt, Leiden zuzulassen, sofern es den Weg zu diesen höchsten Gütern darstellt. Für die amerikanische Philosophin ist Leiden ein wesentlicher Bestandteil unseres menschlichen Lebens, den es nicht kategorisch auszuschließen gilt. Man findet diesen Gedanken nicht nur im Christentum, sondern auch im Judentum und in der griechischen Antike. Die drei großen Tragödiendichter Sophokles, Aischylos und Euripides zeigen uns eine ähnliche Idee des Leidens. „Die griechischen Götter haben den Menschen Leid gegeben, damit diese sophia, also Weisheit, erreichen.“ In den Augen Stumps lassen sich die moralisch rechtfertigenden Gründe für menschliches Leiden oft erst dann entdecken, wenn man auch die Geschichte, zu der dieses Leiden gehört, entsprechend wahrnimmt. „Ich lege Interpretationen von Geschichten aus der Bibel vor, in denen Leiden vorkommt, um meine Rechtfertigung zu untermauern. Es ist wichtig, auch in der Philosophie mit Geschichten zu arbeiten, um ein Thema besser fassen zu können, denn gerade existentielle Fragestellungen lassen sich nicht durch eine trockene logische Analyse fassen“, erläutert Stump ihre Arbeitsweise. Sie bemüht sich um einen neuen Blick auf bekannte biblische Geschichten, indem sie diese vor dem Hintergrund des Theodizee-Ansatzes des Thomas von Aquin auf originelle Weise neu erzählt.
Inwiefern Stumps Ansatz ihre Kollegen in Innsbruck zu überzeugen vermochte, wird in der September-Ausgabe des European Journal for Philosophy of Religion dokumentiert sein. Dort wird eine Reihe von Artikeln zu Stumps Buch, die im Hinblick auf ihren Aufenthalt in Innsbruck ausgearbeitet wurden, in einem eigenen Diskussionsteil erscheinen.

Philosophin aus Leidenschaft

Eleonore Stump, 1947 geboren, ist vor allem bekannt für ihre Arbeiten zu Religionsphilosophie und Metaphysik. Im Jahr 2003 hielt sie die Gifford Lectures an der University of Aberdeen und im akademischen Jahr 2005/2006 die Wilde Lectures an der University of Oxford. Die Einladung zu diesen Vorlesungsreihen gehört zu den prestigeträchtigsten philosophischen Auszeichnungen. Stump ist eine der bekanntesten amerikanischen Philosophinnen der Gegenwart und seit kurzem aufgrund ihrer Verdienste auch Mitglied der American Academy of Sciences – eine Ehre, die nicht vielen Philosophen zuteil wird.