Im Fokus: Roma-Inklusion

Die Gesellschaft für politische Aufklärung und das Institut für Politikwissenschaft luden am 13. März zu einer Veranstaltung über Projekte für die Minderheit der Roma in den Fakultätssitzungssaal der SOWI. Als Referenten waren Prof. Rudolf Sarközi (Wien) und Pfarrer Wolfgang Pucher (Graz) zu Gast. Durch den Abend führte a. Univ.-Prof. Dr. Erika Thurner.
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Foto: Prof. Rudolf Sarközi referierte über die Entwicklung der Rechte der Roma in Österreich.

Dort, wo das größte Elend herrscht, stieß ich immer wieder auch auf eine rätselhafte Lebenskraft.“
(Karl-Markus Gauß, Die Hundeesser von Svinia, 2004)

Roma sind nicht nur die größte Minderheit in Europa, sie sind auch die am stärksten bedrohte Bevölkerungsgruppe. Nicht erst seit Massenausweisungen aus Frankreich – im Sommer 2010 – bemühen sich die EU-Kommission und andere internationale Institutionen, gegen die Ausgrenzung von Roma und das Phänomen des Antiziganismus aktiv zu werden. Die Erfolge dieser „Roma-Strategien“ sind bisher allerdings gering; greifen noch kaum. Druck machen dagegen einige wenige nationale und regionale Akteure – und kreative Einzelkämpfer. Pfarrer Wolfgang Pucher und Professor Rudolf Sarközi sind zwei dieser Aktivisten, die in der Veranstaltung „Im Fokus: Roma-Inklusion“ den interessierten BesucherInnen die Notwendigkeit sozialpolitischen Engagements für Roma vor Augen führten.

Rudolf Sarközi

Den ersten Teil der fast vierstündigen Veranstaltung bestritt Rudolf Sarközi, Aktivist der ersten Stunde in der Roma-Bewegung. Er demonstrierte die Entwicklung einer stark diskriminierten, ausgegrenzten sozialen Randgruppe hin zu einer anerkannten ethnischen Minderheit am eigenen Beispiel. Sarközi wurde 1944 im NS-Zwangsarbeitslager Lackenbach im Burgenland geboren. Er wuchs bei seiner Mutter, einer burgenländischen Romni, in ärmlichsten Verhältnissen in Unterschützen auf. In der Gemeinde war auch nach dem Krieg die starke Zustimmung zum Nationalsozialismus spürbar. Diskriminierung und Ausgrenzung überschatteten seine Kindheit, und er hatte keine Chance, als Rom im Burgenland einen Arbeitsplatz zu finden. In Wien, in der Anonymität der Großstadt, gelang ihm „ein normales Leben“.

Sein Outcoming als österreichischer Rom begann erst in den 1980er Jahren. Und von da an war Rudolf Sarközi nicht mehr zu bremsen. Er ist Mitbegründer und Gründer der wichtigsten Roma-Organisationen in Österreich, und er hat erfolgreich und rasch die Anerkennung der autochthonen Roma als österreichische Volksgruppe 1993 durchgesetzt. Seither ist er Vorsitzender des Roma-Volksgruppenbeirates. 1991 gründete er in Wien den „Kulturverein Österreichischer Roma“; nach fast zwei Jahrzehnten hat er die Obmannschaft an seinen Sohn Andreas übergeben. Und seither hat sich sein Aktionsradius nochmals erweitert. Er vertritt die österreichischen Roma (die Roma Österreichs) in zahlreichen internationalen Organisationen. Diese wichtigen arbeits- und integrationspolitischen Maßnahmen auf europäischer, nationaler und kommunaler Ebene hat Professor Sarközi an konkreten Beispielen aufgezeigt, die Probleme von Umsetzung und Reichweite nachdrücklich beschrieben. In der Neuerscheinung „Vom Rand in die Mitte. 20 Jahre Kulturverein österreichischer Roma“ (Eigenverlag, Wien 2012) ist Rudolf Sarközis umfassendes Engagement und vieles mehr nachzulesen. 2002 hat Rudolf Sarközi den Berufstitel „Professor“ verliehen bekommen.

Wolfgang Pucher

Pfarrer Wolfgang Puchers Bekanntheit reicht weit über Graz hinaus. In seinem Einsatz für die „Ärmsten der Armen“ ist er äußerst erfolgreich. Mit Hilfe der Vinzenzgemeinschaft etablierte er seit den 1990er Jahren ein ganzes Netzwerk von Einrichtungen in der steirischen Landeshauptstadt (VinziBett, VinziHaus, VinziMed, VinziMarkt, etc.) und konnte das Problem der Obdachlosigkeit in Graz nahezu beseitigen: „Bei mir im Keller sind vier untergebracht. Wenn jedes Pfarrhaus seine Türen öffnet, dann müsste keiner mehr im Freien schlafen oder auf öffentlichen Toiletten.“ Er handelt sich damit viel Kritik und Ärger, aber auch viel Anerkennung ein. Auszeichnungen und Preise (zuletzt der hochdotierte „Essl-Sozialpreis“) bestärken den Lazaristen im Kampf gegen Vorurteile und gegen restriktive politische Maßnahmen. Dass ihm auch die eigene Kirche in den Rücken fällt, ihn nicht ausreichend unterstützt, kränkt ihn, lässt ihn aber unbeirrbar seinen Weg weitergehen. Wütend und zornig dagegen macht ihn die Durchsetzung des Bettelverbotes in Graz im Februar 2011. Jahrelang ist er dagegen angetreten („Der damalige SP-Bürgermeister Stingl und ich, wir waren die meist gehassten Menschen in Graz!“).

Pfarrer Wolfgang Pucher und einige prominente Aktivisten (z.B. der Grazer Verfassungsjurist Brünner) wollen das Bettelverbot nicht hinnehmen, es zu Fall bringen. Betroffen davon sind – nicht nur, aber in hohem Ausmaß – slowakische Roma. Roma aus Hostice. Dort, in ihren ghettoähnlichen Siedlungen, sind 99 Prozent der erwachsenen Menschen arbeitslos. Die romafeindliche Atmosphäre in der Slowakei wurde in der jüngeren Vergangenheit immer nur oberflächlich kaschiert, um den EU-Beitritt des Landes nicht zu gefährden. Heute sind die Roma in vielen Gegenden Freiwild, Mauern werden mitten in Ortschaften errichtet. Die soziale und finanzielle Aushungerung (Kürzen der Sozialhilfe) hatte 2004 einen Hungeraufstand in der Ostslowakei zur Folge. Seither werden die von Roma-Plünderungen „bedrohten“ Supermärkte durch Ordnungskräfte geschützt – „und das alles passiert im EU-Europa am Beginn des 21. Jhs.!“

Ein Teil dieser slowakischen Roma kommt nach Österreich, nach Graz oder Wien – auch zum Betteln. Zum organisierten Betteln – davon sind viele Menschen in diesen Kommunen überzeugt, Bürger und PolitikerInnen. Doch Pfarrer Pucher hat in vielfacher Weise das Gegenteil bewiesen. „Hier gibt es keine organisierten Banden – außer, Sie bezeichnen Roma, die nicht allein in einem Auto nach Wien fahren, sondern 3, 4 andere aus dem Dorf mitnehmen (Verwandte oder Freunde) als organisierte, als kriminelle Bande.“

Natürlich sieht Pfarrer Pucher Betteln nicht als Lebensziel der verarmten slowakischen Roma, dennoch fordert er für sie oder andere in Not gekommene Menschen – Inländer oder Ausländer – dieses Recht ein! Parallel dazu arbeitet er an Projekten (in einige waren/sind auch die Grazer Kommunalpolitik eingebunden), um Roma Existenzmöglichkeiten (Arbeit, Verdienst, Tagesgestaltung) zu schaffen. Eines dieser Projekte ist die VINZI-PASTA, eine Nudelproduktion in Hostice, die von Roma-Frauen getragen wird. Die Nachfrage und das Vertriebsnetz sollten allerdings ausgebaut werden!

In seinen Abschlussbemerkungen und in der Diskussion gibt sich Pucher überzeugt, dass es diese Aktivitäten vor Ort sind – und weniger die großen EU-Strategien –, die Menschen am Rande der Gesellschaft - in größter Armut und Not – ein menschenwürdiges Leben ermöglichen können!

(Erika Thurner/Elisabeth Hussl)