Islam und Kritik

Auf Einladung des Instituts für Philosophie fand im April ein Gastvortrag über die Bedingungen und Möglichkeiten einer philosophisch-kritischen Erneuerung des Islam statt. Prof. Mohamed Andaloussi (Universität Moulay Ismaïl, Marokko) erläuterte deren methodische Grundlage und klärte in einer spannenden Diskussion mit dem Publikum das ein oder andere Missverständnis über „den Islam“ auf.
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Der Vortragende Prof. Andaloussi ist Vorstand des Institut für Philosophie der Universität Moulay Ismaïl in Meknès, Marokko.

Die Frage „Wie viel Kritik verträgt der Islam?“ wird weltweit intensiv diskutiert und erfährt durch Ereignisse wie öffentliche Koranverbrennungen oder Karikaturenstreite wiederholt neuen Auftrieb. Im Zentrum des Vortrages von Prof. Mohamed Andaloussi stand jedoch nicht in erster Linie „Kritik“ im Sinne von Gegnerschaft oder Spott, sondern die Frage nach den grundlegenden Bedingungen einer philosophischer Analyse und Infragestellung von religiösen Überzeugungen. Von einer so verstandenen Kritik, zeigte sich Andaloussi überzeugt, könne der Islam niemals zu viel aufnehmen. Insbesondere die Trennung von Philosophie und Theologie, wie sie Andaloussi zufolge historisch im Islam selbst wurzelt, sei in diesem Zusammenhang von besonderer Bedeutung. Erst dann, wenn die Religion nicht als Dogma verstanden und absolute Wahrheitsansprüche beiseite gelegt würden, sei ein angemessenes philosophisches Verständnis des Phänomens des Islam möglich. Der Islam dürfe, so der Philosoph, nicht auf eine bestimmte Strömung reduziert werden, sondern müsse vielmehr in seiner Gesamtheit und Pluralität betrachtet werden. Zwar eine alle Muslime ihr heiliges Buch, der Koran; wie dieses auszulegen und im Alltag praktisch fruchtbar zu machen sei, darüber gebe es legitime Auffassungsunterschiede, die sich stets am zeitlich-gesellschaftlichen Kontext orientieren (müssen).

Methodische Voraussetzungen

Für eine philosophisch-kritische Reflexion des Islams erachtet Prof. Andaloussi insbesondere zwei methodische Voraussetzungen für wesentlich: Die Phänomenologie sowie die Dekonstruktion. Mit ersterer soll – im Sinne Edmund Husserls eidetischer Reduktion – eine vorurteilsfreie Betrachtungsweise religiöser Erscheinungen ermöglicht werden. Die Dekonstruktion wiederum, wie sie programmatisch von Jacques Derrida vorgeführt wurde, könnte im Weiteren dazu beitragen, dichotome Vereinfachungen zu entlarven, um Raum für weitere, bisher ungedachte Alternativen zu schaffen.

Ist „der Islam“ reformierbar?

Angesichts der gegenwärtigen Diskussionen um Islam und Integration in Europa war auch der Diskussionsbedarf bei den zahlreichen Besuchern und Besucherinnen des Gastvortrages entsprechend hoch. Über welche Basis im Islam verfügt die Toleranz in arabischen Ländern? Ist der Islam in Anbetracht des Selbstverständnisses des Korans als Gottes Wort überhaupt reformierbar? Welche Rolle kann der Philosophie in muslimischen Ländern zukommen? Auf diese und weitere Fragen ging Prof. Andaloussi ein, wobei er betonte, dass Toleranz einen Wert an sich darstelle und als solcher auch im Islam verankert sei. Auf globaler Ebene sei eine friedliche Koexistenz der Kulturen nicht zuletzt dann möglich, wenn das westliche Modell nicht länger als Dogma, sondern gleichsam als Beispiel eines spezifischen historischen Weges beziehungsweise als veränderbares Angebot verstanden und vertreten werde. Das Potential des Islams für Erneuerungen hängt Prof. Andaloussi zufolge nicht zuletzt von den politischen Verhältnissen ab. In diesem Zusammenhang erachtet er die derzeitigen Demokratisierungsbestrebungen in den arabischen Ländern als Hoffnungsschimmer. Eine Reformation des Islam, ähnlich jener des Christentums in der Neuzeit, werde hingegen noch viel Zeit und philosophische Kritik in Anspruch nehmen.

Der Referent

Dr. Mohamed Andaloussi ist Professor für moderne und zeitgenössische Philosophie an der Universität Moulay Ismaïl in Meknès/Marokko und dort Vorstand des Instituts für Philosophie. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen Metaphysik, Religion, Nihilismus und Postmoderne. Zu seinen Publikationen zählen „La philosophie de la logique de l’esprit à la logique du corps“, éditions Okad à Rabat 2003; „Nietzsche et la politique de la philosophie“, éditions Dar Toubkal 2006.

(Andreas Oberprantacher, Marie-Luisa Frick)