Exkursion in ein Land der Gegensätze

Unter Leitung von Prof. Jörg Becker vom Institut für Politikwissenschaft fand als Seminar der Kritischen Universität Mitte Oktober vergangenen Jahres eine Exkursion nach Burma statt. Eine vor Ort lebende Burma-Expertin führte die Teilnehmerinnen und Teilnehmer durch ein umfangreiches Programm, in dem sie Geschichte, Kultur, Ökonomie und Politik des Landes kennenlernen konnten.
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Die Exkursionteilnehmer auf dem Weg durch das Myanmar.

Auf dem Programm der Innsbrucker Reisegruppe stand die Besichtigung der Hauptstadt Yangon mit ihrer riesigen Shwedagon-Pagode, die Besichtigung der nördlichen Stadt Myitkyina, eine Fahrt zum Myitsone-Staudamm, eine Schiffsfahrt von Bhamo nach Mandalay und die Besichtigung des dortigen Mandalay-Hill, des Marktes und des Palastes von König Mindon, ein Besuch der Pilgerstätte des Goldenen Felsens bei Kyaikhtiyo, die Besichtigung von Hpa An, der Haupt- und geschäftigen Handelsstadt des Karen-Staates und schließlich eine Fahrt nach Bilu Kyun, oder Dämonen-Insel, um dort Dörfer und deren lokale Industrie für Pfeifenherstellung, Kugelschreiber, Gummibänder zu bewundern.


Diese Exkursion nach Burma wird den 15 Studierenden der Universität Innsbruck aus unterschiedlichen Gründen unauslöschlich in Erinnerung bleiben. Abgesehen von den Polizeisperren auf den Straßen im Norden des Landes ist im gesamten Land kaum Militär oder Polizei sichtbar. Die Exkursionsteilnehmer sind sich selbstverständlich sowohl der enormen politischen Repressionen in Burma bewusst, als auch der für Touristen unerreichbaren, im Kriegszustand befindliche Grenzgebiete – doch im Alltag der immer frohen und immer freundlichen Menschen war davon nichts zu spüren. Nachfolgend einige ausgewählte Reiseerlebnisse der Teilnehmerinnen und Teilnehmer:

Am Myitsone-Staudamm

Ganz oben im Nordwesten von Burma, da, wo Touristen nur unter ständiger Begleitung eines Regierungsspitzels hindürfen, da, wo chinesische Geschäftsleute und Politiker den Ton angeben und ihre Strippen ziehen, nicht aber die Militärregierung in der neuen Hauptstadt Naypyidaw, da oben im Kachin-Staat, wo einem der immergrüne Dschungel den Atem und der nasse Monsunnebel den Blick nehmen, da oben also brummt die Ökonomie. Und zwar ganz gewaltig.
Traktoren, schwere Laster mit verdreckten Doppelreifen, Armeefahrzeuge, Jeeps auf einer schlammigen Trasse ohne Unterbau, Knüppeldämme und verfaulte Bohlen über Schluchten mit reißendem Wasser, LKWs ohne Karosserie mit nacktem Motorblock und die Luft verpestenden schwarzen Dieselabgasen: Man nähert sich dem geplanten Bau des Myitsone-Staudamms im Norden Burmas nur unter schwierigen und nicht ungefährlichen Reisebedingungen. Es ist nicht zufällig, dass dieser Staudamm von einer chinesischen Firma, nämlich der China Power Investment Corporation, gebaut wird, denn der zukünftige Strom ist nicht für den einheimischen, sondern den chinesischen Markt gedacht.
Das durch solche Großprojekte verursachte menschliche Leid und der kulturelle und ökologische Schaden wecken die westliche Aufmerksamkeit, beeindrucken aber weder chinesische Bauunternehmer noch burmesische Militärherrscher. Im Kachin-Staat werden 75 Dörfer betroffen sein, tausenden Anwohnern droht eine Zwangsumsiedlung und sollte der Damm eventuell einmal brechen, würde eine gewaltige Flutwelle die 50 Kilometer entfernte Kachin-Hauptstadt Myitkyina komplett unter Wasser setzen. Der Ernst der Lage wird durch die verschärfte Sicherheitslage deutlich: Im April 2010 gab es eine Serie von Bombenanschlägen gegen diesen Staudamm mit mehreren Toten und das Auswärtige Amt in Berlin rät von Besuchen in diesen Teil Burmas ab (und seit Ende November 2010 ist der Zugang in den Kachin-Staat wegen dortiger Unruhen für Ausländer wieder gesperrt).
Die Jugendlichen im Wasserloch beim Goldwaschen neben dem buddhistischen Kloster kennen weder Österreich noch die China Power Investment Corporation in der Financial Street in Beijing. Während dieses Unternehmen auf seiner Homepage mit speziellen Rubriken für social responsibilty, production safety, energy conservation and environmental protection, development of circular economy und eco-environment protection im betriebswirtschaftlichen Öko-Jargon der Spätmoderne daher kommt, stehen fünf birmanische Jungs jeden Tag von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang barfuß und mit nur kurzen Shorts bekleidet mit den Füßen im Wasser. Im Auftrag einer jungen Frau, die „denen da oben“ – wer immer das ist – für eine Goldwäscherlizenz 1.000 US-Dollar berappen musste, bespritzen zwei Jugendliche mit Wasser aus einem Schlauch Steine, ein weiterer Junge überprüft diese nassen Steine auf mögliche Goldvorkommen und zwei Jungs werfen die überprüften Steine auf einen Abfallhaufen. Mitten im schwarzen Dieselqualm der Wasserpumpe für den Schlauch kämpfen sie zudem den hoffnungslosen Kampf gegen Malaria. „Zwei Jugendliche sind mir in diesem Jahr schon gestorben“, erklärt uns die Lizenzinhaberin oben am Lochrand, ohne die fünf Jungs unten im Wasserloch aus den Augen zu lassen. „Mittel gegen Malaria sind hier einfach zu teuer. Auch für mich selber.“ Neben einer prozentualen Beteiligung bei Goldfunden bekommen „ihre“ fünf Jungs dreimal am Tag zu essen und alle 14 Tage ein Honorar von 3.000 Kyat, umgerechnet knapp 3 Euro, je nach Schwarzmarktkurs.

Gold, Diamanten und China

Das goldene Land der Pagoden sei Burma, so verkünden es Militärs und Reisebüros aller Orten. Nicht nur das Land von Gold und Kupfer, sondern auch von Edelsteinen, besonders Jade und Rubine, von seltenen Metallen wie Spinell, Saphir und Painit, von riesigen Tropenholzbeständen und von Erdöl und Erdgas. Gold: Mandalay mit seinen überdachten Treppenaufgängen und goldenen Pagoden auf dem Mandalay Hill wurde König Mindons (1853-1878) „Goldene Stadt“. Gold: Dünnes Blattgold, seit vielen hundert Jahren von Pilgern aus aller Welt auf die goldene Shwedagon-Pagode in Yangon aufgelegt und aufgeklebt, macht diesen sakralen Bau zur teuersten Pagode der Welt. Gold: Gülden strahlt der gewaltige, kugelförmige Goldene Fels im südlich gelegenen Mon-Staat hoch oben auf dem Berg, eine der heiligsten Stätte des Theravada-Buddhismus in Burma. Ein kleines Haar von Buddha hindert die große Goldkugel daran abzustürzen. Pagoden: Allein die alte Hauptstadt Bagan zählt 2.217 erhaltene Tempel und Pagoden und in ganz Burma soll ihre Zahl über 100.000 liegen. (Notabene: Die kleine Ägäisinsel Mykonos hat mehr Kirchen als das Jahr Tage zählt.)
Was sich als Pilgergold auf den Stupas und als 76-karätiger Diamant auf der Hauptstupa der Shwedagon-Pagode in Yangon so spirituell gibt – besonders für auffällig viele, gut verdienende zivilisationsmüde europäische Bildungsbürger mit ihrem Räucherstäbchen- und Innerlichkeitskult und ihren teuren buddhistischen Meditationsseminaren – entpuppt sich bei näherem Hinsehen als brutales Geschäft der birmanischen Militärregierung. Gold und Diamanten bilden das Rückgrat ihrer Räuberökonomie. Hier wird die eigene Bevölkerung ausgeraubt und wertvolle Bodenschätze werden auf dem Weltmarkt, besonders in China, verhökert, um zuhause die Ausgaben für das Militärbudget in Höhe von rund 300 Mio. US-Dollar finanzieren zu können.
Neben Gold und Diamanten ist es uraltes Teak-Holz, das von Burma aus seinen Weg auf den Weltmarkt findet. Übrig bleiben auf unserer Fahrt durch den Kachin-Staat, auf der langen Nord-Süd-Straße von Myitkyina nach Bhamo in einem Abstand von nur rund 50 km parallel zur chinesischen Grenze viele entwaldete Berghänge, die in der Monsunzeit das Wasser nicht mehr halten können und Mensch und Vieh unter sich begraben. Während die alte, gut erhaltene Kopfsteinpflasterstraße, in den späten dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts von birmanischen Zwangsarbeitern unter der Aufsicht japanischer „Herrenmenschen“ gebaut, dem japanischen Militär im Sommer 1937 als Ausgangspunkt ihres Angriffes auf China diente, dient dieselbe Straße heute den Chinesen. Rollten damals japanische Militärfahrzeuge west-östlich nach China, so rollen heute auf derselben Straße chinesische LKWs mit Bodenschätzen und Holz ebenfalls west-östlich nach China.

Marionettentheater

Wer steckt wen in die Tasche? Wer zieht welche Strippen? Sind die birmanischen Generäle, auch wenn viele von ihnen wegen der Novemberwahlen schon im Frühjahr dieses Jahres ihre Uniformen auszogen, um den Vorsitz von regierungstreuen Parteien zu übernehmen, ein Marionettenregime? Das wäre für Burma nicht völlig neu, war doch dieses Land bereits im Zweiten Weltkrieg ein japanischer Marionettenstaat. Der „Irrawady“, ein elektronische Rundbrief birmanischer Oppositioneller, schreibt am 10. November 2010: „Burma wurde zu einem Satelliten von China und zwar in ökonomischer, politischer und militärischer Hinsicht. Man täusche sich nicht: Bei Burma besteht eines der Hauptziele der chinesischen Außenpolitik darin, sich seine Bodenschätze anzueignen und die Militärjunta in die Tasche zu stecken.“
Das birmanische Marionettentheater ist erstens berühmt, zweitens alt und hatte drittens schon immer etwas mit Politik zu tun. Denn da gab es unter dem birmanischen Königen Singu, Badon Min und Sagaing Min Ende des 18., Anfang des 19. Jahrhunderts sogar einen eigenen Marionettenminister, den Thain Wun. Marionetten spielten die Dinge, die Menschen aus religiösen Gründen untersagt waren. Marionetten durften mehr als Menschen. Klar, dass die Diskrepanz zwischen Marionette und Mensch aus politischen Gründen überwacht werden musste. Als aber das Marionettenspiel im Laufe der Zeit volkstümlich wurde, änderte es auch seine Inhalte: Jetzt wurde es zu einem öffentlichen Ort, wo sich das Wort gegen Korruption und Ungerechtigkeit der Oberen richten konnte. Ein Besuch der Marionettentheaterabteilung im Nationalmuseum in Yangon zeigt den verschwenderischen Reichtum der Kostüme alter Marionettenfiguren. Während der Besichtigung fragt der Touristenführer seine Besucher: „Warum hat die Marionette des Ministers als einzige Figur nicht 28, sondern nur zwei Schnüre?“ Antwort: „Der Minister braucht ja nur zwei Bewegungen zu machen. Mit der einen Schnur macht der Kopf eine bejahende Nickbewegung und mit der anderen Schnur falten sich beide Hände untertänigst und ehrerbietig auf seiner Brust zusammen.“
In Mandalay schmückt eine bunte Sammlung alter Marionettenfiguren die Wände der kleinen Bühne der Satiriker „Moustache Brothers“. Die drei Kleinkünstler stellen sich also bewusst in die Tradition des populären und obrigkeitskritischen alten Marionettentheaters. Doch ihre großen Tage der politischen Kritik an den Militärs scheinen vorbei zu sein, vorbei auch die Zeit von Hugh Grants Hollywood-Schnulze „About a Boy“ von 2002, in dem explizit darauf hingewiesen wird, dass man in Burma für einen Witz im Gefängnis landen könne und dass Par Par Lay, einer der drei „Moustache Brothers“, deswegen in der Tat von 1996 bis 2002 im Gefängnis saß. Doch in diesem Wahlnovember 2010 sind die „Moustache Brothers“ hausbacken und spießig oder müssen es sein. Ihre andauernden Macho-Witze über Frauen haben das Niveau einer verstaubten Nachmittagssoap und Politik kommt bei ihnen überhaupt nicht mehr vor. Zu gerne hätte man übrigens bei der bekannten Messaillance zwischen Filmwelt und amerikanischer Regierung gewusst, welche US-Behörde die diesen Film produzierende Firma Fox Broadcasting des Medientycoons Rupert Murdoch mit wie viel Geld zu diesem einen Satz gegen die birmanische Regierung gesponsert hat. Derweil die drei „Moustache Brothers“ zurzeit vorsichtig agieren, wurde der landesweit beliebte Schauspieler und Komiker Zaganar Ende 2008 zu 35 Jahren Haft verurteilt. Er sitzt im Gefängnis von Myitkyina. Sein Verbrechen? Witze nach dem Motto „Unser Herrscher regiert seit 18 Jahren ohne Kopf.“

Wird jetzt alles besser?

Die Wahlen haben der birmanischen Militärregierung und die Freilassung von Aung San Suu Kyi im November das gebracht, was zu erwarten war: Eine Festigung ihrer Position gerade wegen der kleinen politischen Lockerungen. Doch diese politischen Fragen sagen noch nichts über die Ökonomie. Wie kann die Armut in Burma, einem der ärmsten Länder der Erde, beseitigt werden? Sieht man nicht nur nach Burma, sondern auch nach anderen Armenhäusern wie Haiti oder Sierra Leone, dann gilt es nüchtern festzuhalten, dass die Armut auch in sogenannten Demokratien nicht beseitigt werden konnte. Wenn denn die Analyse radikaler Globalisierungskritiker stimmt, dass westliche Armutshilfe ein wesentlicher Verursachungsfaktor für eben die Armut in den Entwicklungsländern ist, könnte dann die Friedensnobelpreisträgerin und Oppositionspolitikerin Aung San Suu Kyi eigentlich „froh“ sein, dass sie keine politische Verantwortung für Burma übernehmen kann/muss?
Wie bei den sogenannten bunten Revolutionen in Georgien oder der Ukraine würde Burma bei einem Wechsel unter Aung San Suu Kyi zwar seine außenpolitische Anbindung wechseln, doch wie in Georgien oder der Ukraine bliebe seine unermesslich große sozio-ökonomische Misere wahrscheinlich dieselbe.

(Eberhard Sauter)

Literaturtipps:

  • Unter den Reisenden war auch Mag. Thomas Wendlinger, der kurz vor der Abreise bei Prof. Dr. Jörg Becker seine Diplomarbeit über das Thema „Innerburmesische Konfliktdynamik“ abgeschlossen hatte. 
  • Charney, Michael W.: A History of Modern Burma, Cambridge, MA: Cambridge University Press 2009.
  • Chin, Ko-lin: The Golden Triangle: inside Southeast Asia’s drug trade, Ithaka, NY: Cornell University Press 2009.
  • Fink, Christina: Surviving under military rule, Chiang Mai/ Thailand: Silkworm Books 2009.
  • Lintner, Bertil: Burma in Revolt. Opium and Insurgency since 1948. Nachdruck, Chiang Mai/Thailand: Silkworm Books 2003.
  • Reid, Robert: Myanmar (Burma), London: Lonely Planet Publications 2009.
  • Smith, Martin: Burma, Insurgency and the Politics of Ethnicity, London: Zed Books 1999.