„Kunst schläft nie, aber sie träumt mit offenen Augen“

Anlässlich des diesjährigen Internationalen Film-Festivals war die 85-jährige lebende Legende Fernando Birri zu Gast in Innsbruck. Das das Italien-Zentrum und das Zentrum für interamerikanische Studien, ZIAS, der Universität Innsbruck veranstalteten dazu am Vorabend der Festival-Eröffnung im Claudia-Saal ein Symposion.
 Fernando Birri (Foto: Willy Theil)
Fernando Birri (Foto: Willy Theil)

Dabei sprachen neben den beiden Film-Kritikern Gerry Krebs und Joachim Leitner auch Festival-Direktor Helmut Groschup und Dekan Martin Coy über und mit Fernando Birri. Einige Auszüge der Vorträge geben im Folgenden einen Eindruck von der internationalen Bedeutung des Ehren-Preisträger des IFFI 2010:

 

"Lange bevor man Fernando Birri persönlich kennenlernt, wird man mit seinem Mythos konfrontiert. Birri, das ist der „Vater des Lateinamerikanischen Kinos“ – heißt es. Einer, der die kinematografische Entwicklung eines ganzen (Sub)Kontinents auf den Weg gebracht hat.", meinte etwa Joachim Leitner, der in seinem Vortrag die tiefgreifende Beziehung Birris mit dem italienischen Kino, speziell des neorealismo behandelte. Der Neorealismus sei für Fernando Birri "eine Weltanschauung, eine Sicht der Welt, die es ermöglicht, die Wirklichkeit zu verstehen. […] Und ausgehend von einer Weltauffassung kann man einen Prozess der „Regionalisierung“ vornehmen. Das heißt, man kann sich darauf beschränken, auf dem eigenen Fleckchen Erde zu arbeiten, und das Ergebnis wird dann genau etwas sein was die eigene Wirklichkeit zum Ausdruck bringt und nichts nachäfft. Im Grunde ist das dann kein Produkt mehr, das auf etwas verweist."

 

Das bestätigt auch Helmut Groschup, den eine langjährige Freundschaft mit Birri verbindet: "Ich denke, Fernando's Filmtheorie drückt sich am deutlichsten in seinem Hauptwerk ORG aus. Er hat das Mögliche versucht und das Unmögliche erreicht: Seine Bildsprache ist global, international, nein kosmisch; über die Sprachgrenzen hinaus verständlich, auch die der Dokumentarfilme."

 

"ORG ist ein Ungetüm von einem Film", meinte Joachim Leitner. Fernando Birri mache ein Kino, das "nicht bestaunt oder bemitleidet werden will, sondern auch außerhalb der jeweiligen Produktionsländer ernst genommen werden soll." Er ist "ein fahrender Cineast, ein Wanderer zwischen Welten. Einer der Francis Ford Coppola ordentlich contra gegeben hat und in den stockkonservativen Reagan-Jahren an US-amerikanischen Unis über sein Konzept eines „magisch-kritischen Realismus“, letztlich kaum kaschierten Marxismus, doziert hat. Er hat eine ganze Generation von Filmemachern geprägt." Filme zu drehen und zu sehen sei Träumen mit offenen Augen formulierte Birri als Antwort auf Coppolas Credo der wachen Kunst.

 

Laut Helmut Groschup, der bereits in den 90er Jahren zusammen mit Renate Wurm ein Buch über Birri herausgegeben hat, ist Birri "ein geduldiger Bilderentwerfer ein 'Arbeiter des Lichts', ja ein 'Architekt von Bildern'."

 

Martin Coy widmete sich als Schlussredner dem sozialen Hintergrund von Birris Dokumentation Tire Dié, einem der ersten sozial-kritischen Filme Latein-Amerikas. Für ihn ist Fernando Birri "ein Brückenbauer zwischen den Welten." Im Mittelpunkt von Coys Analyse stand der historische Kontext von Birris filmischen Debüt.

 

Bevor der Abend dann mit einem Buffet gemütlich ausklang und sich die Besucher noch eine ganz besondere, 'gezeichnete' Signatur vom Meister abholen konnten, beantwortete dieser noch Fragen und sprach einige Dankesworte. Dabei erläuterte der 85-Jährige eindrucksvoll seine Definition von Utopie: Denn obwohl die Utopie bei jedem Schritt wie der Horizont wieder in die Ferne rückt, brauchen wir sie dennoch um überhaupt vorwärts zu gehen.

(ip)

 

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