Lehrbeauftragte der Uni Innsbruck präsentierten Sammelband zu Franz Boas

Am 10. 2009 Dezember luden die Botschaft der Vereinigten Staaten von Amerika und der LIT-Verlag zu einer Buchpräsentation in das Amerikahaus in Wien. Vorgestellt wurde der von Mag.Dr. Friedrich Pöhl und Mag.Dr. Bernhard Tilg – beide langjährige Lehrbeauftragte an der Uni Innsbruck - herausgegebene Sammelband Franz Boas: Kultur, Sprache, Rasse. Wege einer antirassistischen Anthropologie.
Bernhard Tilg und Friedrich Böhl präsentierten einen Sammelband zu Franz Boas.
Bernhard Tilg und Friedrich Böhl präsentierten einen Sammelband zu Franz Boas.[Foto: Erwin Giedenbacher/U.S. Botschaft Wien]

Meg White, stellvertretende amerikanische Botschaftsrätin für öffentliche kulturelle Angelegenheiten, eröffnete die Veranstaltung mit einer Ansprache, und Richard Kisling, Lektor des LIT-Verlages in Wien, übernahm die Moderation der Kurzreferate und der anschließenden Diskussion. Nachdem die Herausgeber die Entstehungsgeschichte des Buches geschildert hatten, sprachen Prof. Dr. Ingo Schneider (Institut für Geschichte und Ethnologie, Universität Innsbruck) und Prof. Dr. Roland Girtler (Institut für Soziologie, Univ. Wien) über das Leben und die Rolle Franz Boas’ in der Ethnologie.

 

Die Herausgeber Pöhl und Tilg, beide im Jahre 2006 Fellows der American Philosophical Society in Philadelphia (USA), wo der Boas Nachlass verwaltet wird, hoben in ihren Referaten die Relevanz des Boas’schen Denkens für die „Wissenschaften vom Menschen“ im 20. Jahrhundert hervor.

 

Der deutsch-amerikanische Anthropologe Franz Boas (1858-1942) gilt gemeinhin sowohl als der Begründer der Anthropologie als akademische Disziplin in den USA als auch der sogenannten 4-Säulen Anthropologie (bestehend aus den weitgehend selbständigen Teildisziplinen der Ur- und Vorgeschichte, der physischen Anthropologie, der Ethnologie bzw. Kulturanthropologie und der Ethnolinguistik) wie sie heute noch an amerikanischen Universitäten gelehrt wird.

 

Franz Boas, geboren und aufgewachsen in einer jüdischen Kaufmannsfamilie in Minden, Westfalen, studierte in Heidelberg, Kiel und Bonn Physik, Mathematik und Geographie. 1883/84 begab er sich auf eine geographische Arktisexpedition nach Baffin-Land, die in ihm sein genuines Interesse an Ethnologie und Anthropologie wiedererweckte. Er emigrierte nach Amerika und von 1899 bis zu seiner Emeritierung 1936 bekleidete Boas als ordentlicher Professor einen Lehrstuhl für Anthropologie an der Columbia Universität von New York. Die liberal-demokratischen und pazifistischen Ideale seines Elternhauses werden Boas sein Leben lang begleiten und ihn veranlassen gegen jegliche damalige Rassendiskriminierung wissenschaftlich aufzubegehren. Auch als gesellschaftlich und politisch engagierter Wissenschaftler führte er einen oftmals einsamen Kampf für die Rechte der indigenen Nationen Nordamerikas und Kanadas, der Afroamerikaner und nicht zuletzt für die Rechte der europäischen Immigranten.

 

Beeinflusst von den Ideen der Brüder Humboldt und der Aufklärung im Allgemeinen, entwickelte Boas seine wissenschaftlichen und philosophischen Perspektiven und Methoden. Als einer der ersten sprach Boas von Kultur(en) im Plural und verabschiedete sich somit von einem essentialistischen Kulturkonzept. Vor allem aber antizipierte Boas die Affinität von (wissenschaftlichem) Rassismus und Evolutionismus, weshalb er die Vorstellung einer universalistischen und linearen kulturellen Evolution zurückwies – insbesondere, wenn das evolutionäre Fortschrittsparadigma auf der allgemeinen und wissenschaftlich nicht fassbaren Idee der Rasse basierte und damit kulturelle Individualität verneinte. Jede Kultur nämlich trägt  nach Boas etwas Einzigartiges und Spezifisches zur Menschheitsgeschichte bei, weshalb auch jede in ihrer Individualität erforscht werden muss, um  einen einzigartigen und einmaligen kulturellen „Augenblick“ rekonstruieren zu können - eine ethnozentristische Verabsolutierung der eigenen Kultur ist damit fehl am Platze.  Im Allgemeinen waren für Boas wissenschaftliche Theorien, die vorgebliche  transhistorische rassische, kulturelle oder linguistische Konstanten geltend machten, nichts anderes als eine Lizenz zum Rassismus. Boas erkannte, dass derartige wissenschaftliche Dogmen für die indigene Bevölkerung Amerikas, für die europäischen Immigranten und nicht zuletzt für die Afroamerikaner politische, soziale, ökonomische und menschliche Diskriminierung und Ausgrenzung zur Folge hatten.

 

Im hohen Alter noch verwehrte sich Boas gegen den wissenschaftlichen Rassismus und den damit einhergehenden Rassenwahn der Nationalsozialisten in Deutschland und schämte sich dafür, ein „Deutscher“ zu sein, wie aus seinem Offenen Brief an Paul von Hindenburg nach der Übernahme der Reichsregierung durch die NSDAP am 30. Januar 1933 hervorgeht.

 

Boas wird in den USA als Initiator eines am 10. Dezember 1938 der Öffentlichkeit präsentierten Manifests, das die Unterschriften von 1284 Wissenschaftlern von 167 verschiedenen Universitäten versammelte, auftreten. Das Manifest hatte das erklärte Ziel Wissenschaftler und wissenschaftliche Organisationen zu vereinen, um den pseudowissenschaftlichen Aktivitäten von sogenannten Wissenschaftlern, die  eine direkte Korrelation von rassischer Abstammung und geistigem Charakter als objektive Wahrheit betrachteten, entgegenzuwirken.

 

Am 21. Dezember 1942 stirbt Boas in New York während eines Essens zu Ehren des aus Frankreich geflohenen Ethnologen Paul Rivet und zwar, so der damals anwesende und vor Kurzem verstorbene Claude Lévi-Strauss, mit der „alten Pelzmütze auf dem Kopf, die von seinen Expeditionen zu den Eskimos stammen musste“.

(ip)

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