Der Erste Weltkrieg als globales Risiko und globale Chance

Am 12. Juni fand der letzte Vortrag der Ringvorlesung zum Thema „Der Erste Weltkrieg in internationaler Perspektive“ statt. Der Schweizer Historiker Dr. Daniel Marc Segesser referierte über die globalen Dimensionen dieses Kriegs und stellte den Vortrag unter das Motto „Weiji“, eine chinesische Wortzusammensetzung, die für Risiko/Gefahr „Wei“ und für Chance/Möglichkeit „Ji“ steht.
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Daniel Marc Segesser bei seinem Vortrag im Madonnensaal. (Foto: Dagmar Knoflach)

Daniel Marc Segesser hat seine Forschungsschwerpunkte breit gefächert. Von Kriegsverbrechen und internationalem Recht im 19. und 20. Jahrhundert über die Nürnberger Prozesse und die Geschichte der „Dominions“ (Australien, Neuseeland und Kanada) und des Britischen Empires bis hin zur Militärgeschichte Frankreichs und Belgiens in der Zwischenkriegszeit reicht sein Interesse. Nach Innsbruck kam er mit seiner Expertise über die globale Dimension des Ersten Weltkriegs.

Die Bedeutung der Globalgeschichte

Daniel Marc Segesser unterteilte seinen Vortrag in vier Schwerpunkte. Zuerst sollte ein Überblick über die Problematik der Globalgeschichte eine Erklärung dafür geben, warum der Erste Weltkrieg als solcher bezeichnet wurde. Im zweiten Teil präsentierte er außereuropäische Schauplätze, um dann auf „Yigong Daibing“, das „Entsenden von Arbeitern aus nicht-europäischen Ländern nach Europa“ einzugehen. Schließlich hob Segesser noch die globale Ernährungskrise der Jahre 1916/17 hervor.

„Die Geschichte über den Ersten Weltkrieg kann man im 21. Jahrhundert nicht mehr europazentriert behandeln, sie muss in einer globalen Dimension betrachtet werden“, eröffnete er seine Ausführungen zum ersten Schwerpunkt „Weltkrieg und Globalgeschichte“. Damit ist gemeint, dass über die Beschränkungen eines nationalstaatlichen Geflechts hinaus gedacht werden soll, ohne diese jedoch gänzlich außer Acht zu lassen. Mittels eines globalgeschichtlichen Zugangs würden die Begrenzungen hin zu einem globalen Horizont, zu globalen Verflechtungen und vor dem Hintergrund der globalen Integration überwunden werden.

Segesser ist der klaren Auffassung, dass der Erste Weltkrieg schon ein globaler Krieg war, bevor die Vereinigten Staaten von Amerika 1917 in das Kriegsgeschehen eingetreten sind. Im Zentrum stehen dabei die Mobilisierung von Ressourcen und die Tatsache, dass kein Kontinent verschont geblieben ist. Eine Revolutionierung des Transportwesens und die Entscheidungen der außereuropäischen Länder, in den Krieg einzusteigen, um ihre jeweiligen, eigenen Interessen wahrzunehmen, sind dabei von besonderer Bedeutung.

Krieg rund um den Globus

Daniel Marc Segesser (rechts) mit den OrganisatorInnen Gunda Barth-Scalmani und Hermann Kuprian. (Foto: Dagmar Knoflach) Daniel Marc Segesser (rechts) mit den OrganisatorInnen Hermann Kuprian und Gunda Barth-Scalmani. (Foto: Dagmar Knoflach)

Der Referent führte seinen Vortrag sodann mit Darlegungen zu Kriegsschauplätzen außerhalb Europas fort. Bereits vor dem eigentlichen Kriegsbeginn wurden auf dem afrikanischen Kontinent Truppen der Entente und der Mittelmächte mobilisiert. Großbritannien und Frankreich ging es dabei vor allem darum, deutsche Kolonialgebiete, die von den sogenannten Schutztruppen verteidigt wurden, zu erobern. Die deutsche Kolonie Togo kapitulierte bereits Ende August 1914. In Deutsch-Südwestafrika (heute Namibia) dauerten die Kämpfe bis Juli 1915 an und in Kamerun mussten die deutschen Schutztruppen 1916 aufgrund von Munitionsmangel kapitulieren. Ähnlich erging es den deutschen Kolonien im Pazifik. Australische Truppen besetzten Neu-Guinea und Samoa, wo sich die deutschen kolonialen Verteidiger nur bis September 1914 halten konnten. Die nördlicheren Inseln wurden nach der Kriegserklärung an Deutschland von Japan eingenommen und die deutschen Pachtgebiete in China von britischen Truppen erkämpft.

Ab November 1914 sah sich das Osmanische Reich militärisch herausgefordert. Lange Zeit konnten keine großen Erfolge verbucht werden. Das Kriegsgeschehen wurde allerdings zum Anlass genommen, um massenhafte Deportationen von Armeniern und Christen durchzuführen, die schließlich im Genozid endeten. Mit der Besetzung Istanbuls am 13. November 1918 war für das Osmanische Reich der Erste Weltkrieg vorbei.

China selbst verhielt sich zu Beginn des Krieges neutral. Später wurden die Entente-Mächte durch das Entsenden von Arbeitskräften unterstützt, was allerdings nicht offiziell organisiert wurde. Militärisch gesehen waren alle diese außereuropäischen Kampfhandlungen nicht von großer Bedeutung, allerdings spielten sie hinsichtlich der Interessen der außereuropäischen Staaten eine nicht unwesentliche Rolle.

Yigong Daibing – „Arbeiter statt Soldaten“

Australien, China und Afrika waren laut Segesser im Ersten Weltkrieg die größten „Lieferanten“ von Arbeitskräften nach Europa. Motivation für die Regierungen, diese Menschen zu entsenden, war, neben der Unterstützung der Entente-Mächte, die Tatsache, dass die Arbeiter neue Erfahrungen und Eindrücke zurück in ihre Heimat bringen konnten. Für Frankreich waren diese Arbeitskräfte hauptsächlich in der Rüstungsindustrie tätig, in Großbritannien arbeiteten sie zumeist in Häfen und bei der Eisenbahn bzw. beim Bau von Schanzanlagen an der Front und bei der Errichtung von Massengräbern hinter der Front. Schätzungen zufolge waren etwa 240.000 chinesische Arbeiter unter sehr schwierigen Arbeitsbedingungen in Westeuropa tätig.

Eine spezielle Einheit der Arbeiter stammte aus dem South African Native Labour Contingent. Die schwarz-afrikanische Bevölkerung wurde aus rassetechnischen Gründen von den Briten nicht als Soldaten eingesetzt. Sie wollten allerdings ihre Loyalität zum Empire beweisen und waren hauptsächlich für den Straßenbau und in Wäldern im Einsatz.

Verkettung von Umständen führte zur Ernährungskrise

Den letzten Abschnitt seines Vortrages widmete Segesser der globalen Ernährungskrise in den Jahren 1916/17. Die Mittelmächte räumten der Versorgung der „Heimatfront“ bzw. der zivilen Bevölkerung weit weniger Priorität ein als dies die Entente-Mächten taten. Letzteren gelang es wesentlich besser, die Versorgungslage der Bevölkerung zu bewältigen, nicht zuletzt weil sie gewillt waren, für Lebensmittel fast jeden Preis zu bezahlen. Ernteausfälle in den USA verstärkten Engpässe, die nur durch Rekordernten in Australien kompensiert werden konnten. Die zuständigen australischen Behörden wiederum konnten so für ihre Waren einen ungemein höheren Preis verlangen.

Wirklich der erste weltweite Krieg

Als Fazit seiner Ausführungen stellte der Referent schließlich fest, dass es sich beim Ersten Weltkrieg tatsächlich um den ersten Krieg der Geschichte handelte, der eine globale Dimension hatte. Seinen Thesen gemäß hat der Siebenjährige Krieg (1756-1763) noch nicht den Charakter eines Weltkriegs, sondern nur außereuropäische Kriegsschauplätze. Im Krieg von 1914-1918 waren hingegen die weltweiten Verflechtungen der Beschlüsse von Entscheidungsträgern auf der ganzen Welt zentral. Die Hunderttausende von Kriegsarbeitern aus China, Afrika und Australien, die nach dem Krieg wieder in ihre Heimat zurückkehrten, beeinflussten die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen in ihren Ländern nachhaltig.

(Josefine Justic und Dagmar Knoflach)


Der Vortrag auf Youtube:

(Direktlink: http://youtu.be/050ocMOb2pg)