Herkunft eines verschollenen jüdischen Grabsteines geklärt

Seit Sommer 2012 lagerte in der Innsbrucker Synagoge eine jüdische Grabstele, deren Geschichte Rätsel aufgab. Ursula Schattner-Rieser vom Institut für Bibelwissenschaften und Historische Theologie gelang es, die Herkunft des Steines zu klären. Nun konnte der Rücktransport des Grabsteines an seinen ursprünglichen Platz am berühmten jüdischen Friedhof Altona in Hamburg erfolgen.
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Bei der Verabschiedung des jüdischen Grabsteines aus der Innsbrucker Synagoge waren die Wissenschaftlerin Ursula Schattner-Rieser, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde Esther Fritsch, Innsbrucks Bürgermeisterin Christine Oppitz-Plörer und Peter Hofmann von der Restaurierungsfirma Schmalstieg (v.l.) anwesend. Bild: Universität Innsbruck

Mitte Mai 2013 besichtigte die Judaistin, Bibelwissenschaftlerin und Philologin Univ-Doz. PD Dr. Ursula Schattner-Rieser im Rahmen einer Lehrveranstaltung zum Judentum mit Studierenden die Innsbrucker Synagoge. Im Zuge dieses Besuches entdeckte Schattner-Rieser einen auffallend verzierten jüdischen Grabstein, eine so genannte Grabstele. Nachfragen bei Frau Dr. Esther Fritsch, der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde für Tirol und Vorarlberg, ergaben, dass dieser Grabstein ein Jahr zuvor ohne nähere Angaben zu Herkunft und Geschichte in die Synagoge gebracht worden war. Bekannt sei nur, dass er in Sistrans, einer kleinen Gemeinde nahe Innsbruck, aufgefunden worden sei. Im Einverständnis mit Präsidentin Dr. Esther Fritsch und der Israelitischen Kultusgemeinde begann Schattner-Rieser mit einer Übersetzung der Inschrift des Grabsteines, um zunächst dessen Herkunft klären zu können. Denn gerade für die jüdische Glaubensgemeinschaft hat der Grabstein eine wichtige Bedeutung. Einer der wichtigsten israelitischen Glaubensgrundsätze ist die Unantastbarkeit der Totenruhe. Ein jüdisches Grab wird im Prinzip nie eingeebnet oder aufgelassen, der Stein sollte niemals von der beerdigten Person getrennt werden.

Europaweite Zusammenarbeit

Die Übersetzung der Inschrift des Grabsteines stellte eine Herausforderung dar: Die in hebräisch-aramäischer Sprache formulierte Grabinschrift enthält Kürzel, die mehrere Bedeutungen haben können. Da ganze Wörter durch einzelne Buchstaben ersetzt werden, bedarf es einer genauen Kenntnis der hebräisch-aramäischen Sprache sowie der jüdischen Religionsgeschichte, um eine korrekte Übersetzung anfertigen zu können. Darüber hinaus werden nur die Konsonanten geschrieben, auch das Lesen der Eigennamen gestaltet sich teilweise schwierig, da sich auch hier mehrere Möglichkeiten der Vokalisierung ergeben können. Ursula Schattner-Rieser gelang es aufgrund ihrer Expertise im Bereich der Semitistik schließlich, den Text zu übersetzen. Es handelt sich um den Grabstein einer weiblichen Person, das Sterbejahr konnte zunächst nicht ermittelt werden, da die letzte Zeile des Grabsteines fehlte – der unterste Teil dürfte abgeschlagen worden sein. Mithilfe eines Kollegen aus Paris, Dr. Jean-Francois Malthête, konnte der Familienname dem norddeutschen Gebiet zugeordnet werden. Zur endgültigen Klärung der Herkunft des Grabsteines führte dann eine Zusammenarbeit mit Kollegen in Budapest (Univ.-Prof. Dr. Carsten Wilke ) und Duisburg (Mag. Dan Bondy). Ein Abgleich mit zahlreichen Archivfotos ergab, dass der Grabstein bis 1943 auf dem berühmten jüdischen Friedhof in Hamburg-Altona stand und seither als vermisst galt. Der archivierten Fotografie konnte dann auch das Sterbejahr der Person (1782) entnommen werden. Die Übersetzung der Aufschrift lautet nun: „Gefallen ist die Krone meines Hauptes / Hier ist geborgen / Die züchtige Frau / Frau Miryam, Tochter des ehrenwerten Herrn / Löb Knorr, Gattin / des geehrten Herrn Schlomo Minden / verschieden und begraben / Tag 5, 1. Tag des Neumonds Adar / 542 der kleinen Zählung. Ihre Seele sei eingebunden in das Bündel des Lebens". Der Text wurde in der Datenbank „epidat“ des Salomon Ludwig Steinheim-Instituts für deutsch-jüdische Geschichte erfasst und durch Fotografien archiviert.

Fachgerechter Rücktransport

Die Umstände, unter denen der Grabstein nach Innsbruck kam und 70 Jahre blieb, konnten noch nicht geklärt werden. Aufgrund der Aufzeichnungen im Archiv des jüdischen Friedhofs in Hamburg steht allerdings fest, dass die Grabstele 1943 noch an ihrem Platz stand. Es ist davon auszugehen, dass der Grabstein im Laufe des Jahres 1943 von dort entfernt wurde. Zusammenhänge zur Zeit des Nationalsozialismus könnten Gegenstand zeitgeschichtlicher Untersuchungen werden.
Nachdem es Ursula Schattner-Rieser dank ihrer umfassenden Recherchetätigkeiten und der Vernetzung mit Kollegen in anderen europäischen Ländern gelungen war, die Herkunft des Grabsteines zu klären, wurden bereits im Herbst des vergangenen Jahres die Weichen für den Rücktransport nach Hamburg gestellt. Das deutsche Denkmalamt erklärte sich in Kooperation mit der Restaurierungsfirma Schmalstieg freundlicherweise dazu bereit, die Kosten für diesen Transport zu übernehmen. Am Donnerstag, den 30. Januar 2014 wurde der Grabstein schließlich von dem Restaurator Peter Hofmann in der Innsbrucker Synagoge fachgerecht verpackt und für den Rücktransport nach Hamburg vorbereitet. Dort soll der Grabstein nach fachgerechter Reinigung und Sanierung wieder an seinem angestammten Platz deponiert werden. Auch die Innsbrucker Bürgermeisterin Mag. Christine Oppitz-Plörer besuchte die Innsbrucker Synagoge anlässlich der Verabschiedung der jüdischen Grabstele. Von deutscher Seite ist für den kommenden Frühling ein feierlicher Festakt zur Wiederherstellung der Grabstätte am Hamburger Friedhof Altona geplant.

(red/Ursula Schattner-Rieser)