Frankreich nach den Wahlen

Der Botschafter der Republik Frankreich in Österreich, S.E. Stéphane Gompertz, hielt in perfektem Deutsch einen Vortrag zur Lage und den Perspektiven Frankreichs im Rahmen der Europäischen Union. Zahlreiche Lehrende und Studierende waren trotz Ferien-Aufbruchs-Stimmung gekommen und diskutierten mit ihm über Handlungsspielräume und Notwendigkeiten der künftigen französischen Politik.
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Botschafter Gompertz bei seinem Vortrag.

Es war der erste Innsbruck-Besuch des neuen französischen Botschafters, der erst im März sein Amt angetreten hat und der spontan angeboten hatte, neben dem Antrittsbesuch beim Rektor und bei der Bürgermeisterin auch für ein breiteres Publikum einen Vortrag zu halten. Der interdisziplinäre Frankreich-Schwerpunkt der Universität Innsbruck (Leiterin: Prof. Eva Lavric) und das Institut français d’Innsbruck (Leiter: Cyprien François) hatten sofort zugesagt und den repräsentativen Claudiasaal dafür reserviert – ein symbolischer Ort, denn in demselben Gebäude bezieht gerade das Institut français d’Innsbruck seine neuen Räumlichkeiten, die von der Universität zur Verfügung gestellt werden. Eine langjährige Partnerschaft rückt auf diese Weise noch enger zusammen.

Studierende und Lehrende der verschiedensten Fächer, von der Romanistik bis zur Politikwissenschaft, waren zu dem Vortrag gekommen und lauschten den kompetenten, unterhaltsamen und erstaunlich offenen Ausführungen des Botschafters, der als hochrangiger Diplomat und Berater die französische Politik in den letzten Jahrzehnten „von innen“ mitverfolgt hat. „Die Wahlen haben François Hollande mit einer bequemen Mehrheit ausgestattet“, kommentierte Gompertz, „trotzdem ist seine Aufgabe aufgrund der wirtschaftliche Zwänge sehr schwierig.“

Der sichtbarste Unterschied zwischen Hollande und seinem Vorgänger Sarkozy sei der Stil: Bei Sarkozy hätten viele WählerInnen den Eindruck gehabt, dass er zu sehr auf der Seite der Reichen stehe und die einfachen Leute verachte. Hollande dagegen sei als Exponent einer neuen Anständigkeit angetreten, von ihm versprächen sich die Franzosen/Französinnen vor allem Respekt vor allen Menschen und soziale Verantwortung. Ein aussagekräftiger Schritt in diese Richtung sei die Kürzung seines eigenen Gehalts und der Gehälter der Minister. Der neue Präsident habe eine Steuerreform angekündigt, die auf Kosten der Reichen die ärmeren Schichten und die Betriebe entlasten werde. Ernst nehme es Hollande auch mit der Gleichstellung der Frauen in der Politik, habe er doch in der Regierung seines Premierministers Jean-Marc Ayrault eine strikte Geschlechterparität durchgesetzt.

„Im Vergleich zum Wahlsieg von François Mitterrand im Jahr 1981 – dem letzten großen Sieg der Linken in Frankreich – ist diesmal keine wirkliche Aufbruchsstimmung zu bemerken“, analysierte der Botschafter weiter. Zu schwierig sei die wirtschaftliche Lage, mit einer Verschuldung von 85 Prozent des BIP, einem Defizit von über fünf Prozent, mit zehn Prozent Arbeitslosen und 22 Prozent arbeitslosen Jugendlichen. Auch die Ausgaben für Forschung und Entwicklung seien ungenügend, die sogenannten „Minderheiten“ seien nicht wirklich gut integriert und im Schulsystem scheiterten viel zu viele.

„Trotzdem hat Frankreich langfristig gute Aussichten, mit den richtigen Maßnahmen kann es ihm gelingen, die Schwierigkeiten zu meistern. Zum Beispiel ist die Bürgerbeteiligung hoch, die Wahlbeteiligung bei den Präsidentschaftswahlen betrug 80 Prozent. Für die Integration der MigrantInnen-Kinder gibt es eindrucksvolle Beispiele des Gelingens und gezielte Initiativen. Die Anleihenzinsen sind für Frankreich noch nicht besonders hoch; die Finanzmärkte vertrauen der französischen Problemlösungskapazität. Pluspunkte sind weiters die Infrastruktur und das Bevölkerungswachstum, wie auch das postsekundäre Bildungssystem. Frankreich ist für ausländische Investoren attraktiv, zum Beispiel haben 290 österreichische Unternehmen in Frankreich investiert.“ Positiv bewertete der Botschafter auch die französische Energiepolitik mit ihrer Betonung der Kernenergie, obwohl er augenzwinkernd zugab, in Österreich würde man das wohl anders sehen.

In der derzeitigen Euro-Krise, betonte Gompertz, erwarteten die Märkte sowohl kurzfristige wie langfristige Signale von Seiten der EU. Kurzfristig müssten die Signale vom EU-Gipfel ausgehen, langfristig sollten die EU-Länder gegenseitig voneinander lernen. Auf die Frage, was Frankreich von Österreich lernen könne, antwortete der Botschafter: „Ein ganz besonderes österreichisches Spezifikum ist die Sozialpartnerschaft, durch die z.B. die jüngste Austrian-Airlines-Krise ohne Streik beendet werden konnte. Im wirtschaftlichen Bereich ist die Dynamik auf der Ebene der Klein- und Mittelbetriebe vorbildlich, aber auch die Industrie- und Forschungspolitik, die Kooperationen zwischen Hochschulen und Betrieben fördert. Der Konsens rund um das Sparpaket ist ebenfalls etwas, was in Frankreich nicht so selbstverständlich wäre.“

In der Europapolitik solle Frankreich schließlich die Achse Paris-Berlin ein wenig öffnen und sich auf seine weiteren EU-Partner besinnen; so setze die neue Regierung Signale, die zeigten, dass sie an einer noch intensiveren Kooperation mit Österreich interessiert sei.

Während des anschließenden Buffets wurde über die angerissenen Themen intensiv weiterdiskutiert; und der Botschafter versprach, Innsbruck noch öfters zu besuchen. Das nächste Mal möchte er an seine eigenen mediävistischen Wurzeln anknüpfen und einen Vortrag über spätmittelalterliche französische Literatur halten. Etliche der Anwesenden werden sich wohl vorgenommen haben, sich diese Gelegenheit, über Villon und seine Zeitgenossen mehr zu erfahren, keinesfalls entgehen zu lassen.

(Eva Lavric)